Frater Rafael Maria Klose aus Berlin-Biesdorf erzählt seine Berufungsgeschichte
Mönch aus atheistischem Haus
Foto: Privat
„Dies tat ich für euch – was tut ihr für mich?“ Dieser einfache Spruch steht an einem Kreuz in der Dominikanerkirche St. Paulus in Berlin-Moabit. Den gekreuzigten Jesus vor Augen soll sich der Leser fragen: „Welche Konsequenzen ziehe ich in meinem Leben daraus, dass Jesus für mich am Kreuz gestorben ist?“ Es ist eine Frage nach unseren Entscheidungen und nach dem Lebensweg, den wir eingeschlagen haben. Für mich ist es vor allem eine Erinnerung an meinen eigenen Berufungsweg: Was hat Gott mir in meinem Leben geschenkt? Und welche Konsequenzen habe ich daraus gezogen?
Gott als Fantasiefreund, den manche brauchen
Was Gott für mich getan hat, wusste ich als Kind nicht. Geboren 1996 und aufgewachsen in einer seit DDR-Zeiten atheistischen Familie und Umgebung dachte ich damals: „Gott gibt es doch gar nicht.“ Für mich war er nicht mehr als eine abstrakte Idee oder ein Fantasiefreund, den manche halt brauchen. Auch mit praktizierenden Christen bin ich damals nicht wirklich in Kontakt gekommen. So verbrachte ich eine schöne und unbeschwerte Kindheit in Biesdorf, aber wusste nichts von der Gegenwart Gottes in meinem Leben.
Dennoch gab es kleine Berührungspunkte zum Christentum: Sei es im Geschichts- und Ethikunterricht an der Schule, bei Urlaubsbesuchen in Kirchen und durch die Kinderbibel, die wir aus kulturellen Gründen zu Hause hatten. Diese Spuren Gottes sind mir erst im Rückblick bewusst geworden und doch haben sie schon damals mein Interesse am Christentum genährt.
Bewusst wurde mir das im Alter von 14 Jahren. Es war die Zeit, als plötzlich in meinem Innern die großen Lebensfragen auftauchten: Was ist der Sinn meines Lebens? Warum und wozu bin ich auf dieser Welt? Ich begann, nach Antworten zu suchen, beschäftigte mich mit Philosophie. Doch die Antwort fand ich in meinem Herzen: Mir wurde bewusst, dass hinter meinem Interesse am Christentum eine tiefe Sehnsucht steckte, diese Religion und diesen Gott besser kennenzulernen.
Bibellektüre führt zur Taufe
Um „nichts zu überstürzen“ legte ich mir deshalb zunächst eine Bibel zu und las sie innerhalb von zwei Jahren. Diese Lektüre wurde zu meiner ersten Begegnung mit Gott, den ich vorher überhaupt nicht kannte. Doch durch den Text erkannte ich Gottes Größe, erkannte, dass er als Schöpfer hinter allem steht, dass er als Herr der Geschichte unser Leben lenkt und leitet – und dass er in Jesus Christus zu uns gekommen ist, um uns zu erlösen. Das alles erkannte ich nicht nur: Ich glaubte es. Innerlich vom heiligen Text ergriffen, wollte ich Gott darauf Antwort geben. Ich begann zu beten und lernte ihn so persönlich kennen. Und ich spürte seinen Ruf: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15) Mir war klar: „Es ist Zeit für meine Taufe!“
Damit war die Zeit gekommen, mich auch öffentlich zu Christus zu bekennen: Ich erzählte Familie und Freunden davon und nahm Kontakt zu Pfarrer Michael Kulpinski auf, der damals die Pfarrei in Biesdorf leitete. Bei ihm besuchte ich einen Glaubenskurs und durfte schließlich im Alter von 17 Jahren in der Kirche Maria, Königin des Friedens die Taufe, Firmung und Erstkommunion empfangen.
Das war der Beginn eines neuen Lebens – eine Wiedergeburt im christlichen Sinn: Nun gehörte ich zu Christus und seiner Kirche. Ich änderte mein Leben, versuchte, alles auf Gott auszurichten. Ich wuchs in die Gemeinschaft der Gläubigen hinein, wurde Teil der Pfarrjugend und der Ministranten in Biesdorf. Ich entdeckte das katholische Berlin mit seinen vielen Oasen gelebten Glaubens inmitten der Stadtwüste.
