Caritas International und der schier endlose Krieg im Ostkongo

„Wir dürfen die Menschen nicht alleinlassen“

Image
Oliver Müller, Ostkongo
Nachweis

Foto: Caritas International

Caption

Im Mai hat Oliver Müller, der Leiter von Caritas International, zuletzt Projekte im Ostkongo besucht.

Seit 30 Jahren herrscht im Ostkongo Krieg. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, sagt: Wenn Deutschland jetzt seine Hilfe beendet, wäre das eine Katastrophe für die Notleidenden.

Sie waren bereits früher im Ostkongo unterwegs. Was hat sich getan?

Die Lage ist noch schlechter geworden. Mehr als sechs Millionen Menschen wurden vertrieben und ihre Zahl steigt. Über 25 Millionen Menschen haben zu wenig zu essen und zu trinken. Eine UN-Mitarbeiterin sagte mir: „Seit 30 Jahren haben wir im Ostkongo Bürgerkrieg und die Weltgemeinschaft ist es müde, schlechte Nachrichten von hier zu erhalten.“ Das trifft es. 

Warum schaut niemand hin?

Er ist zu unübersichtlich. 120 bewaffnete Gruppen sind in der Region aktiv, darunter viele verbrecherische Milizen. Auch Nachbarländer wie Ruanda und Uganda mischen mit. Ruanda etwa unterstützt die Hauptrebellengruppe M23 militärisch.

Welches Interesse hat Ruanda, diesen Konflikt anzuheizen?

1994 sind ruandische Hutu-Milizen nach dem Genozid an den Tutsi in den Ostkongo, damals noch Zaire, geflohen. Manche Hutus leben immer noch dort. Das nimmt Ruanda bis heute zum Anlass, sich vom Ostkongo bedroht zu fühlen. Zugleich leben in der Region auch Tutsi, deren Sicherheit Ruanda geltend macht, um in dem Konflikt mitzumischen. Das alles wirkt aber vorgeschoben, weil es Beweise gibt, dass Ruanda Rohstoffe wie Coltan, Cobalt, Gold und Kupfer erbeutet und über die Grenze schafft.

Ruanda hat also vor allem wirtschaftliche Interessen?

Ja. 70 Prozent der weltweiten Coltan-Vorkommen liegen im Ostkongo, ebenso wird dort Cobalt abgebaut. Diese seltenen Erden brauchen wir für Batterien, Akkus und Smartphones. Der Hunger der Welt nach diesen Rohstoffen befeuert den Krieg.

Warum schafft es der kongolesische Staat nicht, für Frieden zu sorgen?

Er ist zu schwach, er kann kein Gewaltmonopol ausüben. Er hat die Kontrolle an einigen Teilen der Grenze verloren. Korruption ist ein riesiges Problem. Der Kongo hat sich Verbündete gesucht und burundische Soldaten sind nun in der Region unterwegs. Ebenso wie 1000 Söldner aus Osteuropa, die auf Seiten des Staates kämpfen. 

Wie leben die Menschen in diesem Bürgerkrieg?

Die meisten Menschen sind Kleinbauern, die auf den fruchtbaren Böden ein gutes Leben führen könnten. In der Realität aber werden Dörfer von bewaffneten Gruppen überfallen, die rauben, vergewaltigen und morden. Es gibt willkürliche Hinrichtungen. Mädchen und Jungen werden als Kindersoldaten zwangsrekrutiert. Zugleich locken die Rebellen die Jugendlichen mit Versprechen: Komm mit uns, dann hast du jeden Tag eine Mahlzeit und zwischendurch sogar Fleisch zu essen.

Was ist die Folge?

Die Menschen fliehen aus ihren Dörfern. Die Einwohnerzahl von Goma, einer der größten Städte des Ostkongo, hat sich in den letzten 15 Jahren vervierfacht und liegt jetzt bei zwei Millionen Menschen. Es gibt 140 Vertriebenenlager rund um die Stadt, in denen schätzungsweise 700 000 Menschen leben. Ich habe schon viele Flüchtlingslager gesehen, aber die Situation in Goma berührt mein Herz besonders.

Warum?

Weil die Lage so dramatisch ist. Familien mit sechs Personen hausen unter Plastikplanen oder in winzigen, vier Quadratmeter großen Zelten. Es gibt nicht ausreichend Wasser, Lebensmittel oder sanitäre Anlagen. Die Cholera ist ausgebrochen – ein Zeichen für verschmutztes Wasser. Besonders Frauen sind in den Lagern gefährdet: Wenn sie Brennholz sammeln oder die Latrinen aufsuchen, sind sie schutzlos. Täglich werden Frauen und Mädchen vergewaltigt. 

Wie hilft die Caritas?

In Gesundheitsstationen kümmern wir uns um die Frauen, die vergewaltigt wurden, und verabreichen etwa Medikamente, die eine HIV-Ansteckung verhindern. In mehreren Lagern hat die Caritas auch die Trinkwasserversorgung übernommen. Momentan kommen wieder mehr Vertriebene dorthin, zugleich haben sich andere Hilfsorganisationen zurückgezogen. Wir können einer sechsköpfigen Familie nur noch 20 Liter Wasser am Tag geben. Für mehr reicht es nicht. 

Könnte der Punkt kommen, an dem Sie Ihr Engagement in dem Land aufgeben, weil Spenden woanders nachhaltiger eingesetzt werden könnten?

Nein. Wenn jemand nicht weiß, wofür humanitäre Hilfe notwendig ist, dann soll er nach Goma schauen. Wir dürfen die Menschen dort nicht alleinlassen. 

Woher bekommen Sie eigentlich die Mittel für Ihre Hilfsprojekte in dieser schwierigen Region?

Wir bekommen praktisch keine Spenden für den Ostkongo. Das heißt, wir müssen unsere Projekte aus dem allgemeinen Topf nehmen oder auf öffentliche Mittel hoffen. Zum Beispiel ist die Wasserversorgung, von der ich sprach, von Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert worden. Das ist jetzt ausgelaufen und auf unseren Nachfolge-Antrag haben wir noch keine Antwort erhalten. Allein könnten wir das Projekt auf keinen Fall stemmen. Wenn sich die Bundesregierung hier zurückzieht, wäre das eine Katastrophe.

Haben die Kongolesen nach all den Kriegsjahren noch Hoffnung?

Sie haben eine bewundernswerte Lebenskraft. Und sie haben immer noch die Hoffnung, dass sie wieder in ihre Dörfer zurückkehren können und ihre Kinder in Frieden aufwachsen sehen. Auch der Glaube spielt für die Menschen eine wichtige Rolle. Ohne all das könnten sie in ihrer Lage nicht bestehen.

Kerstin Ostendorf