Interview mit Pater Anselm Grün
"Wir sind keine Einsiedler"
Der Benediktinermönch und Bestseller-Autor Anselm Grün veröffentlicht ein Buch zur Corona-Krise. "Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung" heißt es und trägt den Untertitel "So gelingt friedliches Zusammenleben zu Hause". Im Interview spricht der Münsterschwarzacher Pater über die Parallelen zum Leben im Kloster, der richtigen Balance zwischen Nähe und Distanz, Home-Office und Familie.
Pater Anselm, Sie sind sonst viel auf Vortragsreisen. Wie ist es jetzt, ständig zu Hause zu bleiben?
Mir geht es gut, ich habe endlich mal Zeit zu lesen. Und ich habe auch noch ein paar Bücher zu schreiben. Mir tut es ganz gut, jetzt eine ganze Zeit lang im Kloster zu sein.
In der Ankündigung Ihres neuen Buches heißt es, die Mönche hätten durch die Klausur Erfahrung für die jetzige Situation - was sind die Vorteile, was sind die Probleme?
Ein Problem ist natürlich, dass man eng zusammenlebt. Aber wir haben als Benediktiner in über 1.500 Jahren eine gute Balance zwischen Nähe und Distanz gefunden, so dass sich die Leute nicht auf die Nerven gehen. Wir haben gelernt, uns auch mal in die Zelle zurückzuziehen, also Nischen zu finden, in denen man geschützt ist. Das brauchen die Menschen zu Hause jetzt auch.
Die Klausur ist freiwillig, wer nicht im Kloster lebt, empfindet die Ausgangsbeschränkung eher als Arrest - inwiefern ist das überhaupt zu vergleichen?
Das ist in der Tat ein Problem. Die Leute sind es nicht gewohnt, daheim zu bleiben. Der christliche Philosoph und Literat Blaise Pascal wusste schon im 17. Jahrhundert: Das Problem des modernen Menschen ist, dass keiner mehr allein in seinem Zimmer bleiben kann. Es ist verständlich, dass Menschen den Koller bekommen und sie Kontakte haben wollen.
Dazu kommt - auch im Gegensatz zur Klausur der Mönche - für Menschen nun der Spagat zwischen Home-Office und Kinderbetreuung.
Das Home-Office hat Vor-, aber auch Nachteile. Es besteht die Gefahr, dass sich Arbeit und Familie zu sehr vermischen. Da braucht es gute Grenzen, klare Zeiten, in denen ich arbeite, und Freiraum für die Familie. Nötig ist eine klare Unterscheidung.
Welche Tipps haben Sie in Ihrem Buch noch für die Menschen, die nun in sozialer Distanz leben sollen?
Es geht darum, gut mit Emotionen umzugehen. Es werden welche hochkommen, die muss ich aber mit Neugierde anpacken, mich ehrlich anschauen. Das ist auch jenseits der derzeitigen Situation sehr wichtig: Es geht nicht darum, die Emotionen zu verdrängen oder zu werten, sondern zu fragen, was sie mir sagen wollen.
Was heißt das konkret?
Es geht darum, den Sinn zu verstehen. Ärger etwa kann ich nicht unterdrücken. Er wird trotzdem rauskommen. Er kann aber der Impuls sein, sich besser abzugrenzen, wenn jemand meine Grenze überschritten hat und ich sie habe überschreiten lassen. Wenn ich diesen Ärger jetzt umwandeln will, heißt das: Ich brauche auch Zeit für mich selbst, muss mich auch mal abgrenzen.
Der Mensch ist ein soziales Wesen - wie lange kann er beschränkt auf wenige Sozialkontakte überhaupt leben?
In der Familie können ja weiter Sozialkontakte gelebt werden. Die muss man auch kultivieren. Wenn jemand Single ist, allein, auch ältere Menschen, dann ist es wichtig, zumindest per Telefon oder über die neuen Medien verbunden zu bleiben. Wir sind ja keine Einsiedler. Ein solches Leben nun von den Menschen zu verlangen, das wäre eine Überforderung.
Was nehmen wir mit aus solch einer Krise?
Es wird sich zeigen, ob der Egoismus hochkommt oder ob sie hilft, wieder solidarischer zu sein mit anderen. Es gibt schon jetzt sehr viele Menschen, die andere unterstützen. Und die praktizierte Haltung "Ich schütze mich, um andere zu schützen" ist ein Akt der Nächstenliebe. Solidarität bekommt einen neuen Wert. Wenn ich das spüre, dann bekommt es einen Sinn. Wenn ich keinen Sinn finde, dann werde ich aggressiv.
kna