Das "Ethik-Eck"
Wieviel und welche Art von Protest ist in der Kirche „würdig und recht“?
Die Frage lautet diesmal:
Maria 2.0 bestreikt eine Woche lang Gottesdienste, Frauen predigen unerlaubt am Tag der Apostolin Junia, gegen das Verbot des Vatikans werden homosexuelle Partnerschaften öffentlich gesegnet … Wieviel und welche Art von Protest ist
in der Kirche „würdig und recht“?
Vorher beten
Die Frage „Wieviel und welche Art von Protest?“ greift mir zu kurz. Viel spannender finde ich, was vorab in dem Menschen geschieht, der schließlich protestiert. Geht dem öffentlichen Akt des Protests eine innere Auseinandersetzung im Gebet voraus, in dem ich mir über meine Motivation und meine Zielsetzung Gedanken mache? Ist das nicht der Fall, sollte ich den Protest besser lassen, weil ich weder mich selbst noch die Sache klar im Blick habe.
Was bewegt mich zum Protest? Ist es ein freier Entschluss, weil ich im Gebet erkannt habe, dass ich mich für eine Sache einsetzen soll? Oder folge ich inneren Mustern persönlicher Kränkung, die mich eigentlich unfrei machen? Eine Nagelprobe ist hier: Könnte auch „die andere Seite“ richtig liegen? Bin ich bereit, die Aussagen der anderen eher zu retten als zu verwerfen? Kann ich annehmen, dass Gott durch mich und die anderen spricht? Sehe ich noch die Vielschichtigkeit der Sache, um die es geht? Oder will ich nur noch Argumente hören, die für meine Sichtweise sprechen?
Welches Ziel habe ich mit meinem Protest im Blick? Liegt es im Bereich des allgemeinen Wohls oder verfolge ich persönliche Ziele, die mir selbst oder der Lobby für eine Gruppe dienen? Besteht eine Chance, dass der Protest zu einer Vertiefung der Sendung der Kirche im Dienst Christi hilft, oder trägt er eher zur Polarisierung und zu einer Verfestigung innerkirchlicher Fronten bei?
Die Frage nach der Qualität von Protest steht und fällt für mich mit der geistlichen Tiefendimension im Vorfeld. Entsprechend ist auch im Beurteilen von Protesten Zurückhaltung geboten, weil man von außen keinen Einblick hat, inwieweit die Beteiligten im Gebet um ihre Entscheidung zum Protest gerungen haben. Sehr wohl beurteilen lässt sich aber die Wirkung von Protesten, und hier darf man auch kritisch sein. Denn was eine stimmige Gewissensentscheidung des Einzelnen ist, kann trotzdem der Kirche sehr schaden – insbesondere dann, wenn kein Gespräch und kein gemeinsamer Weg mehr möglich sind.
Nicht zuletzt scheint mir eines wichtig: Liturgie ist kein Ort für Protest. Denn ein Gebet, mit dem man jemand anderem als Gott etwas sagen will, ist kein Gebet. Und die Eucharistie ist Zeichen und Ausdruck der Einheit der Kirche – miteinander konstruktiv gerungen werden sollte deshalb anderswo.
Schwester Igna Kramp
gehört der Congregatio Jesu (Maria-Ward-Schwestern) an und leitet im Bistum Fulda den Entwicklungsbereich Geistliche Prozessbegleitung.
Respekt
Die erste Frage, die sich aufdrängt, ist eine juristische: verboten oder erlaubt? Dann kommt die moralische: Darf man – darf man nicht? Wahrscheinlich auch noch eine theologische, was sagt die Schrift, die Tradition, was sagen die vielen klugen Leute? Und dann steckt gewiss noch eine institutionelle dahinter, genauer, eine Machtfrage: Wer bestimmt über was?
Etwas anderes berührt mich persönlich mehr: Es sind die tiefen Gefühle der Frauen, die ich in diesem Tun und Sprechen finde. Wenn sich tiefe, existentielle Gefühle äußern, geht es noch mal um etwas anderes, es geht um Wesentliches. Es ist doch beeindruckend, dass sich da Menschen melden, die tief gläubig und seit Jahr und Tag engagiert sind. Und die ausdrücken: Wir wollen vorkommen. Und zwar so, wie wir sind, mit dem, was wir können und brauchen. Ich will mich nicht spalten, im Alltag eine kompetente Frau mit Verantwortung und eine gleichberechtigte Bürgerin sein, und in der Kirche nicht; in der Partnerschaft auf Augenhöhe, und sich in der Kirche eine Rolle zuweisen lassen. Gerne in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben und dann keinen Segen erwarten dürfen. Solche Spaltungen belasten die Seele. Einen guten Platz zu haben ist wesentlich.
