Anstoß 39/2023

Auf einen Kaffee

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Neulich war ich am Bahnhof in unserer Stadt. Nachdem ich meine Besorgungen erledigt hatte, setzte ich mich auf eine der Bänke. Neben mir bemerkte ich einen Mann. Ungefähr mein Alter, ungefähr meine Größe.

Christina Innemann
Christina Innemann
Katholische Polizeiseelsorgerin in Mecklenburg-Vorpommern

Müde sah er aus. Und so, als hätte er die Nacht durchgemacht. „Möchten Sie einen Kaffee?“ fragte ich ihn spontan. Er zuckte kurz zusammen. Ich wiederholte meine Frage. Und er willigte ein. Kurze Zeit später saßen wir nebeneinander mit jeweils einem Kaffee und kamen kurz ins Gespräch. Ich erfuhr seinen Namen und dass er mit dem Deutschlandticket noch weiter bis nach Dortmund wollte. Als wir uns verabschiedeten, merkte ich: Diese Begegnung hatte mir gutgetan. 
Nicht immer gelingt es mir, die Chance auf solche Momente zu ergreifen. Oft haste ich an anderen Menschen vorbei, wenig Zeit, kein offener Blick für andere. Dann habe ich das Gefühl, mir selbst im Weg zu stehen. Und weit entfernt von dem zu sein, was ich als christliche Botschaft versuche zu leben: Für andere Menschen da zu sein. Die wahrzunehmen, die sich an den gesellschaftlichen Rändern bewegen.
Ich frage mich, woran das liegt. Teilweise an meinem vollen Terminkalender. Womöglich aber auch an einer Kultur, die uns Menschen auffordert, immer erfolgreicher, effektiver und fehlerloser zu werden. Da bleibt wenig Zeit für spontane Begegnung. Einen Kaffee. Und ein freundliches Wort für zwischendurch.
Im Neuen Testament berührt mich besonders, wie gut es Jesus gelingt, anderen zu begegnen. Er überwindet innere und äußere Grenzen und wendet sich allen zu – ausnahmslos.
Ich habe mir vorgenommen, in Zukunft mehr herumzuschauen. Um Menschen zu sehen, die einen Kaffee und ein kurzes Gespräch vertragen können.

Christina Innemann