Interview mit Justizminister Marco Buschmann

Wir haben alle Menschen im Blick

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Justizminister Marco Buschmann

Die Bundesregierung plant gesellschaftspolitische Reformen. Im Interview erklärt Justizminister Marco Buschmann, welche Formen des Zusammenlebens er neben der Ehe stärken will, wie er zu Paragraf 218 steht – und warum die Kirchen weiter wichtig sind.

Herr Minister, Sie wollen bald Eckpunkte für die Einführung sogenannter Verantwortungsgemeinschaften als neuer rechtlicher Form des Zusammenlebens vorlegen. Orientieren Sie sich dabei an einem Modell wie dem französischen Pacte civil de solidarite?
Nein. Das französische Modell versteht sich als Alternative zur Ehe. Das wird die Verantwortungsgemeinschaft nicht sein. An dem besonderen Schutz der Ehe werden wir nichts ändern. Ich komme aus einer katholischen Familie und bin ein liberaler Politiker. Deshalb möchte ich die Subsidiarität stärken, also die persönliche Übernahme von Verantwortung. Die Verantwortungsgemeinschaft soll genau das unter den Bedingungen einer modernen Gesellschaft möglich machen.

Kritiker sprechen dennoch von einer Ehe light ...
Die Verantwortungsgemeinschaft ist nicht ein „mehr“ oder „weniger“, sondern etwas anderes als die Ehe. Sie soll Menschen rechtliche Sicherheit geben, die dauerhaft im Alltag Verantwortung füreinander übernehmen, aber keine Liebesbeziehung haben. Wenn beispielsweise ältere Menschen eine WG gründen oder Alleinerziehende sich im Alltag gegenseitig unterstützen möchten, dann wollen wir ihnen einen rechtssicheren Rahmen anbieten.

Kann all dies nicht auch privatrechtlich geregelt werden?
Wir möchten ganz pragmatisch viele rechtliche Fragen mit einem Gang zum Standesamt klären. Vor allem im Sozialrecht gibt es Fragen, die nicht vertraglich geregelt werden können. Hier wollen wir Menschen Angebote machen, durch die Registrierung beim Standesamt für ihre Verantwortungsübernahme beispielsweise in Form von Pflegeleistungen staatliche Anerkennung zu bekommen.

Sie planen auch, das sogenannte kleine Sorgerecht zu einem Rechtsinstitut auszubauen und auf bis zu vier Personen zu erweitern. Warum ist das notwendig?
Die Erweiterung dieses Sorgerechts richtet sich auf verschiedene Lebenssituationen, bei denen auch andere Menschen Verantwortung für ein Kind übernehmen möchten. Zum einen auf Eltern, deren Beziehung gescheitert ist und die ihren neuen Partnern gerne sorgerechtliche Befugnisse geben möchten, damit diese bei der Erziehung unterstützen können. Derzeit entsteht ein „kleines Sorgerecht“ nur dann, wenn der Elternteil das alleinige Sorgerecht hat und neu heiratet. Das wird vielen praktischen Bedürfnissen nicht gerecht.

An wen denken Sie dabei und was soll es umfassen?
Das neue kleine Sorgerecht wird auch an andere Personen erteilt werden können, die bei der Kindererziehung unterstützen sollen, wie zum Beispiel ein Großelternteil, ein Pate oder eine Freundin. Und bei Regenbogenfamilien, bei denen weitere Erwachsene neben den beiden rechtlichen Eltern als soziale Eltern für das Kind da sein sollen, wird das neue kleine Sorgerecht ebenfalls eine rechtliche Absicherung ermöglichen. Wir haben alle Menschen im Blick. Homosexuelle Paare können ebenso liebevolle Eltern sein wie heterosexuelle Paare. Entscheidende Voraussetzung ist, dass die sorgeberechtigten Eltern sich einig sind. Daher kann und darf niemand aus seiner Position als Elternteil gegen seinen Willen verdrängt werden.

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wollen Sie eine einfache Änderung der Geschlechtszugehörigkeit ermöglichen. Wie soll das aussehen?
Das Gesetz ist zunächst einmal eine Pflichtaufgabe des Bundesverfassungsgerichts, weil das alte Transsexuellengesetz verfassungswidrig ist. Das neue Gesetz soll eine Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister erleichtern, es regelt in erster Linie das Verhältnis von Bürger und Staat. Der Staat soll die Identitätsentscheidung der Betroffenen akzeptieren, ohne dass ihnen oft als quälend empfundene Untersuchungen abverlangt werden.

