Anstoß 43/2023

Verlieren und gewinnen

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Unsere jüngste Tochter spielt seit ein paar Monaten Fußball. In einer frisch zusammengestellten Mädchenmannschaft. Da es aber kaum Mädchenmannschaften gibt, treten sie fast immer gegen Jungenmannschaften an. Und da fallen derzeit die allermeisten Tore gegen sie.

Guido Erbrich
Guido Erbrich
Senderbeauftragter der katholischen Kirche beim Mitteldeutschen Rundfunk

Hier wird es spannend. Denn diese Niederlagen schaffen es mitnichten, dass die Mädchen jedes Mal bedrückt und mit hängenden Köpfen vom Platz gehen. Pustekuchen. Wenn es schon 6 zu 0 für die anderen steht und ein Mädchen schafft es, das erste Tor für ihr Team zu erzielen, wird gejubelt, als ob gerade die Weltmeisterschaft gewonnen wurde. Jede gelungene Aktion wird beklatscht und fröhlich lärmen die Eltern und Geschwister am Spielfeldrand. 
Am Ende eines jeden Spieles werden Hände geschüttelt. Und da es bei den Kleinen nach jedem Spiel noch den schönen Brauch des Elfmeterschießens gibt, schießen die Mädchen dann doch noch ein paar Tore.
Nicht, dass die Mädchen nicht gewinnen möchten. Aber wenn das nicht klappt, geht die Welt nicht unter – und das ist etwas, was vielen Menschen schwerfällt: auch mal Zweitbeste zu sein. Neidlos einzusehen, dass andere es an diesem Tag besser gemacht haben.
Schnell werden dann die Schuldigen gesucht. Das war gut zu sehen, als unsere Fußballnationalmannschaften in den letzten Monaten verloren. Die Frauen fliegen gegen Südkorea aus der WM, und die Männer werden zu Hause von Japan abgefertigt. Man hätte sich nicht gewundert, wenn Staatstrauer angeordnet worden wäre. Jedenfalls musste der Bundestrainer gehen.
Ganz anders bei der WM 2014 als die Nationalmannschaft Brasilien mit 7:1 besiegte und dann den Pokal nach Hause holte. Ein ganzes Land im Siegestaumel.
Aber gehört nicht beides zum Spiel? Gewinnen und Verlieren? Beim Siegen ist der Jubel groß, bei der Niederlage das Geheul. Da fehlt doch was! Von den kleinen Mädchen können die großen Profis und ihre Fans jedenfalls eine Menge lernen. Denn richtig verlieren zu können, ist auch ein Sieg – selbst, wenn hier auf eine ganz andere Art gewonnen wird.

Guido Erbrich