Anfrage
Wie verhalten an einem jüdischen Grab?
Ich habe auf einem amerikanischen Soldatenfriedhof in Belgien eine Patenschaft für das Grab eines jüdischen Soldaten übernommen. Am Grab meiner Eltern spreche ich ein Vaterunser, aber wie verhalte ich mich als Christ, der einen jüdischen Verstorbenen ehren will? Gerhard Josef Jacobs, per E-Mail
„Zunächst mal finde ich das ganz toll, dass Herr Jacobs das macht“, sagt Rabbiner Efraim Yehoud-Desel. „Das ist ein schöner Ausdruck für Menschlichkeit und Zuwendung.“ Und er rät für den Besuch am Grab: „Machen Sie es einfach so, wie wir Juden es halten, wenn wir die Gräber besuchen.“ Wenn Sie jetzt fragen: Ja, geht das denn als Christ?, dann lautet die Antwort: Ja! Denn Juden beten am Grab Psalmen – und Psalmen beten Christen auch.
Spannend ist jetzt aber, welche Psalmen und wie sie gebetet werden. „Im Mittelpunkt“, sagt Rabbiner Yehoud-Desel, „steht Psalm 119“. Es ist ein sehr langer Psalm, der in Abschnitte von je acht Versen unterteilt ist. „Die ersten acht Verse gehören zum Buchstaben Alef, also A, die nächsten acht Verse zum Buchstaben Bet, also B und so weiter.“ Diese hebräische Gliederung ist auch in der Einheitsübersetzung gekennzeichnet und einfach nachzuvollziehen.
„Dann, sagt der Rabbiner, „nehmen wir den Vornamen des Verstorbenen und buchstabieren ihn betend durch.“ Nehmen wir also an, der verstorbene Soldat heißt David. „Dann suche ich zuerst aus dem Abschnitt Dalet (D) einen Vers, der mir besonders gut gefällt – oder auch alle acht Verse – und bete ihn.“ Danach kämen ein oder mehrere Verse aus dem Abschnitt Alef, danach Waw, danach Jod, danach noch einmal Daled – bis der Name David durchbuchstabiert und durchgebetet ist. „Und wer noch mehr beten möchte“, sagt Efraim Yehoud-Desel, „kann zuvor noch den Psalm 16 beten und zum Abschluss den Psalm 91. So entspricht es unserer Tradition.“
Außerdem verweist der Rabbiner auf die bekannte Tradition, einen Stein auf das Grab zu legen. Es bedeute dreierlei, sagt er. „Zum ersten: Ich bin da und denke an dich. Zum zweiten: Ich schütze dich – weil früher Steine ein Grab geschützt haben. Und zum dritten: Ich akzeptiere Gottes Wege, auch wenn sie steinig sind.“
Psalmen und Steine: Da kann man auch als Christ gut mitgehen.
Susanne Haverkamp