Kinderstadt in Zgorzelec
Wenn Kinder alles regeln
Fotos: Holger Jakobi
„Was würdest du tun, wenn alle Leute plötzlich Gärtner werden wollen“, fragen die beiden Redakteure Emil und Matz der Gazeta dzieci (Kinderzeitung). Beide sind acht Jahre alt. Ihre Gesprächspartnerin ist Iga Zalewska, eine Kandidatin für das Bürgermeisteramt der „Kindermiasto Zgorlitz 2023“, so der offizielle Name der Kinderstadt. Sie hat im Wahlprogramm versprochen, die Löhne in der Gärtnerei zu erhöhen. Iga bleibt locker und meint, dass sie das Volk dann davon überzeugen müsse, dass es noch andere schöne Berufe gibt. Die Wahl gewinnt Iga nicht, gewählt wird der Junge Max Nowak. Dieser hat in der Gazeta dzieci sein Programm so umrissen: „Sobald ich Bürgermeister bin, wird es Wettbewerbe, Konzerte und einen Getränkestand geben. Außerdem werden mehr Arbeitsplätze für Polizisten geschaffen.“
Kinder werden zu Bürgern ihrer Stadt
Alle zwei Jahre sind Görlitzer und Zgorzelecer Kinder im Alter von sieben bis 14 Jahren in die Kinderstadt Görlitz / Zgorzelec eingeladen. In diesem Jahr in eine polnische Schule in der Kosciuszki 68. Hugo (14) nimmt mit seinem Freund teil. „Selbst kann ich nur wenig Polnisch, mein Freund hilft mir, mit den polnischen Kindern zu sprechen“, sagt Hugo. Der Görlitzer Junge ist Stadtführer in der Kinderstadt. Er sagt: „Wir beginnen im Schulgebäude, hier befindet sich die Redaktion der Zeitung, ein Yogaraum und eine Küche mit Restaurant.“ Stolz zeigt Hugo seine selbst verdienten Kima. Kima-Geldscheine sind die Währung der Kinderstadt. „Wir Kinder arbeiten an den verschiedenen Stationen, bekommen Lohn und können uns dann dafür hier etwas kaufen“, berichtet Hugo. Beispielsweise im Restaurant oder im Laden auf der Wiese. Das an eine echte Stadt angelehnte Kinderferienprojekt hat neben seiner Währung, eigene Ämter, Betriebe, Behörden sowie eine Polizeistation und den Zirkus. Die Bürgerinnen und Bürger arbeiten und spielen, müssen dabei aber – wie im echten Leben – die festgelegten Regeln einhalten. Während ihrer Zeit in der Kinderstadt sind die kleinen Deutschen und Polen vollberechtigte Bürgerinnen und Bürger. Ihren Beruf, so Hugo, können sie allerdings täglich wechseln.
Eines fehlte allerdings am Anfang: Eine Kirche. Hier kommt die Görlitzer Stadträtin Gabriele Kretschmer ins Spiel. Sie sagt: „Vor über zehn Jahren habe ich die Kinderstadt besucht und war erstaunt, keine Kirche zu finden, trotz überwiegend christlicher Helfer und der katholischen polnischen Mentalität.“ „Wir wollen neutral bleiben und niemanden missionieren“, erhielt sie als Antwort auf ihre Frage, warum es keine Kirche hier gibt. Gabriele Kretschmer: „Das empfand ich als nicht richtig, die Kinderstadt spiegelt die Realität, und da gehören unbedingt die Kirchen dazu. Seitdem bin ich dabei, mache mit und es gibt eine Kirche.“ Für Kretschmer ist dies eine große Anstrengung und Herausforderung. „Aber es ist eine tolle Sache.“ Die Kirche ist in Einzelteilen so vorbereitet, dass die Kinder sie mit Hilfe einer Tischlerin aufbauen konnten.
Antonia aus Görlitz mag die Kinderkirche
Immer wieder sieht Kretschmer einzelne Kinder, die zum Beten in die Kirche kommen. Sie knien oder beten im Stehen. Auch für Antonia Paul aus Görlitz ist die Kinderkirche eine „tolle Sache.“ Sie betreut die Sportgruppen und geht nach den Übungen zum „runterfahren“ mit den Kindern in die Kirche. Antonia Paul: „Ich habe oft sehr aktive Kinder beim Sport, Gabi zeigt ihnen in der Kirche, wie sie beim Betrachten der Linien auf ihren Händen wieder zur Ruhe kommen. Das tut den Kindern gut.“ Und zur Kirche sagt die junge Görlitzerin: „Ich mag sie, sie passt gut rein.“
Unmittelbar neben der Kirche befindet sich das Umweltamt der Kinderstadt, ebenfalls unter Gabriele Kretschmers Fittichen. Mit dabei ihr Enkel Fritz, der beim Bauen von Insektenhotels hilft. Die Frage, wie es ihm in der Kindermiasto so gefällt, beantwortet Fritz kurz und knapp: „Gut!“
Engagiert sind ebenso Andy Rehle und Frank Peter Zucker, ein Hobbyuhrmacher. Beider betreuen die Uhrmacherwerkstatt. Andy Rehle, der als Pädagoge im Görlitzer Jugendhaus Ca-Tee-Drale tätig ist, sagt: „Es macht Freude. Die Kinder sind fleißig und geschickt und wir mühen uns, dass sie hier gute Erfahrungen sammeln.“
Träger der Kinderstadt ist Meetingpoint Memory Messiaen, ein Görlitzer Verein für Erinnerung, Bildung und Kultur. Die Leitung hatte Damian Dąbek.