Bischof Wolfgang Ipolt feiert 70. Geburtstag

„Wer, wenn nicht wir ...?“

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Bischof Wolfgang Ipolt
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Foto: Dorothee Wanzek

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Wolfgang Ipolt geht im Treppenhaus des Bischöflichen Ordinariats Görlitz jeden Tag an der Galerie seiner Vorgänger vorbei.  

Am 17. März feiert Bischof Wolfgang Ipolt seinen 70. Geburtstag in Görlitz, der Stadt, in der er seit 13 Jahren lebt. Im Gespräch mit dem TAG DES HERRN hat er erzählt, was ihn prägte und was ihn heute bewegt.

„Farbe zu bekennen, mich nicht abzuducken, habe ich von meinem Vater und meiner Mutter gelernt“, sagt Wolfgang Ipolt. Seinen Eltern sei bewusst gewesen, dass sie als Christen im politischen System der DDR unerwünscht waren. Es war ihnen aber wichtig, zu ihrem Glauben zu stehen. 
In der großen und lebendigen St. Bonifatius-Gemeinde im thüringischen Gotha hatten sie nach ihrer Vertreibung aus dem Sudetenland Halt gefunden. Von klein auf erlebte der heutige Bischof von Görlitz, dass seine Familie zu Hause gemeinsam betete, die Feste des Kirchenjahres feierte und sich in der Kirchengemeinde engagierte. Fast seine komplette Freizeit verbrachte er als Heranwachsender mit seinen Freunden in der Gemeinde, nahm Teil am Leben der Kinder- und Jugendgruppen, später auch an Bibelwochen und anderen Kursen in katholischen Jugendhäusern in Heiligenstadt und Erfurt. 
„Schon früh habe ich Verantwortung übernommen“, berichtet Wolfgang Ipolt. Bald nach seiner Erstkommunion wurde er Ministrant. Mit 16 Jahren leitete er eine Messdienergruppe. „Das Vertrauen, das der Kaplan mir damals schenkte, hat mich gestärkt, ich bin daran gewachsen“, sagt er im Rückblick. 
Als Ältester von vier Geschwistern war er der erste in der Familie, der nicht bei den Jungen Pionieren mitmachte, der nicht in die FDJ eintrat und auch nicht an der Jugendweihe teilnahm. Lehrer und Schulleiter setzten der Maßgabe der SED entsprechend Druck und Überzeugungskraft ein, um die Eltern umzustimmen, erinnert er sich. Bei den Geschwistern hätten die Eltern dann schon sichtlich weniger auszufechten gehabt. Den Schulen sei wohl klar geworden, dass ihre Erfolgsaussichten bei Familie Ipolt gering waren, vermutet der Bischof. 
Manche Lehrer hätten sich durchaus verständnisvoll und menschlich gezeigt. „Und wir unsererseits hatten ein gewisses Verständnis dafür, dass sie kaum anders handeln konnten“, sagt er. Für den Junglehrer, der der Klasse nach den Sommerferien 1968 erklären musste, dass der Einmarsch der Russen in Prag zwei Wochen zuvor erfolgt war, weil die Tschechen Russland um Hilfe gebeten hätten, empfand Wolfgang Ipolt beinahe Mitleid - jedenfalls im Nachhinein. Er erinnert sich noch an das Raunen unter seinen Mitschülern: „Das ist doch gelogen!“ Schließlich verfolgten so gut wie alle das Geschehen in der ČSSR seit Tagen auch über westliche ARD, ZDF und westliche Rundfunksender. 
Mit steigendem Alter war er zunehmend herausgefordert, in der Schule selbst seinen Glauben zu vertreten, erzählt der Bischof. „Wir waren zwei Katholiken in der Klasse; manchmal haben wir auf dem Schulhof gute Argumente ausgetauscht und uns gegenseitig geholfen, wenn die Lehrer zu arg gegen Kirche und Glauben argumentierten. Abends sind wir oft zum Kaplan gegangen und haben uns zurüsten lassen für die philosophische Auseinandersetzung, die insbesondere in den oberen Klassen gefragt war.“