Als es später auf das Abitur zuging, stellte ich mir noch einmal die Fragen „Wozu bin ich auf dieser Welt? Was mache ich mit meinem Leben?“ Ich war frei und ungebunden, alle Türen standen mir offen. Sollte ich ein aussichtsreiches Studium absolvieren und gutes Geld verdienen? Eine Familie gründen? Mir war klar: Gott soll die zentrale Rolle für meine Entscheidung spielen! Schließlich war doch alles, was ich hatte, sein Geschenk: Meine wunderbare Kindheit in Biesdorf, meine Talente und vor allem mein neues Leben im Glauben. Wozu hatte Gott mir all das Gute gegeben? Doch nicht, um es für mich selbst zu behalten, sondern um es mit anderen zu teilen. So wurde mir klar, dass ich mir keine eigene, abgeschottete Existenz aufbauen wollte, keine Karriere, kein Haus, keine Familie, sondern eine Existenz ganz für die anderen und für Gott: Ich entschloss mich, Priester zu werden.
Kein „verrückter“ Mönch werden
Gleichzeitig war es für mich unvorstellbar, in einen Orden einzutreten. Etwas Eigenständigkeit und Freiheit wollte ich mir doch erhalten und nicht wie diese „verrückten“ Mönche arm, ehelos und gehorsam in einem Kloster leben. Doch Gott belehrte mich eines Besseren: Im Gebet zeigte er mir, dass gerade das Ordensleben für mich der Weg war, um wirklich frei zu sein: Durch Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam ungebunden zu sein an weltlichen Besitz, an exklusive Beziehungen und Egoismus; ganz frei zu sein für Gott und meine Mitmenschen.
Auf der Suche nach einer geeigneten Gemeinschaft wurde ich auf den Dominikanerorden aufmerksam und lernte den Konvent St. Paulus in Berlin-Moabit kennen. Was mich von Anfang an den Dominikanern faszinierte, war sein Ziel: „Die Predigt und das Heil der Menschen.“ Für die Dominikaner geht es nicht darum, durch ihr Leben im Kloster heilig zu werden, sondern durch ihren Dienst andere zum Heil zu führen. Über den Ordensgründer, den heiligen Dominikus, heißt es deshalb auch: „Er sprach nur mit Gott und von Gott“ – mit Gott im Gebet und von Gott in der Predigt. So verstehen die Dominikaner das Ordensleben nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel, um Gott zu begegnen und dann ihren Mitmenschen seine Frohe Botschaft zu verkünden.
Sich immer wieder neu auf Gott einlassen
Genau darin habe auch ich meinen Lebensweg und meine Berufung wiedergefunden: Das Gute, das ich von Gott empfangen habe, mit anderen zu teilen. Nach dem Abitur und einem sozialen Jahr als Freiwilliger in der Bahnhofsmission am Berliner Hauptbahnhof, trat ich mit 19 Jahren in den Orden ein. Nach einem Jahr als Novize in Worms legte ich 2018 meine Einfache Profess (das zeitliche Ordensversprechen) ab. Seitdem lebe ich in unserem Wiener Konvent und studiere Katholische Theologie, nur unterbrochen durch ein Auslandsjahr bei den Mitbrüdern in Saint Louis (Missouri, USA).
Ordensleben ist nicht immer einfach – es heißt, sich immer wieder neu auf Gott und die Gemeinschaft der Mitbrüder einzulassen, an den anderen zu wachsen, Fehler zu machen und zu lernen. In den letzten sechs Jahren habe ich geprüft, ob das wirklich meine Berufung ist. Schließlich habe ich erkannt: Das ist der Weg auf den Gott mich gerufen hat. Hier kann ich ganz ihm dienen und darin glücklich sein.
So habe ich mit guten Gewissen und im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit am 25. Februar hier in Wien meine Feierliche Profess abgelegt und mich damit bis zum Tod an den Dominikanerorden gebunden. Der nächste Schritt ist für mich, das Studium abzuschließen. So Gott will, werde ich dann die Weihen zum Diakon und Priester empfangen und mich ganz der „Predigt und dem Heil der Menschen“ widmen.