Debatte über einen Corona-Gedenktag
Wie können wir der Toten gedenken?
Zehntausende Menschen sind in den vergangenen Monaten an Corona gestorben. Sie und andere Verstorbene dürfen in der Pandemie nur im kleinsten Kreis beigesetzt werden. Was können wir tun, um sie aus der Anonymität zu holen?
Von Susanne Haverkamp
„Corona ist eine Katastrophe, die uns alle betrifft“, sagt Winfried Haunerland. „Wir sind längst über das Stadium hinaus, dass einzelne Tote nur individuell von ihren Angehörigen betrauert werden.“ Der Priester und Liturgiewissenschaftler hat an einer kürzlich erschienenen Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz mitgearbeitet, die Anregungen zum Totengedenken nach Katastrophen gibt. Passen diese Anregungen auch in die jetzige Situation?
„Ja und nein“, sagt Haunerland. „Ja, weil es tatsächlich eine Katastrophe ist. Aber wenn es sonst etwa nach einem Terroranschlag oder einem Zugunglück ein Totengedenken gibt, dann ist die Katastrophe geschehen. Das Gedenken ist schon Teil der Bewältigung.“ Jetzt seien wir aber noch mittendrin. „Wie kann man öffentlich der Toten gedenken, während genau zur selben Zeit weitere Menschen an Covid-19 sterben?“, fragt der Theologe. „Jetzt ist nicht der richtige Moment, quasi symbolisch einen Schlussstrich zu ziehen.“
Auch an andere mögliche symbolische Akte hat er Fragen, etwa an ein tägliches Glockenläuten für jeden Corona-Toten im Ort oder in der Gemeinde: „Denkbar ist das schon, aber wie lange will man das durchhalten?“ Und außerdem: Was ist mit all den Menschen, die aus anderen Gründen jeden Tag sterben? Auch sie sterben oft nicht weniger verlassen und unbegleitet und können nur im kleinsten Kreis beigesetzt werden. „Das Gedenken auf die zu beschränken, die mit und an Corona gestorben sind, ist schwierig“, sagt der Theologe deshalb. Genauso wie es schwierig wäre, in besonderer Weise nur für sie zu beten, sie gar namentlich zu nennen, etwa im Sonntagsgottesdienst. „Zumal das viele Familien auch gar nicht wollen.“
Die Pandemie muss in unserem religiösen Alltag vorkommen
Was also können wir tun, um die vielen Toten aus der Anonymität zu holen? „Ich war erstaunt, dass in der abendlichen Mitternachtsmesse des Papstes an Weihnachten Corona in der Liturgie mit keinem Wort erwähnt wurde“, sagt Winfried Haunerland. „Denn ich denke, dass die Pandemie in unserem alltäglichen religiösen Leben vorkommen muss.“ In den Fürbitten der Eucharistiefeiern. In Kreuzwegandachten in der Fastenzeit, durch eine besondere Karfreitagsbitte oder während der Bitttage rund um Himmelfahrt. Oder durch das neu herausgegebene Messformular speziell für die Zeit der Pandemie. „Ich würde mir wünschen, dass sowas vor Ort aufgegriffen wird“, sagt der Liturgiewissenschaftler, „aber ebenso, dass an die Pandemie auch in ökumenischen Gottesdiensten gedacht wird.“
Alltagsgedenken statt symbolischer Akte – das ist für Winfried Haunerland das Gebot der Stunde. Diakonie und Caritas. Beistand bei Trauerfällen in der Nachbarschaft. Fürbittendes Gebet – persönlich und in der Gemeinde. Eine religiöse Feier, in der die Gesellschaft gemeinsam auf das Leid und die Toten zurückschaut, werde, so meint er, dann später möglich und sinnvoll sein.