Buch über 1939er Fronleichnamsprozession in Berlin
Bilder, in denen viel Musik ist
Fotos: Metropolitankapitel bei St. Hedwig
Herr Klapczynski, sind Sie ein Fronleichnams-Freund?
Ja, das bin ich. Als Kind habe ich in meiner Gemeinde St. Martin im Märkischen Viertel regelmäßig an den Prozessionen um die Kirche herum teilgenommen.
Sie haben ein Buch über Fronleichnam geschrieben. Im Mittelpunkt steht die Fronleichnamsprozession in Berlin im Jahr 1939. Was war der Anlass?
Beim Ordnen des Metropolitankapitel-Archivs sind wir auf zahlreiche historische Farbfotos gestoßen. Im Diözesanarchiv gab es noch weitere. Die insgesamt 75, technisch hochwertigen Bilder dokumentieren die letzte Prozession vor dem Zweiten Weltkrieg von Anfang bis Ende und sind auch deshalb historisch von hohem Wert. Da ist viel „Musik“ drin. Wer sie gemacht hat, wissen wir leider nicht.
Was war anders als heute, was gleicht sich?
Vieles ist ähnlich wie heute. Vielleicht sind keine 300 Ordensfrauen mehr auf dem Platz, die ihn in ein schwarz-weißes Meer verwandeln. Aber natürlich stehen Elemente wie die Monstranz mit der geweihten Hostie immer noch im Zentrum, oder der mit ihr unter einem Baldachin laufende Bischof.
Vieles wirkt auf uns heute aber ein wenig fremd. Schließlich fand der Gottesdienst ja nicht in dem Ritus statt, den wir seit dem II. Vatikanischen Konzil kennen. So wurde damals standardmäßig in feierlichem Latein gegen den Krieg gebetet – eine ungeheure Provokation gegenüber den Machthabern. Zumal sich Hitler in seinen letzten Kriegsvorbereitungen befand.
Welche bedeutenden Akteure sind erkennbar?
Auf einem Bild sind gleich zwei spätere Märtyrer zu sehen, die inzwischen von der Kirche als Selige verehrt werden: der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg, der sich für verfolgte Juden einsetzte und in Israel als „Gerechter unter den Völkern“ gilt, und Petro Werhun, der Seelsorger für die katholischen Ukrainer in Deutschland, der später von den Sowjets in Sibirien umgebracht wurde. In diesem Bild steckt irgendwie auch eine Botschaft in unsere bedrückende Gegenwart hinein. Auf einem weiteren Foto, vermute ich, erkennt man Alfred Bengsch als Ministrant.
Aber von großem Wert sind die Fotos ebenfalls, weil man auch die „kleinen Leute“ sieht. Man könnte die eigene Oma oder den eigenen Opa entdecken.
Der Buchtitel „Via triumphalis – Via dolorosa“ klingt nach einem Gegensatz.
Die Straße „Unter den Linden“ ist die historische Prachtstraße, auf der Preußen seine „großen Siege“ feierte. Als die Nazis an die Macht kamen, machten sie sich die Straße sofort zu eigen, verzierten sie mit hohen Säulen, mit goldenen Adlern und Hakenkreuzen und Fahnen überall.
Die Berliner Katholiken durften – die Spandauer Prozession im 19. Jahrhundert ausgenommen – bis zum Ersten Weltkrieg ihre Prozessionen nicht mehr auf der Straße feiern. Dann kam die Weimarer Republik, und die Katholiken schwammen plötzlich auf einer unglaublichen Erfolgswelle: ein eigenes Bistum, mit Bischof, Kathedrale und einem perfekt organisierten Laienkatholizismus. Hinter dem Baldachin marschierte der Reichskanzler mit dem halben Kabinett mit. Dieser Umschwung musste den Katholiken geradzu unwirklich vorgekommen sein.
Ab 1933 passierte bis dahin Undenkbares: Man durfte nicht mehr nur um die Hedwigskathedrale und später über den Kaiser-Franz-Joseph-Platz, den heutigen Bebelplatz, laufen, sondern auch über die Straße Unter den Linden, also die Triumphstraße. Das war der endgültige Beweis: Man war in der Gesellschaft „angekommen“.
Und „Via dolorosa“, also Straße des Schmerzens?
Es lohnt sich der zweite Blick auf die Bilder: Kurzfristig hatte das Regime im Jahr 1939 durchgesetzt, dass die Prozession nur noch auf dem Platz stattfinden durfte. Ich bin überzeugt, dahinter steckte die Strategie der Nazis, die Katholiken Stück für Stück aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Schon 1934 hatten sie Erich Klausener umgebracht, was viel Staub aufwirbelte. Die Nazis merkten: Wir müssen klüger vorgehen. Die Fotos sind Symbolbilder dieses „verfeinerten“ Vorgehens.
