Interview

Westblick auf Ostkatholiken

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Portrait Marc Frings
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Foto: imago/epd

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Der gebürtige Rheinländer Marc Frings bei seinem Besuch in Erfurt im Mai 2023. 

Bei einer Tour durchs Thüringer Eichsfeld ist Marc Frings, Generalsekretär des Zentralkommitees der deutschen Katholiken und Mitorganisator des Katholikentags in Erfurt, aktuellen Ost-West-Fragen nachgegangen.

Herr Frings, was dürfen wir vom Katholikentag erwarten?

Der Katholikentag in Erfurt wird mehr denn je von aktuellen politischen Diskussionen geprägt sein. Die Auseinandersetzungen sind von großer Unsicherheit geprägt, aber auch von populistischen Parolen, Falschmeldungen und gegenseitiger Diffamierung. Der Katholikentag möchte dieser Entwicklung deutlich etwas entgegensetzen: durch sachliche Debatten. Wir bieten Begegnungen auf Augenhöhe, mit klaren Positionen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Menschlichkeit und Solidarität.

In Ostdeutschland hat der Laienkatholizismus nicht recht Fuß fassen können. Warum nicht?

Der Verbandskatholizismus, wie man ihn im Westen kennt, hat im Osten keinen Einzug gehalten. Das macht das katholische Leben im Osten nicht besser oder schlechter, sondern schlicht anders: Wallfahrten, Familienkreise und das Gemeindeengagement sind hier sicherlich ausgeprägter als in anderen Teilen des Landes.
Dass sich der Laienkatholizismus im Osten so anders entwickelt hat, lag sicher an den Repressalien, mit denen Kirche und Gläubige in der DDR zu kämpfen hatten. Da gab es nicht das gesicherte Fundament, das die Verbände und Räte im Westen hatten. Dafür waren die Pfarrgemeinden in der DDR auch ein Schutzraum, der eine gewisse Freiheit im Sozialismus bot. Das wurde uns immer wieder berichtet. Das hat die Gemeindemitglieder viel enger zusammenwachsen lassen.

Jüngst gab es Diskussionen, ob genug „Osten“ im Katholikentag stecken wird. Was muss aus Ihrer Sicht unbedingt drin sein?

Im Mittelpunkt muss die Begegnung und das wechselseitige Hören stehen! Ich merke das bei mir persönlich: Ich war sieben Jahre jung, als die Mauer fiel und bin in dem Glauben aufgewachsen, dass wir – die jungen Generationen – die deutsche Identität hinter uns lassen und zu Europäern heranwachsen. Dank der Vorbereitung des Katholikentags konnte ich viele Gespräche in Thüringen und anderen ostdeutschen Bundesländern führen und verstehe nun besser, dass viele Fragen unbeantwortet sind – Fragen, die in der ost- und der gesamtdeutschen Gesellschaft auszuhandeln sind.

Und was bedeutet das für das Katholikentagsprogramm?

Es wird diskursive und Mitmachangebote geben, um die Breite dieser Thematik abzudecken: Ein Podium wird sich mit dem Stand der deutschen Einheit beschäftigen, wir werden über die ostdeutsche Ökumene und Diaspora sprechen und den SED-Unrechtsstaat in den Blick nehmen. Auch haben wir Gedenkorte im Blick und politische Institutionen und Organisationen eingeladen, sodass Teilnehmer des Katholikentags niedrigschwellige Dialogformate erleben können.
Das detaillierte Programm stellen wir im März vor. Ich glaube, der Anteil ostdeutscher Veranstaltungen und Mitwirkender wird sehr beachtlich. Und schließlich starten wir bald mit der Privatquartiers-Kampagne. Ich bin mir sicher, dass an vielen Küchentischen Diskussionen über geteilte und unterschiedliche Erfahrungen entstehen.

Das Zentalkommitee der deutschen Katholiken ist westdeutsch geprägt. Was haben Sie auf Ihrer Tour gelernt?

Erst einmal: Im ZdK sind Vertreter aus ganz Deutschland, und wir verstehen uns auch als gesamtdeutsche Laienvertretung. Wenn es um den ostdeutschen Katholizismus geht, habe ich gelernt, dass es die eine Lesart nicht gibt. So kann man auch im Bistum Erfurt die Vielfalt des ostdeutschen Katholizismus deutlich ablesen. Im ländlich geprägten Eichsfeld lebt heute die Hälfte der Katholiken, so dass die Kirche hier – trotz des Diaspora-Charakters des Bistums Erfurt – sehr stark und präsent ist. Auch und gerade in der jungen Generation, das ist wirklich beeindruckend!

