Winfried Reininger, Seelsorgedezernent im Bistum Mainz

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Welche Antworten gibt Seelsorge auf eine Flutkatastrophe oder eine nicht enden wollende Pandemie? „Keine schnellen“, sagt Winfried Reininger. Der neue Seelsorgedezernent hatte selbst schon einmal eine „radikale Anfrage an Gott“.



Winfried Reininger ist seit Juli Seelsorgedezernent im Bistum Mainz


Papst Franziskus, Alfred Delp, Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler: Winfried Reininger spricht von seinen Vorbildern und lächelt verschmitzt. „Das sind so meine Helden.“ Seine Vorbilder eint ihr beherzter Einsatz für die Mitmenschen, für Ausgegrenzte und Benachteiligte: der Papst auf den Spuren des heiligen Franz von Assisi, der Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus und der Bischof, der sich im
19. Jahrhundert für die Arbeiterschaft engagierte.
Seit Juli ist Winfried Reininger Leiter des Seelsorgedezernats im Bistum. Die „soziale Ader“ zieht sich wie ein roter Faden durch seinen beruflichen Werdegang als Seelsorger und Pastoralreferent (siehe „Zur Person“). 2003 gründete der Kirchenmitarbeiter im Bistum die Initiative Sozialpastoral mit, er arbeitete beim Diözesancaritasverband als Referent für Gemeindecaritas und entwickelte dort zusammen mit seinem Vorgänger Hans Jürgen Dörr das Bistumsziel Sozialpastoral.

Caritas und Seelsorge sind gemeinsam stärker
Was ist aus der Sozialpastoral im Bistum geworden? „Die aus dem Bistumsziel Sozialpastoral hervorgegangenen ,Tandems‘, also Kooperationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas mit denen der Pastoral haben sich bewährt“, antwortet der Theologe. Für den neuen Seelsorgedezernenten ist die engere Verbindung von Caritas und Seelsorge ein großes Anliegen. „Gemeinsam sind wir stärker!“, ist der Pastoralreferent überzeugt und formuliert, was passieren muss, damit die beiden Felder der Kirche wieder mehr zusammenkommen: „Die Gemeindeseelsorge sollte das caritative Engagement stärker in den Mittelpunkt rücken, die Caritas stärker über ihre christlichen Quellen nachdenken.“
In den Gemeinden gibt es viel mehr soziales Engagement, „als manche wahrnehmen, aber es muss gefördert und wertgeschätzt werden“, so Reininger. Auf Nachfrage, was das genau bedeutet, weist der Pastoralreferent auf die drei Grundvollzüge der Kirche hin: die Diakonia (Dienst an den Menschen), die Martyria (Verkündigung) und die Liturgia (gottesdienstliche Feier). „Diese sollten in den Gemeinden gleich wertgeschätzt werden. Da gibt es keine theologische Rangfolge.“
Winfried Reininger nennt ein Beispiel: „Der Begräbnisdienst ist aus meiner Sicht der wichtigste diakonische Dienst, nicht nur ein liturgischer Dienst. Auf die Qualität dieses Dienstes sollten wir ganz viel Wert legen.“ Der Begräbnisdienst sei auch ein Dienst der Verkündigung: Im Kontakt mit Trauernden „erreichen wir Menschen, die wir sonst nie erreichen.“
Und wie kann durch die Seelsorge im Bistum die Caritas spiritueller werden? Hier spricht sich Winfried Reininger dafür aus, mehr Raum anzubieten, beispielsweise Fortbildungen, damit Mitarbeitende über ihren Glauben ins Gespräch kommen. Der Seelsorgedezernent wünscht sich, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche den Blick für die vielen positiven Beispiele pastoralen Wirkens der Kirche nicht verlieren. Viel Kritik an der Kirche sei angesichts der Missbrauchskrise berechtigt. Die Kontrolle der Macht, die Rolle der Frauen in der Kirche, die Sexualmoral und die Frage der priesterlichen Lebensform müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Aber in vielen Feldern der Kirche im Bistum Mainz werde eine wertvolle Arbeit geleistet, in der Seelsorge, in den Einrichtungen der Caritasverbände und auch im Bildungsbereich, das sollte nicht vergessen werden.
Nicht nur Kirchenkrise, auch Corona, Extremwetter oder die aktuellen Ereignis-Kaskaden in der Weltpolitik untergraben gerade bei vielen Menschen das Gottvertrauen. Was hat die Kirche, speziell die Seelsorge, Menschen als Antwort auf ihre Ängste und Sorgen zu bieten? Winfried Reininger greift als ein Beispiel die Flutkatastrophe heraus. „Viele Helfer aus Gemeinden sind ins Ahrtal gefahren und haben mit angepackt. Die Notfallseelsorger sind vor Ort tätig. Aber das ist in der Öffentlichkeit nicht immer sichtbar.“ Allerdings sei mittlerweile in der Berichterstattung über die Flutkatastrophe die Arbeit der Notfallseelsorge in der Presse angekommen, ergänzt Reininger.

Ratlosigkeit zusammen aushalten

Angesichts einer Situation, in der der Kirche zunehmend finanzielle Mittel und Personal fehlen, mahnt der Dezernent: „Die kirchlichen Dienste haben eine wichtige Funktion für die Gesellschaft. Es lohnt sich, dass wir diese so gut erhalten, wie wir können.“ Daher sei es wichtig, trotz aller Schwierigkeiten als Kirche mit Gottvertrauen durch die Zeit zu gehen. „Wenn uns das Gottvertrauen verloren geht, dann haben wir ein Problem.“
Und was sagt ein Seelsorger Menschen, die das Gefühl haben, die ganze Welt, ob nah oder fern, steht Kopf? Oder Menschen, die durch Hochwasser einen lieben Menschen oder ihr Hab und Gut verloren haben? Reicht es da, zuzuhören? Reininger: „Eine erste Antwort auf eine Katastrophensituation ist das Zupacken, das selbstverständliche Mittun.“ Aber auch Seelsorger stünden oft ratlos da. „Das zusammen auszuhalten, ist Aufgabe von Seelsorge. Keine schnellen Antworten zu geben. Das klingt so passiv, ist aber anstrengende Seelsorge-Arbeit.“

Glaube hat ihn durch schwere Zeit getragen

Winfried Reininger wird nachdenklich, denn er selbst war in einer Situation, in der er eine „radikale Anfrage an Gott“ hatte. Er spricht vom Tod seiner ersten Ehefrau durch einen Hirntumor, der ihn mit zwei Kindern im Alter von sechs und zehn Jahren zurückließ. „Dass der Glaube in so einer Situation zerbrechen kann, dafür habe ich vollstes Verständnis.“ Sein Vertrauen in Gott habe ihn dennoch durch diese schwere Zeit getragen. „Das ist ein Geschenk, und dafür bin ich dankbar.“ Er umschreibt das Verhältnis von Angst und Vertrauen mit einer Szene aus dem Neuen Testament. „Als Jesus und seine Jünger mit dem Boot den See überqueren und ein Sturm aufkommt, rufen die Jünger zu Jesus: ,Herr, schläfst du?‘. Ich bin sicher“, sagt Winfried Reininger, „Jesus ist dabei. Er ist da.“

Von Anja Weiffen