Weltfriedenstreffen in Berlin

Den Frieden wagen

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Ein Religonsführer im Gespräch mit zwei "einfachen" jungen Christinnen.
Nachweis

Fotos: Sant`Egidio

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Dialog zwischen Religionsführern und „einfachen“ Christen aller Generationen war auch beim letztjährigen Friedenstreffen in Rom zu erleben.

Das von Papst Johannes Paul II. ins Leben gerufene Weltfriedenstreffen kommt im September nach Berlin, an den Ort des Mauerfalls. Die Gemeinschaft Sant‘ Egidio hofft auf viele christliche Teilnehmer aus der Region.

Das internationale Friedenstreffen der geistlichen Gemeinschaft Sant‘Egidio findet in diesem Jahr erstmals in Berlin statt. Vom 10. bis 12. September erwarten die Organisatoren unter dem Motto „Den Frieden wagen. Religionen und Kulturen im Dialog“ bis zu 2 500 Teilnehmer an Gottesdiensten, thematischen Foren und einer Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor. Nach Aachen (2003), München (2011), Münster und Osnabrück (2017) ist das Treffen zum vierten Mal in Deutschland geplant.
1986 hatte Papst Johannes Paul II. Religionsoberhäupter nach Assisi eingeladen, rief Ursula Kalb von Sant‘Egidio bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Treffens in Erinnerung. Der damalige Papst sah im Zusammenwirken der Religionen ein großes Potenzial für die Weiterentwicklung des Friedens in der Welt und wollte diese Kraft ins Bewusstsein rücken und zur Entfaltung bringen. Sant‘Egidio, als geistliche Gemeinschaft in mehr als 70 Ländern vertreten, habe diese Tradition seitdem jährlich fortgeführt. 
Berlin sei wegen seiner Rolle als Hauptstadt Deutschlands und seiner Geschichte als Ort des Treffens ausgewählt worden, erläuterte Marco Impagliazzo, der Präsident der Gemeinschaft.  „Berlin ist die Stadt, wo die Mauern gefallen sind – das ist eine optimale Voraussetzung, sagen zu können, dass wir in einer Stadt sind, die der Welt bewiesen hat, dass man Mauern nicht nur bauen, sondern auch einreißen kann“, sagte er.
Von Beginn an habe man bei den Treffen nicht nur auf Gebete und Gespräche zwischen Religionsführern aus aller Welt und Politikern gesetzt, sagte Alexander Linke aus der Berliner Sant-Egidio-Gemeinschaft. Sehr wichtig sei von jeher auch der Austauch mit der Bevölkerung vor Ort, mit „einfachen“ Gläubigen, die in ihren Religionsgemeinschaften aktiv sind und von ihren Erfahrungen berichten können. „Jeder kann am Frieden mitarbeiten, nicht nur Diplomaten“, sei die Überzeugung, die dem zugrunde liege. 
Christen und Angehörige anderer Religionen aus Deutschland seien deshalb ausdrücklich zur Teilnahme eingeladen. Jeder dürfe kostenfrei an der Veranstaltung teilnehmen, müsse sich aber anmelden. In den Oberstufen der katholischen Schulen Berlins fällt am Montag der Unterricht aus, damit Schüler als Akteure an der Veranstaltung teilnehmen können. Dringend gesucht werden zudem Berliner, die ehrenamtlich bei der Vorbereitung und Organisation mitarbeiten, etwa an Informationsständen, die in der Hauptstadt schon jetzt auf das bevorstehende Großereignis aufmerksam machen, oder als Ordner, Kopfhörer-Verteiler für die Simultan-Übersetzungen oder in anderen Aufgaben während der Veranstaltung selbst. 

Religion, Teil der Lösung und Teil des Problems

Zu den prominentesten Teilnehmer, die sich bisher angesagt haben, gehören Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der Großscheich und Imam der Kairoer Al-Azhar-Moschee, Ahmad Al-Tayyib, sowie der israelische Oberrabbiner David Lau. Das Treffen werde mit 800 000 Euro von der Bundesregierung mitfinanziert, hieß es. Der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, erklärte, er sei dankbar, dass Sant‘Egidio nach Berlin komme. „Gesellschaften können sich nicht friedlich entwickeln, Staaten und Völker nicht in einem guten Einvernehmen leben, wenn sich die Religionen nicht um ein Gemeinwohl kümmern, das die Anders- und Ungläubigen, die Nachbarn und die Fremden diesseits und jenseits der staatlichen Grenzen einbezieht.“ Religion könne beides sein: Teil der Lösung und Teil des Problems, Ursache und Brandbeschleuniger für gewalttätig ausgetragene Konflikte, aber auch eine „formende Kraft für den Frieden“.
 

