Ökumenische Sternsingeraktion in Ostfriesland

„Wir dürfen uns alle gesegnet fühlen"

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In der kleinen ostfriesischen Gemeinde Neustadtgödens machen bei der Sternsingeraktion mehr evangelische als katholische Kinder mit. Anders ginge es in der Diaspora auch gar nicht. Der persönliche Zusammenhalt macht es möglich.


Anprobe für die Sternsinger: Emmanuel (v.l.) mit seiner Mutter, Pastorin Kerstin Tiemann, Röpke Mauson und Maria Döldissen-Schlömer. Foto: Petra Diek-Münchow

Röpke Mauson zieht einen roten Umhang aus der Kiste und wirft ihn über seine Schultern. „Da bist du wohl ein bisschen rausgewachsen“, sagt Maria Döldissen-Schlömer und sieht mit einem Schmunzeln, dass das Gewand dem Jungen nur noch bis zur Kniekehle reicht. „Nimm mal lieber den braunen.“ Der 13-Jährige probiert an diesem Nachmittag mit seinem Freund Emmanuel Tiemann Kostüme und Kronen an. Denn wie in den vergangenen sechs Jahren haben sie sich wieder für die Sternsinger­aktion angemeldet – obwohl sie evangelisch sind. Dass sie für ein katholisches Hilfswerk durch die Straßen ziehen, ist beiden ganz egal. „Hauptsache, wir können damit Kindern in anderen Ländern helfen“, sagt Emmanuel.

Und mit dieser Ansicht steht er nicht allein. In Neustadtgödens, einer kleinen Gemeinde im Landkreis Friesland, machen bei den Sternsingern deutlich mehr evangelische als katholische Kinder mit. „Allein wären wir in St. Joseph viel zu wenig, wir könnten die Aktion sonst gar nicht durchführen“, sagt Maria Döldissen-Schlömer, Mitglied im Pfarrgemeinderat und im Kirchenvorstand.

Dass die gebürtige Emsländerin gleich in zwei Gremien sitzt, hängt mit der Diasporasituation von Neustadtgödens zusammen. Gut 650 Mitglieder zählt die katholische Gemeinde – verteilt auf mehrere Dörfer im Umkreis. Wer sich hier in der Kirche engagieren will, nimmt weite Wege in Kauf und zuweilen auch mehrere Aufgaben wahr. Direkt im Dorf wohnt kein Pfarrer mehr – und auch kein anderer hauptamtlicher Seelsorger. St. Joseph wird von Aurich aus versorgt. Aber Döldissen-Schlömer beklagt sich nicht. „Eine gute Handvoll Menschen hält unsere Gemeinde aktiv am Leben“, sagt sie und denkt zum Beispiel an die Pfarrsekretärin Gabriele Kremers und deren Ehemann. „Wir haben einen schönen, sehr persönlichen Zusammenhalt.“

Das gilt nach ihren Worten auch für die Zusammenarbeit mit den etwa 2000 Glieder zählenden lutherischen Gemeinden in Neustadtgödens und Horsten. Kerstin Tiemann, seit 2011 Pastorin in beiden Orten, ist dieses gute Miteinander sehr wichtig. „Ich trage den ökumenischen Gedanken in mir“, erklärt sie. Den hat sie aus dem Studium und von früheren Stellen mitgebracht.

„Es geht um den Zweck und das allein ist wichtig“

So ist es für Kerstin Tiemann keine Frage, dass sich ihre Gemeinden an der Sternsingeraktion beteiligen: bei den Vorbereitungen, bei den Kostümen, mit Fahrern und Begleitpersonen. „Wenn wir zusammen Gutes bewirken können, sollten wir uns gegenseitig unterstützen.“ Auch dass der gesamte Erlös – im vergangenen Jahr knapp 2200 Euro – an das katholische Kindermissionswerk überwiesen wird, steht für die Seelsorgerin außer Frage. „Es geht um den Zweck, es geht um das jeweilige Projekt und allein das ist wichtig“, sagt sie. Zudem denkt sie an die Menschen, bei denen die Sternsinger klingeln und an die Freude, die sie in den Häusern verbreiten. „Jeder Besuch ist ein Geschenk. Wir dürfen uns alle gesegnet fühlen, das ist doch eine tolle Sache.“

Den Aussendungsgottesdienst feiert Kerstin Tiemann mit dem katholischen Pfarrer Johannes Ehrenbrink ökumenisch in St. Joseph. „Er segnet dann die Kreide und den Stern und ich die Kinder.“ Und dann ziehen die Jungen und Mädchen los – mittendrin ihr Sohn Emmanuel. 20 Sternsinger gehören zu der Schar: Mal sind zwei Drittel von ihnen evangelisch, mal noch mehr. In kleinen Gruppen besuchen sie in Neustadtgödens und dem Nachbardorf etwa 120 Haushalte. Die müssen sich dafür anmelden. „So erleben die Kinder ein schönes Willkommen“, sagt Maria Döldissen-Schlömer. „Sie können gar nicht so viel heißen Kakao trinken, wie ihnen unterwegs angeboten wird.“

Das bestätigen auch Emmanuel und Röpke – zwei von acht Jungs, die jetzt zum siebten Mal mitmachen. Ganz berührt sind sie immer von dem Film des Kindermissionswerkes, der jedes Jahr das aktuelle Projekt vorstellt. Berührt sind sie auch von den positiven Reaktionen auf ihr Engagement. 2017 hatten sie nach der Aktion eine Präsentation erarbeitet und damit in einem Kirchentreff erzählt, wofür sie gesammelt haben. „Darauf sind wir hinterher oft angesprochen worden“, sagt Röpke.

Pastorin Tiemann freut sich über den Einsatz ihres Sohnes und seiner Freunde. Aber eine Sache will sie dann doch anmerken. Vor dem Aussendungsgottesdienst muss sie den evangelischen Kindern erklären, dass sie bei der Kommunion in der Kirche eigentlich sitzen bleiben müssen. „Das schmerzt dann schon.“

Petra Diek-Münchow

 

Religionsfreiheit

Die St.-Joseph-Gemeinde in Neustadtgödens hat 650 Mitglieder. Sie gehört zur Pfarreiengemeinschaft Aurich/Sande-Neustadtgödens/Wiesmoor/Wittmund. Die 1715 gebaute Kirche ist das erste katholische Gotteshaus, das in Ostfriesland nach der Reformation errichtet wurde. Der Ort ist für seine Religionsfreiheit in früheren Zeiten bekannt. Im 17., 18. und 19. Jahrhundert lebten fünf Glaubensgemeinschaften mit fünf Gotteshäusern zusammen: Lutheraner, Mennoniten, Juden, Katholiken und reformierte Christen.