Wegen Protestaufklebern zum Polizeiverhör

Als er einmal im Deutschunterricht einen Vortrag über Rolf Hochhuths Schauspiel „Der Stellvertreter“ zu halten hatte – es geht darin um Papst Pius XII. und seine Haltung zu den Juden – bereitete er sich darauf gemeinsam mit einem Experten aus dem Jesuitenorden gründlich vor. 
Zunehmend wurde dem vorwiegend naturwissenschaftlich interessierten Jugendlichen bewusst, dass aus seinem Kindheitstraum, Lehrer zu werden, mit seiner Weltanschauung wohl nichts werden würde. Trotzdem schickte er vor dem Abitur eine Bewerbung als Biologie- und Chemielehrer ab. Wie erwartet erhielt er eine Absage. Stattdessen wurde ihm eine Ausbildung zum Chemielaboranten angeboten. Gerade in dieser Zeit bewegte ihn der Gedanke, Priester zu werden, immer stärker. „Ich habe aber bis 48 Stunden vor der Abizeugnis-Ausgabe gezögert, dem Schulleiter mitzuteilen, dass ich Theologie studiere und damit den mir angebotenen Ausbildungsplatz ausschlage“, erinnert sich Ipolt. „Ich hielt es für wahrscheinlich, dass man mir deshalb das Zeugnis verweigern würde.“ Gleich nach der Feier zitierte der Direktor ihn zu sich und fragte, was er denn nun zu studieren gedenke. Die Reaktion auf sein Bekenntnis hat Wolfgang Ipolt bis heute lebhaft vor Augen: „Er lief rot an und hielt mir vor: ,Damit verraten Sie unseren Arbeiter- und Bauernstaat. Wir haben Ihnen die Schulausbildung bezahlt, und Sie kehren uns jetzt den Rücken‘.“ Sein zaghafter Einwand „Ich bleibe doch aber in der DDR“ verhallte. 
„Wir konnten die Gesellschaft in der DDR nicht mitgestalten, auch wenn das Zweite Vatikanische Konzil uns das nahegelegt hatte“, ist Ipolt bewusst, „allenfalls haben wir uns hier und da eingemischt.“ Nachdem die Sow- jetunion 1979 in Afghanistan einmarschiert war, hätten sich zum Beispiel etliche junge Christen zu einem stillen Protest entschieden. Auch er, der junge Kaplan, trug an seiner Jacke einen Aufkleber mit einem Symbol der von der evangelischen Kirche ausgehenden Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“. Das brachte ihm ein Verhör bei der Staatssicherheit ein. 
Seine Priesterberufung habe er vor seiner Weihe im Jahr 1979 nicht als Entscheidung gegen das politische System verstanden, macht Wolfgang Ipolt deutlich. Priester zu werden, sei für ihn allein eine Entscheidung für Gott und für die Kirche gewesen. Auch im Weltanschauungsstaat DDR sollte das Evangelium hörbar bleiben. Er hat diese Entscheidung nie bereut, betont er, obwohl er damals nicht ahnen konnte, wie massiv die Lebensumstände der Christen und auch die Kirche selbst sich verändern würden. Gerade die politischen Veränderungen empfindet er als Reichtum. „Die aufregende Zeit nach der Wende brachte neue Herausforderungen und Fragen mit sich. Ich bin  dankbar, dass wir uns als Christen seither viel aktiver in die Gesellschaft einbringen können“, sagt der Bischof. 
Als Kaplan und später als Pfarrer habe er nach der Wiedervereinigung viele Katholiken ermutigt, sich politisch zu engagieren. „In unseren Reihen gab es viele, die das dann auch gut gemacht haben“, findet er, „sie waren in der Regel politisch unbelastet und hatten in kirchlichen Gremien eingeübt, sich zu Wort zu melden und kleine Leitungsaufgaben zu übernehmen.“ 
Auch den Veränderungen in der Kirche stehe er grundsätzlich positiv gegenüber: „Es ist natürlich, dass sich Gemeinschaften stetig verändern und weiterentwickeln“ sagt er. Insbesondere die Entwicklung hin zu einer synodaleren Kirche hält er für richtig. „Papst Franziskus will einen anderen Stil des Miteinanders in unserer Kirche. Ich stehe da voll hinter ihm“, betont er. 
In der Diaspora sei die Kirche da in mancherlei Hinsicht Vorreiterin. „Die Kirche in der früheren DDR war immer schon geprägt von einem guten Miteinander zwischen den Priestern und ehrenamtlich tätigen Frauen und Männern in den Gemeinden“, meint der Bischof. Diese guten Erfahrungen sollten aufgegriffen und vertieft werden. 
Zugleich ist er überzeugt, dass die Kirche in Deutschland auch von den Erfahrungen anderer Ortskirchen profitieren kann. Für die hiesige Kirche und ihren syno- dalen Weg hält er es aktuell für wichtig, sich mit der Weltsynode zu verbinden. „Ich möchte, dass wir uns nicht separieren und dass wir versuchen zu verstehen, was der Papst wirklich meint, wenn er von Synodalität und Evangelisierung als wichtigste Aufgabe spricht“, sagt er. 
Dankbar ist der Bischof besonders für die Erwachsenen in seinem Bistum, die sich für den Glauben entscheiden. „Es ist ein Wunder, dass Gott Menschen immer wieder auf so unterschiedlichen Wegen führt“, meint er.

Für Lebensschutz von Anfang bis Ende

Für wunderbar hält er auch die Zusage der Zisterzienser aus dem Stift Heiligenkreuz bei Wien, in Neuzelle eine neue Niederlassung zu gründen. Dies mitzuerleben bestärkt ihn, in seinem Glauben treu zu bleiben und – so wie es ihm die Eltern vorgelebt haben – zu dem zu stehen, was ihm heute wichtig ist. Sehr am Herzen liegt ihm derzeit, für die Würde des Menschen einzutreten, vom Anfang des Lebens bis zum Ende. 
Seinen jüngsten Neujahrsempfang im Januar nutzte Bischof Wolfgang Ipolt, um den bestehenden Kompromiss zum Abtreibungs-Paragraphen 218 zu verteidigen und seine kritische Haltung zum assistierten Suizid zu bekräftigen. Zu seinem Geburtstag wünscht er sich keine Blumen oder Weinflaschen, sondern Spenden für ein katholisches Lebensschutz-Projekt in Schweden. „Wer tritt denn konsequent für den Lebensschutz ein, wenn wir Katholiken das nicht tun?“, fragt Wolfgang Ipolt.

Dorothee Wanzek