Ein weiteres Thema ist der Abtreibungsparagraf 218. Bis Ostern soll eine Kommission stehen, die sich mit einer möglichen Streichung des Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch befassen soll. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat sich bereits mehrfach dafür ausgesprochen. Welcher Spielraum bleibt da für die Kommission?
Es geht hier um eine der schwierigsten rechtlichen Fragen: die Abwägung zwischen dem Wert des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau; ein komplexes Dilemma. Die Kommission soll untersuchen, ob es möglich ist, auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Wert des ungeborenen Lebens zu schützen und das Selbstbestimmungsrecht der Frau zu wahren, ohne auf das Strafgesetzbuch zurückzugreifen. Die Prüfung ist ausdrücklich ergebnisoffen, und wir wollen dafür die besten Experten gewinnen. Deshalb halte ich auch nichts von Vorfestlegungen.

Wird dieselbe Kommission auch die reproduktionsmedizinischen Fragen und das Thema Leihmutterschaft behandeln?
Das Gremium soll zwei Arbeitsgruppen bilden. Die eine befasst sich mit Paragraf 218 und die zweite damit, wie wir Menschen medizinisch unterstützen können, die sich sehnlichst Kinder wünschen, diese aber auf natürlichem Wege nicht bekommen können. Hier braucht es neben medizinischem und juristischem auch soziologischen und ethischen Sachverstand. Bei der Leihmutterschaft geht es einerseits um die Frage der grundsätzlichen Möglichkeit einer Legalisierung und andererseits auch um Detailfragen im Falle einer Legalisierung, beispielsweise, wie Konflikte zu regeln sind, wenn während der Schwangerschaft ein Sinneswandel stattfindet. Nach ihrer Konstituierung soll die Kommission möglichst nach einem Jahr Ergebnisse vorlegen, damit wir dann möglicherweise Gesetzesinitiativen vorbereiten können.

Sie wollen auch das Abstammungsrecht reformieren. Erstmals soll die Frau in einer lesbischen Ehe, die nicht leibliche Mutter eines Kindes ist, automatisch zweite rechtliche Mutter werden.
Wir wollen damit mehr Gleichberechtigung für Frauen ermöglichen, die gemeinsam Kinder erziehen wollen. Dabei geht es rechtlich auch um die Frage, wie das Kind in die Beziehung gekommen ist. Bei anonymen Samenspendern ist dies einfach, weil der Vater von vorneherein deutlich gemacht hat, dass er keine Bindung zu dem Kind haben will. Bei privaten Samenspenden ist das anders. Hier gibt es viele unterschiedliche Konstellationen. Anders als bei einer anonymen Spende kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass der private Samenspender im Leben des Kindes keine Rolle spielen soll und will. Im Gesetzesvorhaben wollen wir aber beide Fälle – also anonyme und private Spende – berücksichtigen.

Sie sind katholisch. Für so manchen Beobachter hat sich das Verhältnis zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften unter der Ampel deutlich abgekühlt. Wie sehen Sie das?
Ich könnte Gegenbeispiele nennen, gerade aus meiner Partei. Alle FDP-Minister haben den Amtseid mit der religiösen Beteuerung geschworen. Und ich bin froh, einen evangelischen Geistlichen als Opferbeauftragten der Bundesregierung gefunden zu haben.

Welche gesellschaftspolitische Bedeutung haben die Kirchen für Sie?
Die Kirchen haben nach wie vor eine enorm große Bedeutung für das gesellschaftliche Leben. Eine pluralistische Gesellschaft lebt von Beiträgen aus möglichst vielen Blickwinkeln. Die Kirchen liefern wichtige religiös inspirierte Impulse zu ethischen, sozialen oder politischen Debatten. Und sie sind eine wichtige Kraftquelle für viele Menschen. Ich halte nichts von einem aggressiven Laizismus, aber sehr viel davon, dass der Staat sich so aufstellt, dass sich alle Menschen zugehörig fühlen und friedlich zusammenleben können, unabhängig davon, ob sie glauben oder an was sie glauben.

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