Anfrage

Wurde immer allein in Rom über Glauben entschieden?

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Der Theologe Wolfgang Beinert schreibt in einem seiner Bücher, in der Kirche habe es nicht immer die Zentralisierung auf Rom gegeben, wie sie heute praktiziert wird. Gibt es dafür Belege?

Wolfgang Beinert hat die theologischen Lehrbücher vor und nach dem Ersten Vatikanischen Konzil verglichen und ist sich sicher: Nicht immer war die Macht des Vatikans so groß, wurde allein in Rom entschieden, wie der Glaube gelebt wird. 

Ein Beispiel: In der „Summa theologiae“ von Thomas von Aquin, einem der bedeutendsten mittelalterlichen Lehrbücher, gleicht die Ausarbeitung von kirchlichen Regeln einer Diskussion. So wird etwa in der Sakramentenlehre zunächst die Frage gestellt, ob die Ehe ein Sakrament ist und welche Argumente dafür und dagegen sprechen.

Besonders wichtig ist in diesem Prozess das Glaubensverständnis der ganzen Kirche, der sogenannte „sensus fidelium“. Was meinen die Gläubigen dazu? Was verstehen sie unter einem Sakrament? Welche Bedeutung hat die Ehe im Leben der Menschen? Das sei der entscheidende Punkt, sagt Wolfgang Beinert. „Thomas von Aquin meint: Wenn die Rezeption durch die Gläubigen nicht stattfindet, ist die Weisung nichtig.“

Nach dem Konzil 1869/1870 ändert sich das. Statt einer Frage wird in den Lehrbüchern nun eine These formuliert. Als Argument reicht oftmals ein Zitat aus der päpstlichen Verkündigung: „Der Papst lehrt, dass die Ehe ein Sakrament ist. Also ist das auch so“, formuliert Beinert diesen Wechsel. Verbunden wird die Lehre mit einem Hinweis, wie verpflichtend sie ist: „Hier geht es um Anweisungen und Sanktionen, um gehorsam zu sein“, sagt Beinert. 

Beim Blick auf die vergangenen gut 100 Jahre der Kirchengeschichte sieht Beinert, dass die Vorstellung der Unfehlbarkeit des Papstes, die 1870 noch ein Ausnahmefall gewesen sei, zur schleichenden Normalität wurde: Was der Papst sagt, ist unangreifbar. „Ihm ist Folge zu leisten. Die Bischöfe haben praktisch nichts mehr selbst zu sagen“, so Beinert. Alle anderen Instanzen, die den Glauben bezeugen können – besonders der „sensus fidelium“ – sieht er außer Kraft gesetzt. Er fragt: „Geht es noch zentralistischer?“
 

Kerstin Ostendorf