Interview mit Ordensfrau Melanie Wolfers

Wie können wir heute mutig leben?

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Wie man trotz seiner Angst beherzt leben kann – dazu hat die Flensburger Ordensfrau Melanie Wolfers einen Ratgeber geschrieben. In diesen Tagen ist sie zu Gast im Bistum und spricht über das Thema in einem Interview mit dem Kirchenboten.

Melanie Wolfers stellt in diesen Tagen ihr neues Buch in Lingen und Osnabrück vor. Foto: Manuela Holzer-Horny

 

Viele Menschen scheinen heute Angst davor zu haben, etwas falsch zu machen. Warum tun wir uns so schwer damit, etwas zu wagen?

Bei Entscheidungsnöten spielen verschiedene Ängste eine Rolle: etwa die Angst, falsch zu liegen oder dass die Entscheidung im Nachhinein eine ganz andere Wendung nimmt als erhofft. Und durch eine Entscheidung scheiden wir andere Möglichkeiten aus. Ein beherztes Leben zu führen, geht also damit einher, dass ich zu diesem „Ja“ und zu jenem „Nein“ sage. Es braucht den Mut, sich selbst zu beschränken. Eine Gesellschaft, die einem rät, sich möglichst alle Optionen offen zu halten, befeuert die Sorge, dadurch etwas zu versäumen oder zu kurz zu kommen. Doch wer auf allen Hochzeiten tanzen will, ist bei keiner richtig dabei.

Natürlich können wir uns durch eine Wahl selbst ein Bein stellen. Doch die noch größere Verfehlung liegt darin, wenn wir aus Angst vor diesem Wagnis gleich gar nicht entscheiden. Der schlechteste Weg, den man wählen kann, ist der, keinen zu wählen! 

Stimmt es, dass gerade junge Leute sich heute nicht mehr so viel trauen?

Ich arbeite seit 20 Jahren in Seelsorge und Bildungsarbeit mit jungen Erwachsenen. Und da begegne ich vielen beherzten, couragierten Menschen. Aber ich nehme auch eine Grundangst wahr, die mit einer Veränderung unserer Gesellschaft zusammenhängt: Seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg galt ein gesellschaftliches Aufstiegsversprechen. Dieses Versprechen gilt nicht mehr. Heute treibt eine Abstiegsdrohung die Einzelnen an, ständig das Beste aus sich herauszuholen. Denn nur, wer sich ständig optimiert, wird mithalten können auf dem Arbeits-, Kommunikations- und Beziehungsmarkt. Dies nährt die Angst, beim Auslesewettbewerb nicht mithalten zu können. Kein Wunder, dass junge Menschen oft sehr pragmatisch und genau abwägen, was sie tun und lassen. Und dass sie in Entscheidungsblockaden hineingeraten.

Und wie kann jeder von uns mutig durchs Leben gehen? Wie machen Sie das?

Drei Grundsätze von mir: „Nur wenn du regelmäßig innehältst, findest du Halt in deinem Innern und kannst ein beherztes Leben führen.“ Ich nehme mir täglich Zeiten der Stille und des Gebets. Ich versuche, Zeitsplitter zu nutzen wie etwa das Warten an der U-Bahn, um wahrzunehmen, was sich in mir regt. Zweitens: „Tue immer das, wovor du ein wenig Angst hast.“ Denn wo Angst mich im Griff hat, ist Freiheit gebunden. Mutig werden wir, indem wir Tag für Tag in kleinen Schritten mutig handeln. Und drittens: „Ich will meinem Vertrauen mehr Glauben schenken als meiner Angst.“ Wenn ich also mit mir ringe, dann richte ich die Scheinwerfer nach innen. Und frage mich: In welcher Alternative gebe ich Vertrauen und Hoffnung den Vorzug? Und wo höre ich mehr auf meine Angst? Davor, nicht zu genügen, andere zu enttäuschen oder vor dem Preis, den man für Zivilcourage zahlen muss.

Sie sind Ordensfrau. Wie hilft Ihnen der christliche Glauben dabei, besser zu leben?

Ich erfahre meinen Glauben als einen Resonanzraum, in dem meine Angst zur Sprache kommen kann. Und manchmal stellt sich im Beten das leise Ahnen ein, dass ich mit meiner Angst nicht allein bin. Als ob ich von innen her liebend angeschaut würde. Das weckt Vertrauen. Und stärkt den Mut, mich in die Waagschale zu werfen. Und der trotz und mit meiner Angst etwas tut, was ich als richtig erkannt habe.

Interview: Petra Diek-Münchow

 

Melanie Wolfers stammt aus Flensburg, hat Theologie/Philosophie studiert und als Hochschulseelsorgerin in München gearbeitet. 2004 ist sie in den Orden der Salvatorianerinnen in Österreich eingetreten. Seitdem lebt sie in Wien, engagiert sich in der Bildungsarbeit und hat mehrere Bücher geschrieben. Im Bistum spricht sie über ihr Buch „Trau dich, es ist dein Leben“:

Mittwoch, 7. November, 19.30 Uhr im Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen. Eintritt vier bis sechs Euro, Anmeldung: Telefon 05 91/6 10 21 15

8. November, 19.30 Uhr im Forum am Dom in Osnabrück. Eintritt zwischen sechs und acht Euro, Kartenvorverkauf: Telefon 05 41/31 82 80.

Am 8. November ist Melanie Wolfers bei einem Studientag über „Die Macht des Vergebens“ im Haus Ohrbeck in Georgsmarienhütte zu Gast. Anmeldung: Telefon 0 54 01/33 60.

Infos: www.melaniewolfers.de