Wort des Abschieds von Kardinal Reinhard Marx
Wort des Abschieds von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.
Die große Verehrung, mit der Kardinal Karl Lehmann in den vergangenen Tagen – seit uns die Nachricht von seinem Tod erreicht hat – gewürdigt wurde, ist eindrucksvoll. Sie erfüllt mich mit großer Dankbarkeit und zeigt, welche Wertschätzung der Verstorbene in Kirche und Gesellschaft, weit über die Grenzen unseres Landes hinaus, erfuhr.
Heute verneigen wir uns vor ihm, dem geschätzten Mitbruder und Freund. Ein großer Theologe, Bischof und Menschenfreund ist von uns geschieden. Mit seinem Tod verlieren wir einen warmherzigen und menschlichen Bischof. Die Deutsche Bischofskonferenz ist Karl Lehmann zu großem Dank verpflichtet. Weit über zwanzig Jahre hat er die Geschicke der Deutschen Bischofskonferenz als deren Vorsitzender geleitet. Ich erinnere mich gut an unsere ersten Begegnungen, die von Herzlichkeit und Offenheit, vor allem von der Lust an der theologischen Debatte geprägt waren. Kardinal Lehmann hat in der Deutschen Bischofskonferenz Höhen und Tiefen erfahren. Es ging ihm immer wieder um die Frage, wie eine menschendienliche und zugleich traditionsverpflichtete Kirche beschaffen sein sollte. Die persönliche Wertschätzung, die er jedem Gesprächspartner gegenüber zeigte, sein unglaubliches Gedächtnis – Karl Lehmann vergaß nichts – und seine theologische Weite waren glückliche Stärken, die er in unsere Bischofskonferenz einbrachte. An diese Jahre denken wir in der heutigen Stunde des Abschieds. Wir trauern, aber wir dürfen auch hoffen, dass er jetzt den gütigen Gott schauen darf, von Angesicht zu Angesicht.
Die Biographie von Karl Lehmann füllt viele Seiten. Mit der Bibliographie ließe sich ein eigenes Buch schaffen. Das alles bleibt über den Tod hinaus erhalten. Vor allem bleibt aber die Erinnerung an die Person Karl Lehmanns erhalten. An seine prägende Kraft für den deutschen Katholizismus, an sein mutiges und überzeugendes Auftreten und Han-deln in der Weltkirche, an seine weltweite Anerkennung als Wissenschaftler, Priester und Bischof. Wir alle hier im Dom schätzen uns dankbar dafür, Karl Lehmann gekannt zu haben oder ihm begegnet zu sein.
In die Amtszeit von Kardinal Lehmann fallen so wichtige historische Momente wie die Wiedervereinigung der beiden getrennten Bischofskonferenzen in die erste gesamtdeut-sche Bischofskonferenz, die 1991 zusammentrat. Ich denke aber auch an die Apostolische Reise von Papst Johannes Paul II. 1996 nach Paderborn und Berlin, wo Kardinal Lehmann damals den Heiligen Vater beim Gang durch das Brandenburger Tor begleiten konnte und sich so gleichsam die Wiedervereinigung auch für den Papst abschloss. Die ökumenische Annäherung war ihm ein – theologisches und geistliches – Herzensanliegen.
Dass ihm dafür als erstem Katholiken vor zwei Jahren die Martin-Luther-Medaille von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verliehen wurde, spricht für sich.
Karl Lehmann machte es sich zur Lebensaufgabe, das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils zu wahren und weiterzutragen. In stürmischen Zeiten stand er fest im Glauben, so wie es sein bischöflicher Wahlspruch ausdrückt, den er mit der Bischofsweihe 1983 annahm: „State in fide – Steht fest im Glauben“ (1 Kor 16,13). Ja, Karl Lehmann konnte nichts in seinem katholischen Glauben erschüttern. Dasselbe gilt auch für seine politi-schen Überzeugungen: Er war ein überzeugter Europäer, dem es immer um Verständi-gung, Versöhnung und Dialog ging.
Mit Karl Lehmann verlässt uns ein katholischer Weltbürger, auskunftsfähig zu allen The-men der Zeit. Wir trauern um einen großartigen Menschen, eine wegweisende Persönlich-keit und einen gläubigen Katholiken, der sein Leben ganz nach Gottes Plan für ihn lebte und sich mit ganzer Hingabe dem Auftrag Christi und dem Dienst der Kirche gewidmet hat. Er wird uns fehlen.