Ein Jahr später durfte die Prozession nicht mehr draußen stattfinden. Ab 1941 entfiel sie ganz. Die Bilder zeigen also einen Offensivkatholizismus, der in die Defensive gerät. Einen Triumphzug, der eigentlich eine Niederlage darstellt. Das ist ein ganz starkes Bild von einer „verbeulten Kirche“, von der Papst Franziskus heute spricht, „die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgeht“.
Inwieweit waren die Katholiken den Nazis ein Dorn im Auge?
Schon vor 1933 lehnten die Bischöfe den Nationalsozialismus klar ab, weil der Rassismus aus kirchlicher Sicht eine Irrlehre war. Alle Menschen sind von Gott gleich geschaffen – da gab es unter Katholiken eigentlich keine Diskussionen. Mit der Machtergreifung der Nazis änderte sich die Situation. Paulus sagte ja: „Wir schulden der staatlichen Obrigkeit Gehorsam.“ So kamen die Katholiken kurz ins Straucheln: Müssen wir in die Opposition gehen oder besteht die Chance einer Koexistenz? Spätestens mit der Ermordung von Erich Klausener 1934 wendete sich das Blatt, ein Auskommen gab es fortan nicht mehr.
Konrad Preysing, der Theologe und Jurist war, sah von Anfang an völlig klar, dass katholische Kirche und Nationalsozialismus grundsätzlich unvereinbar sind. Das zog er in seinem Handeln konsequent durch. Im deutschen Episkopat war er damit eine Ausnahmeerscheinung. Diese widerständige Haltung ging so weit, dass man auf einem der Bilder der Fronleichnamsprozession 1939 neben dem Baldachin einen Priester mit dunkler Haut sehen kann – damals sehr ungewöhnlich. Bischof Preysing hatte ihn sozusagen aus der Weltkirche in seine Nähe geholt. Das ist Predigt der Tat. Und das mitten in der Reichshauptstadt, auf der zentralen Feier der katholischen Kirche – deutlicher geht es nicht.
Sie beschreiben aber auch die Schattenseiten des Fronleichnamskults.
Man darf nicht verschweigen, dass die Geschichte von Fronleichnam insgesamt auch mit katholischem Antiprotestantismus und Antijudaismus verbunden ist. Im Jahr 1510 gab es auf dem Alexanderplatz den Prozess gegen 40 Juden wegen angeblicher Hostienschändungen und Ritualmorde. Sie wurden hingerichtet. Eine fürcherliche Folge völlig aus dem Ruder gelaufener Eucharistiefrömmigkeit. Diese Vorgeschichte dürfen wir nicht außer Acht lassen.
Mit Blick auf die Gegenwart: Was könnte die Kirche tun, um die zentrale Fronleichnamsfeier noch attraktiver zu machen?
Schon jetzt ist die zentrale Fronleichnamsprozession eine attraktive und gut besuchte Veranstaltung. Ich glaube, wir können – auch mithilfe der Bilder von der Fronleichnamsprozession 1939 – neu entdecken, wie religiöse Überzeugungen auch in konkretes Handeln übergehen können. Wie man für etwas einsteht, eine Haltung einnimmt und in die Gesellschaft hinein verdeutlicht – nicht durch Abgrenzung, nicht durch Aggression, nicht in Form von Protest. Sondern positiv: Wir zeigen, wofür wir stehen, und bringen uns damit ein. Das wäre nach außen attraktiv und nach innen hin wirksam.
Was könnte eine solche Botschaft sein?
Auch in der Kirche sind wir ja eine diverse Gesellschaft, aber es gibt doch Haltungen, die wir alle aus unserem christlichen Glauben heraus vertreten. Zum Beispiel den Schutz des Lebens.
Wie beschrieben, ist auf den Bildern der Eintritt für den gleichen Wert allen menschlichen Lebens sichtbar. Das Thema haben wir heute auch. Wir diskutieren intensiv die Frage des assistierten Suizids. Als Kirche stehen wir ja dafür ein, dass auch Leiden und Sterben zum Leben dazugehören, machen uns für „gutes und würdevolles Sterben“ stark, etwa durch Palliativmedizin, gute Pflege und seelsorgliche Begleitung. Wir sagen: Das Leben ist ein großes Geschenk, vom Anfang bis zum Ende.
Interview: Stefan Schilde
Gregor Klapczynski, Via Triumphalis – Via dolorosa. Die Berliner Fronleichnamsprozession bei Sankt Hedwig im Jahr 1939; Herder Verlag; ISBN 978-3-451-38993-1; Preis: 10 Euro
Auch auf vivat.de (Bestellnummer 2467973) bestellbar.
Die Fotos des Buches finden Sie hier.