Interview mit Dr. Claudia Sticher, Mainz
Zeigt euch, Frauen der Bibel!
Foto: adobestock / Noel Powell
Frau Dr. Sticher, warum sollen wir uns für Frauen in der Bibel interessieren, die seinerzeit schon nicht für wert befunden wurden, beim Namen genannt zu werden?
Claudia Sticher: Möglicherweise ist die Einschätzung „wer keinen Namen hat, hat keine Bedeutung“ gar nicht immer zutreffend, obwohl es der erste Reflex ist.
Was bedeutet der Name in der Bibel, und warum fehlt er bei den meisten der vorgestellten 21 Frauen?
„Ich habe dich beim Namen gerufen. Du bist mein!“ (Jesaja 43,1). Namensgebung ist in der Antike ein Zeichen von Macht und Anerkennung zugleich. Der Name eines Menschen steht für Abstammung und Zugehörigkeit.
Doch auch alle, die nicht mit Namen gerufen werden, haben ihre Würde und ihre Geschichte. Manche stehen im Schatten und werden deshalb übersehen. Die Welt der Bibel ist eine männlich dominierte Welt. So erscheinen einige der Frauen in der Zuordnung zu einem Mann: Mutter von, Frau von, Tochter von, Schwester von, Magd von …
Unter den 21 Namenlosen sind aber auch solche, die ein besonderes Gewicht haben, weil sie symbolisch gelesen werden wollen: In einer Figur wird eine andere kollektive Größe sichtbar, ein Volk, Israel etwa, eine Stadt oder anderes.
Und schließlich gibt es im Johannesevangelium zwei Personen, die alles andere als unbedeutend sind, die dort aber niemals mit Namen genannt werden, nämlich die Mutter Jesu und der Jünger, den Jesus liebte. Diese Spur haben wir weiter verfolgt und haben gesehen: Namenlosigkeit bewirkt nicht immer und automatisch Bedeutungslosigkeit, sondern schafft Möglichkeiten, sich zu identifizieren. Was, wenn ich selbst – und sei es nur hin und wieder – der Jünger sein kann, den Jesus liebt?
Sie und die Mitautorinnen wählen ein ungewöhnliches Verfahren, um die Frauen vorzustellen: Sie versetzen sich in sie hinein, erzählen in deren Worten. Dies sehen Sie als „Spielzug göttlicher Geistkraft“. Wieso?
Den Text der Bibel lebendig werden zu lassen, mich hineinzuversetzen, steht in einer langen Tradition. Ignatius von Loyola etwa empfiehlt bei der Bibellektüre, „den Schauplatz zu bereiten“, also mir vorzustellen, ich sei in der biblischen Szene und würde riechen und schmecken, schwitzen oder frieren, geschubst werden oder ehrfurchtsvoll zuhören. Immer geht es darum, einzutreten in den Text. Die bib-
lischen Texte sind Einladungen, mit Gott in Berührung zu kommen, sie wollen nicht einfach nur distanziert und unbeteiligt gelesen werden. Dort, wo so etwas geschieht, ist göttlicher Geist wirksam.
Das Verfahren kommt auch an Grenzen. Zum Beispiel beim Schicksal der „Tochter des Jiftach“ (Buch Richter 11, 29 bis 40). Ihr Vater hatte sie zum Brandopfer bestimmt: „Er vollzog an ihr sein Gelübde, das er gelobt hatte.“ Da schreiben Sie selbst: „Angewidert möchte man das Buch – das heilige Buch! – zuschlagen!“ Am Ende hilft doch nur die exegetische und bibelwissenschaftliche Erklärung, um diese Erzählung halbwegs zu akzeptieren. Wäre es nicht besser, die Tochter des Jiftach im Vergessen ruhen zu lassen?
Manche Personen in der Bibel geben uns Hinweise, dass sie gar nicht als historische Persönlichkeiten wahrgenommen werden wollen, sondern als Figuren oder Kristallisationspunkte für Einsichten, die einmaliges Geschehen übersteigen. In der Jiftach-Geschichte kommt nicht von ungefähr ein damals weit verbreitetes Motiv vor, das wir aus Märchen kennen: Das tragische Versprechen, etwas zu opfern, das aber so unbestimmt formuliert wird, dass es in die Katastrophe führt.
Das ist ja ein erster Hinweis, hier nicht mit einer historischen Begebenheit zu rechnen.
Mit der bibelwissenschaftlichen Tradition wird man sagen dürfen, dass die Tochter des Jiftach als Bild, als Personifizierung für Israel steht. Und der Vater steht für diejenigen Herrscher Israels, die versagt haben. Allgemeiner: Diejenigen Texte der Heiligen Schrift, die nicht auf den
ersten Blick zugänglich sind, einfach wegzulassen, das ist auf Dauer keine Lösung. Jeder Zeit ist es von Neuem aufgegeben, sich dem Gesamt der Bibel zu stellen. Und die bildet die ganze Welt ab, das Schöne ebenso wie das Grauenvolle des ganzen Lebens, der ganzen Welt.
In welcher Weise kann das Buch „Zeigt Euch“ die Bibel für Frauen von heute neu wirksam werden lassen?
Der Zeitgeist prägt auch den Umgang mit der Bibel – das ist unvermeidlich, denn wir sind Kinder unserer Zeit. Vielleicht ist das „Frauenthema“ momentan eines der wichtigsten innerhalb der Kirche. Warum dann nicht die Stimmen der Vorgängerinnen im Glauben hörbar machen? Für meine beiden Mitautorinnen und mich haben die 21 Figuren wirklich neu zu reden begonnen. Wenn das Buch dazu beiträgt, Frauen zu ermutigen, ihre eigenen Geschichten aus der zweiten Reihe, aus dem Halbschatten oder aus dem Alltäglichen heraus zu erzählen und darin Gottes Spuren zu erkennen, dann wäre es nicht umsonst geschrieben.
Das Buch ruft aus meiner Sicht nach Austausch und Gespräch. Welche Gelegenheiten wird es dazu geben?
Der Auftakt war im Juni eine Buchvorstellung auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Dann gibt es von uns Dreien unterschiedliche Veranstaltungen an unterschiedlichen Orten. Im Frankfurter Haus am Dom findet am 22.Oktober ein Workshop statt, den ich leiten werde.