Eine junge Frau berrichtet von Gewalt.
Eine junge Frau berichtete beim letztjährigen Treffen von Gewalterfahrungen während ihres sechsjährigen Aufenthalts in einem libyschen Flüchtlingslager. Mit Hilfe eines Projektes von Sant‘ Egidio konnte sie ausreisen.

Der evangelische Landesbischof Christian Stäblein nannte das Weltfriedenstreffen „ein Ereignis, das wir kaum überschätzen können“. Heute brauche man das gemeinsame Friedensgebet mehr denn je.
Deutliche Kritik übte Stäblein in diesem Zusammenhang an der russisch-orthodoxen Kirche, ohne diese namentlich zu nennen: „Wer den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine legitimiert, verfehlt den Auftrag des Evangeliums.“
Der Krieg in der Ukraine werde durchaus Thema des Treffens sein. Nach aktuellem Stand werde in diesem Jahr kein russisch-orthodoxer Bischof teilnehmen, wohl aber Teilnehmer aus anderen orthodoxen Kirchen. Beim letztjährigen Treffen in Rom, an dem auch Papst Franziskus teilnahm, war das noch anders. Dort war ein Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche anwesend, allerdings war er nicht eingeladen, auf einem Podium zu sprechen. 
Die internationalen Friedenstreffen hätten durchaus erkennbare Wirkungen gezeigt, schätzt Sant‘Egidio-Präsident Marco Impagliazzo ein. Nach dem 11. September 2001 beispielsweise galt  der Islam als Religion der Gewalt. Seither haben führende Vertreter des Islam, beispielsweise des ortodox-sunnitischen Islam, sich deutlich von Gewalt distanziert und wesentliche Schritte auf dem Weg des Friedens unternommen.  
Die respekt- und vertrauensvolle Atmosphäre der Treffen trage dazu bei, ist Alexander Linke überzeugt, der seit dem Jahr 2000 fast jedesmal dabei war. Veränderungen würden möglich, wenn niemand Angst haben müsse, das Gesicht zu verlieren, wenn er sich von früheren Positionen distanziere und wenn auch kleine Schritte wertschätzend honoriert würden. Er erinnert sich unter anderem an Teilnehmer, die zunächst die Überzeugung vertraten, die Shoah sei eine Erfindung der Juden, diese Meinung dann aber geändert hätten. Ein marokkanischer Muslim, der für das Friedenstreffen erstmalig sein Land verließ, habe dort Christen nicht nur als ehemalige Kolonialherren kennengelernt, sondern als Menschen, die etwas Gutes wollten. „Unser Ziel ist die Annäherung“, betont Alexander Linke.
„Jede der Veranstaltung, die ich bisher miterlebt habe, war eingebunden in die jeweilige Zeit und nahm Bezug auf aktuelle Ereignisse und Stimmungen der Weltpolitik“, sagt der Berliner.  

Die Mauern der heutigen Zeit überwinden

In der Stadt der überwundenen Mauer würde insbesondere der Frage nachgegangen, wie sich Mauern der heutigen Zeit überwinden lassen, etwa das Mittelmeer als große „Mauer“ Europas, an der viele Menschen ihr Leben lassen. Es werde auch um die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz gehen, die es schwieriger mache, Fake-Nachrichten zu identifizieren und zu erkennen, was Wahrheit ist. Zu allen Themenfeldern brächten viele gläubige Menschen ihre persönlichen Erfahrungen ein, immer in Verbindung zwischen regional, europäisch und weltweit. Das erde den Dialog und verleihe ihm eine große Ernsthaftigkeit. Die Mitglieder von Sant‘ Egidio etwa berichteten unter anderem von ihren Erfahrungen der Freundschaft mit den Armen und der Freundschaft zwischen Generationen und von einem jüdisch-muslimischen Studienkolleg, das in diesem Jahr eröffnet wurde.   
Alexander Linke sieht die Friedenstreffen als große Horizonterweiterung, als Chance, etwas von anderen Weltreligionen zu lernen. Ihm sei Asien beispielsweise sehr fremd gewesen, und er sei nun dabei, die dort vertretenen Religionen allmählich besser zu verstehen, etwa den japanischen Shintoismus.

Anmeldung: www.santegidio.org

kna/tdh