Katholik in der DDR

Wie ein Traum platzt

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„Fürchtet euch nicht vor den Menschen!“, sagt Jesus im Evangelium. Allerdings können diese Menschen einem das Leben schwermachen. Johannes Koschig hat es erfahren: Als bekennender Katholik durfte er in der DDR nicht Arzt werden.

Foto: Irmgard Sperling
Für Johannes Koschig sind das Kreuz und seine Botschaft lebensprägend. Foto: Irmgard Sperling


„Als Arzt hätte ich Menschen nach bestem Wissen und Gewissen auf dem Weg zur Genesung geholfen – unabhängig von Ideologie oder Religion. Das darf ich nicht. Aber als Lehrer dürfte ich jedes Jahr 40 bis 60 Schüler mit meinen schwarzen (katholischen) Gedanken infiltrieren.“ So fasste Johannes Koschig die Absage eines Medizinstudiums und das Angebot, Lehrer zu werden, während seines Umlenkungsgespräches mit dem Parteisekretär seiner Schule, dem Direktor und einem Vertreter der SED-Kreisleitung zusammen. Dieser Kommentar wurde mit keiner Antwort gewürdigt, stattdessen wurde Koschig stumm des Raumes verwiesen und auch das Thema Studium hatte sich damit wohl endgültig erledigt.

Die „Weihe“ im staatlichen Ritual

Johannes Koschig, Jahrgang 1959, ist als zweites von sechs Kindern in einer sehr katholisch geprägten Familie in Roßlau in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Wie seine beiden Brüder war er Ministrant und hatte in seiner Jugend gemeinsam mit den anderen Messdienern sogar den Ansporn, so aktiv am Altar zu sein, dass keine Mädchen diesen Dienst übernehmen mussten. Das führte dazu, dass er an Feiertagen manchmal in mehreren Messen ministrierte.

Die Teilnahme an der Jugendweihe war in seinem Elternhaus keine Frage. Die Absage an dieses staatliche Ritual begründete seine Familie mit der Teilnahme an der Firmung. Dennoch mussten die jeweiligen Klassenlehrer das Gespräch zu den Eltern aufnehmen. Als der Klassenlehrer von Johannes Koschig zu dessen Eltern kam, bat sein Vater Alois den Lehrer, ihm das Wort Weihe im Kontext der Jugendweihe zu erklären. Daraufhin verabschiedete sich der Lehrer kleinlaut.

Das Kirchenjahr war prägend für die familiäre Gestaltung des Alltags, und an kirchlichen Festen war es selbstverständlich, in die Kirche zu gehen. Auch während des Besuchs der Erweiterten Oberschule (EOS) war klar, dass man beispielsweise an Christi Himmelfahrt die heilige Messe um 10 Uhr besuchte. Dabei konnte sich Koschig auf die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und die darin festgeschriebene Religionsfreiheit berufen. Nach dem Besuch des Gottesdienstes kehrte er einfach in den Unterricht zurück. Dabei musste er sich gelegentlich schnippische Kommentare von den Lehrern anhören.

Seinen Mitschülern indes wären solche Bemerkungen nicht über die Lippen gekommen, da untereinander ein gutes Verhältnis herrschte. Außerdem wurde Koschigs Christsein vor allem im Fach Staatsbürgerkunde (Schlüsselfach der politischen Erziehung in der DDR mit einem Schwerpunkt auf dem Marxismus) von seinen Klassenkameraden geschätzt, wenn sie keine Lust auf den Unterricht hatten. Dann ermutigten sie ihn, dem Lehrer eine spitze Frage mit religiösem Kontext zu stellen. Dieser sprang auf solche Fragen immer an und ereiferte sich dann ausführlich, so dass das eigentliche Unterrichtsthema schnell vergessen war. 

Koschig bezeichnet sich und seine Familie nicht als Revolutionäre, die es ständig darauf anlegten, sich mit den Vorgesetzten, den Lehrern und Parteifunktionären auseinanderzusetzen. Die Familie habe zwar stets den Glauben gelebt, wollte sich ansonsten aber integrieren. Vor allem nach dem Abitur wurde das problematisch. Koschig wollte seit der dritten Klasse Medizin studieren. Er war damals wegen einer Nierenoperation Patient im Berliner Hedwigskrankenhaus.

Daher bewarb er sich mit dem Abitur in der Tasche gleich sechsmal um einen Studienplatz an verschiedenen medizinischen Fakultäten. Doch jeder Versuch wurde innerhalb von 48 Stunden nach Abschicken der Bewerbung mit einer Absage beschieden. Erst viel später erfuhr er, dass seine Bewerbungen gar nicht bei den Universitäten ankamen, sondern vorher abgefangen und zurückgeschickt wurden. Das lag möglicherweise an jenem Umlenkungsgespräch, bei dem er klarmachte, Arzt und nicht Lehrer für Mathematik und Physik werden zu wollen.

Das klare christliche Bekenntnis hatte nicht nur für Johannes Koschig selbst, sondern auch für die drei jüngeren Schwestern Konsequenzen. Diese durften trotz guter Leistungen in der DDR kein Abitur ablegen. „Offiziell wurde das natürlich nicht gemacht, doch in Roßlau pfiffen es die Spatzen von den Dächern. Mein jüngerer Bruder brachte dann das Fass zum Überlaufen, als er nach dem Abitur zum Sprachenkurs nach Schöneiche ging, um anschließend Priester zu werden. Damit hatte die Familie Koschig endgültig ihren Stempel weg.“

Medizin prägt dennoch das berufliche Leben
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„Da mein Herz aber für die Medizin schlug, wurde ich dann Krankenpfleger.“ Die Ausbildung machte Koschig im katholischen St.-Elisabeth-Krankenhaus in Halle/Saale. Dort arbeitete er dann noch vier Jahre. Während dieser Zeit begann er eine Fachweiterbildung für die Stationsleitung. Nach drei Jahren im Dessauer Josefskrankenhaus wechselte Koschig an das evangelische Diakonissenkrankenhaus Dessau. Dort wurde er 1991 Pflegedienstleiter, was ihn noch heute erstaunt, da man damals in einem evangelischen Krankenhaus auch evangelisch sein musste, um eine leitende Tätigkeit übernehmen zu können. Er war der erste Katholik in einer solchen Position. 

Grundlage für die Arbeit mit den Patienten und Kollegen ist für Koschig das christliche Menschenbild: „Die uns von Gott geschenkte unverlierbare Würde gilt gleichermaßen den Patienten, ihren Angehörigen, aber auch allen Mitarbeitern. Eine mitmenschliche und qualitätsgerechte Behandlung und Betreuung gelingt nur mit gegenseitiger Achtung.“ Diese bewahre einen Mediziner auch davor, seine Patienten als bloße Akten zu sehen, ist sich Koschig sicher.

Den Entschluss, Krankenpfleger zu werden, hat er bis heute nicht bereut und auch mit den Verantwortlichen von früher, die ihm ein Medizinstudium verwehrten, hat er längst seinen Frieden gemacht. Sie seien schließlich nur den staatlichen Vorgaben oder ihren eigenen Überzeugungen gefolgt. Wie könne man das anderen vorwerfen, wenn man selbst doch auch unbehelligt seinen Glauben leben wolle.

Diese positive Einstellung spiegelt auch seine Lebensmaxime wider, die er dem Psalm 103 (Vers 2) entnommen hat: „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Daher betont Koschig: „Von diesen Überzeugungen anderen etwas mitzuteilen, sollte Aufgabe von uns Christen in dieser oft säkularisierten Welt sein.“

Irmgard Sperling