Festakt mit Bischof Gerhard Feige in Bitterfeld
Ein geschenktes Haus für die Caritas

Foto: Bernadette Olma
Curt Bernd Sucher (Mitte) hat der Caritas sein Elternhaus geschenkt.
„Und ist denn nicht das ganze Christentum aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft geärgert, hat mich Tränen genug gekostet, wenn Christen gar so sehr vergessen konnten, dass unser Herr ja selbst ein Jude war.“ Dieses Zitat aus Gotthold Ephraim Lessings Drama „Nathan der Weise“ steht nicht etwa auf einem Mahnmal oder einer Erinnerungsstätte für die Opfer des Holocaust. Es steht auf einer Gedenktafel an der neuen Regionalstelle der Caritas in Bitterfeld. Diese wurde am 12. Juni feierlich eingeweiht.
Dass es dazu kommen konnte, verdankt die Caritas einem großzügigen Geschenk des Münchener Theaterkritikers Curt Bernd Sucher. Bei dem Geschenk handelt es sich nicht etwa um eine Geldspende, sondern vielmehr um sein eigenes Geburtshaus in der Bitterfelder Walther-Rathenau-Straße 8. Mit der Gedenktafel will Sucher auf die bewegte Geschichte des Gebäudes hinweisen. Einst gehörte es seinem Großvater, dem protestantischen Kirchenrat Oswald Sucher. Dessen Sohn Heinz heiratete nach dem Kriegsende die Leipziger Jüdin Margot Artmann. Sie war dem Konzentrationslager Majdanek entkommen und hat in Bitterfeld noch während der letzten Monate des Nazi-Regimes eine Zuflucht gefunden.
Die Ehe der beiden erfuhr jedoch auch nach dem Ende des NS-Staates keine große Zustimmung im Hause Sucher. Zu tief waren die antisemitischen Vorurteile verhaftet. Daher musste Margot Artmann schriftlich versprechen, dass sie die Kinder der Ehe protestantisch erziehen würde, ehe sie heiraten durfte. Curt Bernd Sucher wurde am 6. Juli 1949 in ebenjenem Haus geboren und dem Versprechen der Mutter entsprechend evangelisch getauft. 1954 zog die Familie nach Hamburg. An die Zeit der Kindheit in Bitterfeld hat Curt Bernd Sucher nur wenige wage Erinnerungen.
Davon und wie er das Haus nach der politischen Wende von 1989 zurückerwarb, berichtete Sucher am Tag vor der festlichen Einweihung bei einem Gesprächsabend in der Bitterfelder Kreisvolkshochschule. Dabei lernte er Zeitzeugen und die Nachmieter der elterlichen Wohnung kennen. Eine der wenigen Erinnerungen an Bitterfeld gab er sichtlich gerührt an die Gäste weiter: Eines seiner Lieblingsessen sei bis heute die Fettbemme. Diese gab es oft bei seiner Großmutter, wenn er mit anderen Kindern im Hof spielte.
Auch wenn die Mutter ihr Versprechen den Großeltern gegenüber einhielt und Sucher in Hamburg konfirmiert wurde, fand er letztlich doch zu ihrem Glauben und nahm ihn mehr und mehr als den eigenen an. Heute ist der Theaterkritiker Vorstandsvorsitzender der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München. Als Angehöriger der Holocaust-Nachfolgegeneration sucht er die Begegnung vor allem mit jungen Menschen, geht in Schulen und will zum Gespräch anregen. Er will den jüdischen Glauben für Außenstehende entmystifizieren und Vorurteilen vor allem durch öffentliche Sichtbarkeit entgegentreten.

Sichtbarkeit schafft Sucher auch mit der von ihm gestalteten Gedenktafel. Sie wurde bei der Einweihung der neuen Bitterfelder Caritas Regionalstelle enthüllt und der Öffentlichkeit übergeben. Nach dem Rückerhalt seines Geburtshauses war Sucher wichtig, dass die Immobilie nicht an einen Investor ginge, der damit lediglich Geld machen wolle. Da es in Bitterfeld keine große jüdische Gemeinde mehr gibt, die ein Mehrfamilienhaus brauchen könnte, kam der in München lebende Professor auf die Idee, das Gebäude der katholischen Kirche zu stiften.
Das Gelände der Bitterfelder Herz Jesu Gemeinde in der Röhrenstraße umfasst neben der Kirche und dem Pfarr- und Gemeindehaus auch ein Altenpflegeheim und die katholische Kita St. Josef. Es grenzt direkt an das Grundstück in der Walther-Rathenau-Straße an. Mit der Eröffnung der neuen Caritas Regionalstelle kommen zwölf altersgerechte Wohnungen, der Fachdienst Allgemeine Sozialberatung und eine Kleiderkammer zu diesem katholischen Campus hinzu und stärken fortan die soziale Infrastruktur der Stadt. Damit dies gelingen konnte, so Peter Zur, der Geschäftsführer des Caritas-Sozialverbundes, investierte die Caritas im Bistum Magdeburg 4,3 Millionen Euro in das Mehrfamilienhaus. Über eine Million Euro konnten von der Stadt Bitterfeld-Wolfen gefördert werden. Mehr als sechs Jahre dauerten die Planungs-, Bau- und Umbauarbeiten, ehe das Gebäude nun seiner neuen Bestimmung übergeben werden konnte.
Bischof Gerhard Feige würdigte die Schenkung Suchers bei dem Festakt als ein tiefsinniges und ausdrucksstarkes Zeichen jüdisch-christlicher Verbundenheit. Gemeinsam mit Sucher wünschte er, dass die Bitterfelder Walther-Rathenau-Straße 8 künftig ein Ort gelebter Nächstenliebe, der Begegnung und Erinnerung, sowie ein Angebot für eine gemeinsame Zukunft sein möge. Dafür wurde die neue Caritas-Regionalstelle schließlich von Ortspfarrer Andreas Ginzel und dem Vorstandsvorsitzenden der Caritas, Domkapitular Thomas Thorak, gesegnet und auch von einem Mitglied der Münchner Beth-Shalom Gemeinde mit dem Gebet „Schehechejanu“ (Der uns das Leben gegeben hat) unter den Segen Gottes gestellt.