Tobias Heisigs überzeugendes Buch
Zeit für Mutausbrüche
Die Kirche kriselt, der Glaube schwindet. Was tun? Der Unternehmensberater und Theologe Tobias Heisig gibt in seinem großartigen Buch viele konkrete Tipps, wie Christen in kleinen Schritten Neuanfänge schaffen können.
Von Andreas Lesch
In seiner Nachbarschaft, berichtet Tobias Heisig, stehe bei einer Familie an der Haustür mit Kreide geschrieben: „Gottlos glücklich“. Als er diese Inschrift erstmals wahrgenommen habe, habe sie ihn geschmerzt. Zwei Gedanken seien ihm durch den Kopf geschossen. Der erste: „Da will jemand provozieren und hält uns Christen für geistig minderbemittelte Menschen, die ihre Religion als eine Art Beruhigungsmittel brauchen.“ Der zweite – und das war vielleicht die tatsächliche Provokation: „Wenn das wahr wäre ... – ja, was wäre dann?“
Dann aber hat Heisig sich gedacht: Stopp! Woher weiß ich, dass das so gemeint ist? Warum nicht hingehen, klingeln, fragen? Der Theologe und Psychologe erzählt in seinem lesenswerten Buch viele solcher Geschichten. „33 Mutausbrüche für mehr Glaube im Alltag“ heißt es, und der Titel verspricht nicht zu viel. Zunächst analysiert Heisig die Situation der Kirche: Vieles in der Kirche rege uns kaum an. Veränderungen dauerten zu lange. Wir hinterfragten die Institution, aber auch unseren Glauben. Nicht selten entgleite er.
Aber Heisig findet nicht nur Probleme, er sucht auch Lösungen. Dabei nutzt er seine Expertise als Unternehmensberater. Seit 25 Jahren begleitet er Menschen und Unternehmen bei Veränderungsprozessen, das spürt man in jeder Zeile seines Buches. Heisig macht Mut, seine Stärken zu entdecken und zu nutzen. Dafür, Veränderung zu wagen. Er schreibt klar, klug und konstruktiv. Er schaut mit seinem analytischen Blick auf Kirche und Gläubige, aber nie kühl und distanziert, sondern immer liebevoll und zugewandt. Heisig erklärt, wie wir hemmende Denkmuster überwinden können. Er baut Übungen ein, die die Chance bieten, seine Theorien gleich praktisch zu erproben. Und er zitiert Bibelstellen, um zu zeigen, wie der Glaube uns helfen kann, Mut für Neues zu schöpfen.
Jeder Mensch kann mitgestalten
In der Wirtschaft, erläutert Heisig, müsse in einer unsicheren Welt kurzfristiger und radikal neu gedacht werden. Geschäftsmodelle, die heute erfolgreich sind, sind es wohl morgen nicht mehr – etwa Verbrennungsmotoren. Müssten wir nicht auch in der Kirche den Mut haben, neue Wege zu gehen? Heisig ermuntert zu Initiativen, die von der Basis kommen, von uns – „ohne offiziellen Auftrag und vielleicht auch gegen die Konventionen“. Er betont: „Jeder Mensch kann und soll mitgestalten.“ Wir sollten unserer Inspiration folgen und uns nicht leicht irritieren lassen.
„Ich möchte nicht geduldig sein“, schreibt Heisig. Ihn schmerzt es, „dass sich die Kirche angesichts von Skandalen und mangelnden Reformen im Kreis dreht und in der Sackgasse steckt“. Und ihn treibt die Angst vor dem Verschwinden der Kirche, aber auch die Freude, die er durch Begegnungen zu existenziellen Fragen erfahren hat.
Je kleiner die Volkskirche wird, so Heisig, desto mehr Mut bräuchten wir, den Glauben sichtbar zu leben. Er ruft dazu auf zu überlegen, wie Verkündigung heute funktionieren kann. Heisig schlägt vor, „Situationen zu schaffen, in denen sich Menschen selbst mit der Frohen Botschaft auseinandersetzen und, wenn sie mögen, sich selbst überzeugen“.
Seine Mutausbrüche erzählen davon, wie Menschen im Alltag den Glauben zur Sprache bringen – plötzlich, überraschend, offensiv. Und wie sie dadurch Situationen verändern. Am Ende jeder Geschichte stellt Heisig Fragen: Wie berührt mich die Geschichte? Und wie würde ich selbst in der Situation handeln? Die Fragen fordern und bringen was in Gang. Manchmal piksen sie ganz schön.
Gott ist dabei
Eine Geschichte handelt von einem Zug, der auf freier Strecke wegen eines Maschinenschadens stoppt. Und von einer Frau, die sagt: „Ich habe auch keine wirklichen Antworten in solchen Situationen. Aber mir hilft es, wahrzunehmen, was um mich herum ist. Es gibt auf Zugfahrten oft so viel Schönes zu sehen. Ich denke dann, Gott ist dabei.“
Danach fragt Heisig: Was finde ich an dieser Geschichte interessant? In welchen öffentlichen Situationen möchte ich mich besinnen? Wenn ich in dieser Situation von dem erzähle, was mir wirklich wichtig ist, was passiert dann? Welche Gefühle habe ich, wenn ich so offen bin? Warum sind diese Gefühle gut?
Gar nicht so leicht, darauf Antworten zu finden. Aber gerade das macht die Fragen so reizvoll. Heisig stellt viele von ihnen:
Was würde mir ein religiöses Zeichen in meiner Wohnung bedeuten? Wie fühlt es sich für mich an, wenn andere das sehen?
Wo bin ich in meinem Beruf mit meinem christlichen Selbstverständnis im Einklang? Wo nicht?
Was ist meine Hoffnung heute? Was könnte ich davon erzählen? Wie? Wem?
Die Fragen können uns helfen, über unseren Glauben zu reden. Denn darin, schreibt Heisig ganz richtig, sind wir kaum geübt.
Tobias Heisig: 33 Mutausbrüche für mehr Glaube im Alltag. Vier-Türme-Verlag. 160 Seiten. 18 Euro