Dokumentarfilm „Newcomers"

„Wir sollten einander mehr zuhören"

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In dem Dokumentarfilm „Newcomers“, der deutschlandweit in die Programmkinos kommt, erzählen 29 Geflüchtete ihre Geschichte. Der in Osnabrück lebende syrische Regisseur Ma‘an Mouslli ging auch der Frage nach: Was heißt es, Flüchtling in Deutschland zu sein?


Ma‘an Mouslli (32) stammt aus Damaskus und ist Fotograf, Radiojournalist und Dokumentarfilmer. Während seines Informatikstudiums gründete er einen Theaterclub und spielte in vielen Stücken selbst mit. Er engagierte sich schon früh in der syrischen Revolution und nahm an Straßentheatern teil. | Foto: Christoph Brüwer

Ihr Film „Newcomers“ hatte gerade Deutschlandpremiere in Berlin und lief auch in Osnabrück. Wie waren die Reaktionen?

Die Premierengäste haben 60 berührende Minuten erlebt. Und sie haben die Botschaft des Films sofort verstanden. Das wurde auch in den anschließenden Diskussionsrunden deutlich. Unsere Protagonisten stammen aus vielen verschiedenen Ländern und haben sehr unterschiedliche Biografien. Gemeinsam haben sie, dass sie Flucht oder Vertreibung erlebt haben und sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden mussten. Der Film bleibt aber nicht bei den üblichen Fluchtgeschichten stehen, sondern dokumentiert auch Erinnerungen an das Heimatland, die Kindheit und die Erfahrungen in Deutschland. Unsere Idee war, Menschen nicht auf ihre Flucht zu reduzieren.

Sie reden nicht so gern von Flüchtlingen, sondern lieber von Newcomers, also Neuankömmlingen ...

Richtig. Das Wort Flüchtling wird oft mit Bedürftigkeit gleichgesetzt: „Ach, der arme Flüchtling!“. Lieber mag ich das konstruktiv-anpackende Newcomers. Diesen Begriff hat schon Hannah Arendt (jüdische deutsch-amerikanische Theoretikerin und Publizistin, Anm. d. Redaktion) in ihrem amerikanischen Exil verwendet. Sie wollte damit – so wie wir Neuankömmlinge heute – sagen: „Wir sind als Menschen hier und wollen die Gesellschaft, in der wir jetzt leben, mitgestalten.“
Es wäre schön, wenn unser Film zum Nachdenken anregt. Oft geht es in Gesprächen mit Flüchtlingen oder über Flüchtlinge nur darum, ob sie schon Deutsch gelernt und einen Job gefunden haben. Es ist aber auch wichtig für unser Zusammenleben, sich die persönlichen Geschichten zu erzählen.

Haben Sie zum besseren Verständnis deshalb auch deutsche Vertriebene interviewt?

Ja, wir wollten an deutsche Flüchtlingsschicksale anknüpfen,weil es Parallelen gibt. Eine Frau, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurde, hat mir schlimme Geschichten erzählt und dabei geweint. Auch nach 70 Jahren sind ihre traumatischen Erlebnisse nicht vergessen. Das bedeutet für meine Zukunft: Auch ich werde lange nicht vergessen können. Flucht- und Gewalterfahrungen werden ein Teil von mir bleiben – und auch der Schmerz, nicht in die Heimat zurückkehren zu können.

Sie konzentrieren sich bei den Interviews auf die Gesichter der Menschen und zeigen Sie vor einem dunklen Hintergrund. Weshalb haben Sie sich für dieses Stilmittel entschieden?

Etwa 80 der 100 Interviewten haben ihre Geschichte zum ersten Mal erzählt. Es war für sie wie eine Befreiung. Ich habe mich auf die Gesichter konzentriert, weil man diesen Menschen in die Augen schauen und sich nicht ablenken lassen soll. Der schwarze Hintergrund unterstreicht das Schwere, das sie erlebt haben. Manche saßen bis zu neun Stunden vor der Kamera. Ich habe sie ermutigt: „Erzähl mir deine Geschichte“, und sie erst mal ohne Unterbrechung reden lassen. Es brauchte dann ein Jahr, um eine Auswahl zu treffen und diese auf eine Stunde Film zu kürzen. Aber wir waren ja ein Team von über 20 Personen.