Es geht um das Ansehen – im wörtlichen und übertragenen Sinne. Wenn es stimmt, dass die Persönlichkeit des Kindes sich formt im Angesehenwerden, im Gegenüber der ersten und bedeutsamen Beziehungen, und wenn in jeder Veränderung und Lebenskrise sich immer wieder die Frage nach Entwicklung und Identität stellt, geht es immer auch darum. Wo finde ich den guten Raum, in dem ich mich entfalten kann und zuhause bin, in welchen Beziehungen und Bezügen bin ich geborgen. Also auch: In welcher Kirche und in welchen kirchlichen Formen bin ich richtig, zugehörig und gewollt, oder bin ich falsch? Oder soll ich gehen?
Frauen sagen durch diesen Protest: Ich bin glaubend, ich gehöre dazu, ich will einen Platz, der mir entspricht, wo ich mich niederlassen kann, richtig sein kann, oder ich will, dass dieser Platz für andere möglich ist und nicht blockiert wird.
Diejenigen, denen das zu weit geht, haben ja auch ihre Gründe, oft auch persönlich existentielle. Auch hier gibt es gewichtige Überzeugungen, Ängste und Bedürfnisse. Schwierig – aber es bleibt wichtig, den Worten und Taten der Frauen aufmerksam zuzuhören. Neben allem anderen ist wichtig, zu verstehen, wie schwerwiegend und bedeutsam ihre Anfragen sind. Dieser Protest verlangt Respekt.
Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.
Loyal, plural
Zunächst einmal: Was meint Protest überhaupt? Unter Protest verstehen wir ganz allgemein die ausdrückliche Missbilligung beziehungsweise Verurteilung von bestehenden Strukturen und Verhältnissen, welche meist mit der entschiedenen Forderung nach Veränderung und Erneuerung einhergeht.
In demokratisch verfassten Rechtsstaaten ist ein solcher Protest durch das Grundgesetz (Meinungs-, Versammlungsfreiheit) abgesichert und kann durch Streik, Demonstrationen auch öffentlich zum Ausdruck gebracht werden. Auf diese Weise sollen Mechanismen der gewaltsamen Unterdrückung und potentiellen Sanktionierung abweichender Auffassungen zum Beispiel durch die Machthabenden verhindert werden. Sich also autonom eine Meinung zu bilden und diese in aller Öffentlichkeit äußern zu können, stellt in diesem Sinne einen Grundpfeiler des Zusammenlebens in modernen und zunehmend pluralistischen Gesellschaften dar.
Der katholischen Kirche hingegen scheint Protest nach wie vor vielfach fremd und bedrohlich, gilt Dissens alles andere als ,würdig und recht‘, bleibt er doch stets dem Verdacht ausgesetzt, die Einheit von Kirche und Lehre zu gefährden. Protest wird vor diesem Hintergrund vor allem als Abweichung von jenen Wahrheiten gedeutet, welche das Lehramt verbindlich vorgelegt hat, gilt als illegitimer Widerstand und Ungehorsam. Konformität hat somit Vorrang vor Pluralität; das Ideal des Konsenses schließt das Bezeugen von Dissens grundsätzlich aus.
Doch geht es Initiativen wie Maria 2.0 oder #liebegewinnt wirklich um einen Akt des Ungehorsams, um einen Protest um des bloßen Protests willen? Folgt man den aktuellen Debatten aufmerksam, scheint tatsächlich das Gegenteil der Fall zu sein: So werden die vielen Initiator(inn)en nicht müde, ihre Sorge um die gemeinsame Kirche zu betonen, das für sie dringliche Anliegen einer zeitgemäßen Verkündigung des Evangeliums zu bekunden. Dazu appellieren sie nicht an jene Seite der Kirche, die sich als Mutter und Lehrmeisterin begreift; sie drängen auf einen wechselseitigen Lernprozess, wonach auch die Kirche zu einer Lernenden werden und offen für die Erfahrungen und Verletzungen, Wünsche und Sorgen der Gläubigen bleiben soll. Protest ist in Anbetracht dessen keine Drohgebärde, sondern vielmehr ein Ausdruck von Loyalität – eine Loyalität, die Pluralität integrieren will und zugleich auf mehr Partizipation pocht. Gerade in dieser Gestalt erscheint Protest den Gläubigen heute aber oftmals ,würdiger und rechter‘ als rigide eingeforderte Einheitsutopien.
Stephanie Höllinger
ist Assistentin am Lehrstuhl für Moraltheologie an der Universität Mainz.