Streit in der Kirche

Wo geht es lang?

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Früher war alles besser. Auch in der Kirche. Stimmt nicht. Schon in der frühen Kirche gab es heftige Querelen um die richtige Lehre. Ein Streitpunkt: Muss man erst Jude sein, sich an die Gebote der Tora halten, um Christ werden zu können? 

Vergoldete Figur des (vermutlich) Apostels Petrus mit dem Attribut Buch am 4. Juli 2018 in Xanten.
Querulant: In der Lesung verstößt Petrus (hier als Statue in Xanten abgebildet) gegen jüdische Vorschriften. 

Von Ulrich Waschki

In der 1. Lesung dieses Sonntags trifft Petrus den römischen Hauptmann Kornelius. Der Lesungstext ist arg gekürzt. Schaut man in die vollständige Fassung der Apostelgeschichte, wird das Geschehen verständlicher: Der Jude Petrus kehrt in das Haus des Heiden Kornelius ein, obwohl „es einem Juden nicht erlaubt ist, mit einem Nichtjuden zu verkehren oder sein Haus zu betreten“. Petrus predigt dennoch vor Kornelius, dessen Familie und Freunden. Später gibt Petrus den Auftrag, die Zuhörer zu taufen. Die Juden, die Petrus begleiteten, „konnten es nicht fassen“, dass sich Gott auch den Heiden zuwendet. 

Momente, in denen Menschen Veränderungen nicht fassen konnten, gab es in der Kirchengeschichte wahrscheinlich häufiger. Etwa als mit Benedikt XVI. erstmals ein Papst in der Neuzeit seinen Rücktritt ankündigte. In der Regel verändert sich die Kirche weniger plötzlich. „Lehrveränderungen haben meist eine komplexe Vorgeschichte“, sagt Michael Seewald, Professor für Dogmatik an der Universität Münster. Etwa beim letzten Konzil. 

Viele Theologen hätten die Veränderungen in den Jahrzehnten zuvor schon vorbereitet. „Das Konzil hat dann einen Rezeptionsstau aufgelöst“, sagt Seewald. So ging dem Konzil die liturgische Bewegung voran, die durch theologische Arbeiten, aber auch durch eigentlich verbotene liturgische Experimente den Boden für die Liturgiereform bereitete.

Wenngleich die 1. Lesung dieses Sonntags schon von der Taufe des Kornelius berichtet, dauerte es auch in der Apostelgeschichte noch eine ganze Zeit, bis das für die damaligen Beobachter unfassbare Geschehen sich auch in der Lehre widerspiegelt. Im Apostelkonzil finden die Apostel einen Kompromiss, nach dem Nichtjuden nur wenige jüdische Vorschriften einhalten müssen. 

Abweichungen von der Lehre gab es immer

Doch der Konflikt bleibt. So stellt Paulus die Beschlüsse anders dar als die Apostelgeschichte. Und auch nach dem Apostelkonzil geht es weiter: Petrus verweigert später die Tischgemeinschaft mit Heiden und wird dafür von Paulus getadelt. Der Konflikt begleitet die frühe Kirche also über eine lange Zeit. Die Erzählung ist typisch auch für spätere Lehrveränderungen: „Dogmenentwicklung verläuft nicht linear“, sagt Seewald. „Insgesamt ist es ein großes Durcheinander“, weshalb sich auch aus der Erzählung in der Apostelgeschichte kein allgemeines Rezept ableiten lässt.

"Häufig gehen Lehrveränderungen mit kirchenamtlichen Konflikten einher.“ Weil Institutionen grundsätzlich eher bewahrenden Charakter hätten, reagiere die Institution Kirche oft erst einmal ablehnend. Sie könne sich neue Positionen aber auch zu eigen machen. Manchmal geschieht auch beides: Seewald erinnert an führende Theologen der Konzilszeit wie Henri de Lubac oder Yves Congar. Beide waren mit Lehrverboten belegt worden, später wurden sie rehabilitiert und sogar zu Kardinälen erhoben. 

Im Blick auf die aktuellen Diskussionen warnt Seewald vor zwei falschen Erzählungen: Da ist zum einen die Erzählung über „die goldene Vergangenheit“. „Die Normierungskraft der Kirche in der Vergangenheit wird überschätzt. Was die Menschen tatsächlich glauben, lässt sich nicht offiziell regeln“, sagt Seewald. „Es gab immer Abweichungen von der Lehre und abweichende Praktiken. Die Vergangenheit wird verklärt.“ 

Zum anderen gibt es für Seewald die „Modernisierungserzählung“: Danach „werden sich bestimmte Reformen durchsetzen“, quasi wie ein Naturgesetz. Mit Blick auf die Lehrentwicklung der Vergangenheit ist das für Seewald nicht ausgemacht. Den Ausgang der Diskussionen um die Priesterweihe für Frauen oder Segensfeiern für homosexuelle Paare hält er für offen. 

Sogar über die Einheit muss man streiten

„Was aus dem Synodalen Weg wird, ist völlig ungewiss“, sagt der Dogmatiker über die Reformdebatte in Deutschland. Schon früher hätten sich Bischöfe für Veränderungen eingesetzt, seien aber oft mit dem Verweis auf die Einheit der Weltkirche aus Rom gestoppt worden. Seewald hofft, dass sich das ändert. „Über Einheit muss man streiten“, ihre Grenzen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturen anders definieren, meint er. 

In der Apostelgeschichte ist es Petrus selbst, der die Veränderung vorantreibt. Auch das ein wichtiger Hinweis: Es mögen noch so viele Bischöfe eine bestimmte Reform fordern – ohne Petrus, also ohne den Papst, geht gar nichts. Er muss sich die Dinge zu eigen machen, wie es zum Beispiel Papst Franziskus getan hat, als er die Todesstrafe aus dem Katechismus verbannt hat, in manchen Ländern übrigens auch eine „unfassbare“ Veränderung.

Bevor Petrus zum Hauptmann Kornelius kommt, erlebt er laut Apostelgeschichte eine Vision: Im Gebet ermutigt ihn Gott, sich über jüdische Speisegesetze hinwegzusetzen. Eine spannende Parallele zur heutigen Debatte: Die deutschen Bischöfe betonen, dass der Synodale Weg ein geistlicher Weg sein solle. Manche Kritiker vermissen dagegen das geistliche Element. Papst Franziskus wiederum mahnt, dass Entscheidungen in der Kirche aus dem Gebet kommen müssten. 

Seewald reagiert skeptisch: So unmittelbar wie Petrus in der Apostelgeschichte könnten wir uns heute nicht auf Gottes Willen oder göttliche Zeichen beziehen. Daher sei es schwierig, aus dem Gebet Strukturentscheidungen abzuleiten. Das Gebet sei Ausdruck einer persönlichen Gottesbeziehung, aber liefere kein Argument in der Diskussion mit anderen. „Wenn aus dem Beten Strukturentscheidungen hergeleitet werden, müssten wir Menschen, deren Entscheidungen wir für falsch halten, absprechen, richtig gebetet zu haben. Das wäre kein guter Stil.“