Anstoß 19/2024

Wolkenreiten

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„Wenn ich Gott wäre, würde ich die Wolken so machen, dass man sich drauflegen kann. Dann könnte ich früh auf eine Wolke steigen, in die Schule fahren und dabei noch schlafen.“

Guido Erbrich
Guido Erbrich
Senderbeauftragter der katholischen Kirche 
beim Mitteldeutschen Rundfunk

Das waren die Gedanken unserer jüngsten Tochter, als sie eine schöne Wolke am Himmel stehen sah.

Würde es etwas helfen, wenn ich ihr erzähle, dass Wolken nichts mehr als Wasserdampf sind und sie machen kann, was sie will – sie würde dort sowieso nicht sitzen können? Nein, aber sie ist ja nicht doof und weiß das ohnehin. Aber gerade das ist das Schöne an poetischen Bildern. Sie stimmen nicht und sind doch wahr. 

„Du bist schön wie der Morgenstern“ oder „Du klingst als hättest du eine Kehle aus Gold“. Astronomen, die wissen, wie zerklüftet es auf dem Morgenstern aussieht, will man da nicht hören. Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, die erklären, wie unmöglich Stimmbänder aus Gold klingen können, sind einfach nur unromantisch.

Unsere schöne Sprache findet Bilder, die ausdrücken, was eigentlich nicht sagbar ist. Diese fröhliche Unlogik, die trotzdem nicht falsch ist, nutzen Verliebte und Begeisterte genauso wie gläubige Menschen. 

Auch die Bibel versucht mit Sprachbildern Dinge zu sagen, die man nicht so richtig erklären kann. Der Erschaffung der Welt in sieben Tagen, das Alter der biblischen Patriarchen, die schon mal 900 Jahre alt werden konnten, Jesus als Weinstock oder Licht der Welt. Wer da anfängt, nachzurechnen oder den Faktengehalt zu prüfen, macht sich unnötige Arbeit.

Manches versteht nicht der Kopf, sondern nur das Herz. Es ist wichtig, dass wir diese Sprachfähigkeit nicht verlieren.

Guido Erbrich