Und die Älteren?

Die älteren katholischen Zeitzeugen, die durch das Unrechtsregime der DDR, die friedliche Revolution und den Einheitsprozess gegangen sind, erlebe ich als engagierte Menschen, für die Kirche ein Ort der Freiheit war. Sie erhalten Kirche in den Gemeinden weiter aufrecht. Eine Gesprächspartnerin sagte mir, dass die Eichsfelder „anpacken“ und etwas „machen“ wollen. Das hat mir als Bild gut gefallen.
Und schließlich: Trotz der vielen Transformationsprozesse zeigt die Kirche, dass sie nicht nur in den eigenen Mauern lebt, sondern den Menschen in den Mittelpunkt nimmt. In den nächsten Jahren werden im Eichsfeld ein neues Hospiz, ein neues Krankenhaus und ein Schulneubau entstehen – überall mit dem Label „katholisch“ versehen. In Zeiten, in denen zu oft über den Rückzug aus dem öffentlichen Raum gesprochen wird, setzt Kirche hier einen Kontrapunkt.

Ostdeutsche haben große Veränderungen stemmen müssen. Nun steht die Gesellschaft erneut vor vielfältigen Herausforderungen. Zugleich werden in der katholischen Kirche in Deutschland mehr und mehr Reformen diskutiert und angeschoben. Mancher fühlt sich von alledem überfordert. War das auch Thema bei Ihren Gesprächen?

Ja, darüber haben wir diskutiert. Viele ostdeutsche Bürger haben in der Friedlichen Revolution und danach bewiesen, mit wie viel Energie sie ihre eigene Zukunft in die Hand genommen haben. Trotz größter Unsicherheiten, weil nichts mehr bleiben sollte wie es war. Warum sollten sie diese Energie jetzt nicht haben?

Naja, bei zahlreichen Demonstrationen zeigen derzeit viele Menschen, dass ihnen die Veränderungen zu viel werden.

Überall im Land wird über die Geschwindigkeit der Veränderungen und die Gefahren gesellschaftlicher Spaltung geklagt. Die aktuellen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, die mich persönlich bewegen, zeigen mir, dass diese Verantwortung überall sehr ernst genommen wird. Kirche kann und muss sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst sein. Deshalb hoffe ich, dass viele in den Kirchen klar Farbe gegen den gefährlichen Rechtsruck in unserem Land bekennen. Es darf keinen Platz für AfD-Mitglieder in der Kirche geben!

Das Ost-West-Thema hat gesellschaftspolitisch eine neue Dynamik und Relevanz bekommen. Auf kirchlicher Ebene wird dieser Diskurs indes bislang nur sehr verhalten geführt, oder?

Ich glaube, dass wir in der Kirche erst noch in den Dialog und die kritische Reflexion zum Einheitsprozess eintreten müssen. Mit der Wiedervereinigung sahen sich die Ostdeutschen plötzlich mit einem westdeutschen politischen und wirtschaftlichen System konfrontiert. Aber sie mussten auch lernen, wie Westdeutschland seine Staatskirchenbeziehung geregelt hat – ein Kulturschock für die ostdeutschen Christen.
Ich glaube, dass es wechselseitigen Respekt und wechselseitiges Lernen braucht. In Teilen Westdeutschlands brechen volkskirchliche Räume zusammen und nähern sich einer postsäkularen Situation, die im Osten seit Jahrzehnten Wirklichkeit ist. Dabei muss es auch Verständigungen über regionale Unterschiede geben: Wie politisch und gesellschaftlich Kirche sein muss, kann sicherlich nicht einheitlich beantwortet werden.

Portrait Dorothee Wanzek
Dorothee Wanzek

Meinung: So bitte nicht

„Es darf keinen Platz für AfD-Mitglieder in der Kirche geben.“ Dieser Satz von Marc Frings hilft so niemandem. Wir müssen uns durchaus fragen, wem wir Verantwortung übertragen in unserer Kirche. Wegen einer Parteimitgliedschaft Menschen aber per se den „Platz in der Kirche“ zu verwehren, halte ich für unvereinbar mit dem Geist des Evangeliums. Wir brauchen in unseren Gemeinden dringend eine fundierte und differenzierte Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD, wie sie ja auch die ostdeutschen Bischöfe anmahnen. 
Mehr Türsteher, die aussortieren und abweisen, brauchen wir wohl eher nicht

 

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