Welche Geschichten waren für Sie besonders schwer erträglich?

Schwer erträglich waren sie alle, aber die Geschichte eines Landsmannes hat mich besonders bewegt. Dieser Syrer war wie ich Verfolgter des Assad-Regimes und hat Ähnliches durchlitten.

Gibt es auch weniger schwere Momente im Film?

Im ersten Teil der Interviews geht es um Kindheit, Schul- und Studienzeit und den Berufsalltag. Da gibt es auch lustige Geschichten. Zum Beispiel erzählt eine Frau aus Afghanistan, wie sie zum ersten Mal Wasser mit Kohlensäure trank und – irritiert von dem Prickeln – dachte, es sei Alkohol.

Wie kann Ihr Film zum besserem Zusammenleben von Deutschen und Neuankömmlingen beitragen?

Ich wünsche mir, dass man in uns nicht nur bedürftige Flüchtlinge sieht, sondern Menschen, die sich einbringen möchten. Das fällt uns erst einmal schwer: weil wir die neue Sprache lernen und uns zurechtfinden müssen. Dafür brauchen wir Zeit. Wichtig ist aber auch, dass wir einander mehr zuhören und gemeinsam anfangen, dieses Land zu gestalten. Im Film wird sehr schön deutlich: Wir haben zwar unterschiedliche Sprachen, Hautfarben und Religionen, sind aber letztendlich alle gleich: Wir sind Menschen.

Was bedeutet es für Sie persönlich, Flüchtling in Deutschland zu sein?

Ich habe keine dramatische Fluchtgeschichte zu erzählen, weil ich mit meiner Familie über Ägypten mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen bin. In Osnabrück lebe seit vier Jahren und sechs Monaten und kann nur von guten Erfahrungen berichten. Natürlich trage ich auch schlimme Dinge mit mir herum. 2011, als ich die frühen Versuche, das Assad-Regime zu stürzen, mit Fotos dokumentierte, wurde mir in den Fuß geschossen, ich war zwei Monate im Krankenhaus. Und ich saß im Gefängnis. Als politisch Verfolgter muss ich in Syrien um mein Leben fürchten, so lange Assad an der Macht ist. Das stimmt mich traurig. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.

Interview: Anja Sabel


Filmmaterial für 400 Stunden

Für den Film hat das Produktionsteam mehr als 100 Geflüchtete interviewt. Das Ergebnis sind mehr als 400 Stunden Filmmaterial, das auf rund eine Stunde reduziert werden musste. Damit die restlichen Stunden nicht verloren gehen, soll das Material nach und nach auf der Internetseite des Films veröffentlicht werden.

In Kürze wird „Newcomers“ deutschlandweit in Programmkinos präsentiert. „Wir planen zudem, ihn weiterführenden Schulen zur Verfügung zu stellen. Dafür wird auch Begleitmaterial entwickelt“, ergänzt Produzentin Sara Höweler.

Unterstützt wurde die Produktion durch den Osnabrücker Exil-Verein e.V. und den Caritasverband für die Diözese Osnabrück. „Wir bieten nicht nur Beratung für Geflüchtete, sondern wollen auch Solidarität mit den Newcomers stiften,“ erklärt Caritasvertreter Günter Sandfort. Er betont, dass die Integrationsarbeit nicht in ein oder zwei Jahren erledigt sei: „Hier geht es nicht um einen Sprint, sondern um einen Marathon. Deswegen ist die Diskussion auf Landesebene, die Mittel für die Flüchtlingssozialarbeit zu kürzen, hoch problematisch.“

Weitere Infos und Hintergrundmaterial: www.newcomers-film.de
Kontakt per E-Mail: info@newcomers-film.de

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