Wenn Hostien entstehen, kann man jetzt Zuschauen

Handarbeit für die Eucharistie

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Eine Besucherin schaut der gehörlosen Carola Schmiedt durch die Glastür beim Backen der Hostien zu.
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Fotos: Dietrich Flechtner

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Eine Besucherin schaut der gehörlosen Carola Schmiedt durch die Glastür beim Backen der Hostien zu.

In der Dresdner Diakonissenanstalt werden Hostien hergestellt. Nachdem die Bäckerei in das alte Pfortenhaus gezogen ist, können Besucher jetzt dabei zuschauen.

Carola Schmiedt schöpft dickflüssigen Teig aus einem Topf. Dann setzt die Gehörlose einen Klecks auf den glatten unteren Teil des runden Backeisens und senkt den oberen ab. 140 Grad heiß sind die Metallplatten. Nach wenigen Minuten klappt sie das Eisen wieder auf und hebt eine dünne, etwa kuchengroße Scheibe heraus. 69 Hostien reihen sich darauf aneinander, ganz oben eine große Schauhostie. Jede trägt die erhabene Prägung christlicher Symbole – Kruzifix oder Siegeslamm beispielsweise. „An der erkennt man beim Abendmahl, ob die Hostie von uns kommt“, sagt Petra Kühn, Leiterin der Bäckerei.

Einrichtung mit Geschichte wird sichtbar

Seit 158 Jahren werden in der evangelischen Diakonissenanstalt in der Dresdner Neustadt Hostien gebacken. Es ist die einzige Produktionsstätte in Sachsen. Außerdem werden dort Paramente gewebt, Behänge für Altar und Kanzel. Jahrelang geschah das in der zweiten Etage der Alten Wäscherei – „versteckt und für Besucher schwer zu finden“, wie Oberin Esther Selle sagt. 
Jetzt aber gewährt die Einrichtung der Öffentlichkeit mehr Einblick. Die Produktion ist in das Pfortenhaus umgezogen. Das zweistöckige Gebäude liegt direkt an der Bautzner Straße an einem viel benutzten Zugang.
Als „Johanniterhospital“ für die Krankenpflege wurde es 1868 eingeweiht, wie aus historischen Unterlagen hervorgeht. Zu DDR-Zeiten saß eine Diakonisse darin, die Leute hinein und hinaus ließ. Zuletzt benutzten Reinigungskräfte das Haus als Aufenthaltsraum. Ein Jahr lang wurde es saniert, finanziert zum großen Teil aus Spenden von Privatleuten und Kirchgemeinden, wie Esther Selle sagt. 
Besucher können sich nun während der Betriebszeit selbst ein Bild davon machen, wie sakrale Gebrauchsgegenstände in traditioneller Handarbeit hergestellt werden. Sie betreten einen Verkaufsraum in dessen Regalen auch Nebenprodukte der Werkstatt zu finden sind: Papiersterne, Kerzen aus Wachsabfällen, Tüten mit Butterkeksen, gebacken aus den Resten, die bei der Hostienproduktion anfallen. 
In einer Ecke sitzt Maria Selle an einem um die 70 Jahre alten Gobelin-Hochwebstuhl. Ihr kann man über die Schulter schauen und verfolgen, wie ihre Finger farbige Wollfäden zwischen die senkrechten Kettfäden flechten. Millimeter um Millimeter entsteht ein Altarbehang. 
Ihr Handwerk hat die Paramentikerin 1983 hier in der Diakonissenanstalt gelernt. Bis zu 150 Arbeitsstunden webt sie an einem Quadratmeter. Jedes Parament ist ein hochwertiges Unikat, gestaltet nach den Wünschen der Kirchgemeinde, abgestimmt auf Farbe, Ausstattungsgegenstände, Licht und Atmosphäre des Kirchenraumes. Sind von gebrauchten Paramenten im Laufe der Jahre die Kanten abgenutzt, repariert sie auch die.

Tom Brietenhagen (links) und Georg Schudrowitz stanzen die Hostien aus.
Tom Brietenhagen (links) und Georg Schudrowitz stanzen die Hostien aus.

Teig nach jüdischem Vorbild

Besucher des Verkaufsraums bemerken sofort die Hostienbäckerei, die durch raumhohe Scheiben und eine Glastür abgetrennt ist. Sie erfahren, das der Teig der Hostien nur aus Weizenmehl und Wasser besteht. Das geht zurück auf die jüdische Tradition der „ungesäuerten Brote“, beschrieben bei Mose im Alten Testament. Mazze heißt dieses Gebäck bei Juden, die es zum Passahfest essen. Auch Jesus soll das beim letzten Abendmahl vor seiner Kreuzigung getan haben.
Nach dem Backen legen Tom Brietenhagen und Georg Schudrowitz jede der großen Scheiben auf eine kleine Metallplatte und treten mit dem Fuß ein hölzernes Pedal. So stanzen die beiden Mitarbeiter mit Behinderung Hostie um Hostie aus. „Dafür brauchen sie Ausdauer und müssen sehr genau sein“, sagt Bäckereileiterin Petra Kühn. 
Aktuell muss sich die Hostienproduktion noch von der Coronakrise erholen. Vor dieser wurden jährlich etwa 800 000 Hostien hergestellt. Während der Corona-Zeit waren es nur 300 000. Kühn hofft, zumindest wieder auf 700 000 zu kommen. Von Hand in weiße Kartons zu fünfhundert oder tausend Stück verpackt, gehen sie in den gesamten deutschsprachigen Raum, auch an etwa zehn katholische Einrichtungen. Alle Orte haben die Mitarbeiter auf einer großen Karte mit farbigen Pinnwandnadeln markiert – von Ostfriesland im Norden bis zum Dachsteingebirge bei Salzburg im Süden.
Zwischen fünf und zehn Cent kostet eine geprägte Hostie. Ungeprägte aus maschineller Massenproduktion bekommen Kirchgemeinden im Schnitt für drei Cent pro Stück. Sparen an dieser Stelle findet Oberin Esther Selle jedoch falsch. „Das Abendmahl ist etwas so Würdiges. Das sollte uns diese Sorgsamkeit wert sein.“

Hostienbäckerei in der Evangelisch-Lutherischen Diakonissenanstalt Dresden, Zugang Bautzner Straße 66; Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 8 bis 13.30 Uhr; Kontakt: 03 51 / 8 10 12 70 oder hostienbaeckerei@diako-dresden.de

Tomas Gärtner