Zahl der Kirchenaustritte in Ostdeutschland auf Rekordniveau

Schmerzliche Lücken

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Symbolbild Kirchenaustritt
Nachweis

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Die Zahl der Kirchenaustritte übersteigt derzeit die der Taufen und Wiedereintritte erheblich – auch in den fünf ostdeutschen (Erz-)Bistümern. 

Keine Überraschung, aber Betroffenheit hat die jüngst veröffentlichte Kirchenstatistik unter Katholiken ausgelöst. Die Zahl der Kirchenaustritte ist auch in Ostdeutschland auf Rekordniveau.

Auch in den fünf ostdeutschen Bistümern haben die Zahlen der Kirchenaustritte im vergangenen Jahr Höchststände erreicht. Das Erzbistum Berlin liegt zusammen mit dem Erzbistum München sogar an der Spitze bei den von der Deutschen Bischofskonferenz Ende Juni veröffentlichten Austrittszahlen. 13 007 Katholiken haben hier im vergangenen Jahr die Kirche verlassen, im Bistum Dresden-Meißen waren es 3786, in Erfurt 2413, in Magdeburg 1486 und in Görlitz 422. 
Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 hat das Erzbistum Berlin durch Austritte, Wegzüge  und den demografischen Wandel fast sieben Prozent seiner Katholiken verloren. In Magdeburg sind es sogar über 7 Prozent, in Dresden-Meißen 4,6 in Erfurt 4,9 und in Görlitz 1,4 Prozent.
Die Bischöfe von Dresden-Meißen und Görlitz haben die Statistik für ihre Bistümer kommentiert. Beide zeigten sich schmerzlich berührt von der hohen Zahl derer, die 2022 in ihrem Bistum die Kirche verlassen haben, machten zugleich aber deutlich, dass die Zahlen für sie nicht überraschend kommen.

„Am Versagen unserer Kirche gibt es nichts kleinzureden!“

Der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers verweist auf den historischen Umbruch, dem das kirchliche Leben in Deutschland unterliege. Neben der im Wandel begriffenen Glaubenspraxis in einer säkularen Gesellschaft gehöre die Enttäuschung und der Frust über den Missbrauch innerhalb der Kirche zu den Ursachen, ebenso wie unerfüllte Reformwünsche. „An den Grenzen und dem Versagen in unserer Kirche, die auch ich persönlich und in meinem Dienst sehr schmerzlich erlebe, gibt es nichts kleinzureden!“, betont der Bischof. 
„Es tut mir um jeden und jede Einzelne, die die Gemeinschaft mit der Kirche aufkündigen, leid“, sagt Heinrich Timmerevers. Angesichts der zahlreichen Negativ-Schlagzeilen der letzten Jahre könne er die Enttäuschung verstehen. Seit Jahren befinde sich die Kirche  auf einem schwierigen Weg. Ob Missbrauchs- oder Finanzskandale, ob Personaldebatten oder Glaubensfragen: selten sei sie in den letzten Jahrzehnten so ins Straucheln geraten. „Die Ursachen dafür haben wir uns zum guten Teil leider selbst zuzuschreiben. Da gibt es nichts zu deuteln“, räumt der Bischof ein. Auch der Konflikt um den richtigen Weg der Kirche in die Zukunft beim Synodalen Weg habe sicher für Verletzungen gesorgt. Dennoch sei dieses gemeinsame Ringen um die weitere Gestaltung unseres Glaubens unausweichlich und wichtig. Bischof Timmerevers sieht die Kirche derzeit besonders dort auf einem guten Weg, wo es ihr gelinge, Menschen nicht auszugrenzen, sondern in ihrer Vielfalt anzunehmen und wertzuschätzen.

„Bezeugt weiterhin die Liebe Gottes zu den Menschen!“

Zugleich möchte er die Gläubigen seines Bistums ermutigen, sich auf den Kern christlichen Glaubens zu besinnen und auch künftig für die Gesellschaft und Menschen in Not da zu sein. „Es wird bei der derzeitigen Entwicklung keine Patentrezepte und schnellen Lösungen geben“, ist Timmerevers überzeugt. 
Von seinen täglichen Begegnungen in Sachsen und Thüringen könne er dennoch berichten, dass er viel Gutes wahrnehme. Christen in der Region lebten aus ihrem Glauben heraus und wirkten segensreich für ihre Mitmenschen. „Das macht mich dankbar und schenkt mir Hoffnung und Mut“, betont der Bischof und kündigt an: „Als Bistum wollen wir unsere Kraft und unser Gebet weiterhin dafür einsetzen, die frohe Botschaft des lebendigen Gottes und seine Liebe zu den Menschen auch in Zukunft zu verkünden.“
Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt sieht die Ursache für die erschreckend hohen Zahlen im vergangenen Jahr „mehrschichtig und sicher auch in jedem einzelnen Fall verschieden zu beurteilen“. Dabei ist der Schwund an Kirchenmitgliedern geringer als in den anderen ostdeutschen Bistümern. Dazu tragen auch die polnischen Katholiken teil, die in dem an der Grenze gelegenen Bistum einen hohen Prozentsatz ausmachen.  
Neben krisenhaften Erscheinungen in der Kirche sieht Bischof Ipolt auch die insgesamt schwindende Bindungskraft in der Gesellschaft als wichtige Ursache für den Kirchenaustritt. Dass die Bindungskraft schwächer geworden sei, spürten auch Vereine und Parteien und andere gesellschaftliche Gruppen. „Das treue Stehen zu einer Gemeinschaft, die natürlich auch Fehler und Schwächen hat, ist offensichtlich schwieriger geworden“, stellt Wolfgang Ipolt fest. „Dazu kommen ein Verdunsten des Glaubens und eine Ero- sion der religiösen Praxis, die oft schon längere Zeit andauert, bevor es zum letzten Schritt des Austritts kommt“, meint er. Er wünsche sich, dass die Austrittszahlen Anlass sind, nach Wegen und Anknüpfungspunkten zu suchen, der christlichen Botschaft neue Strahlkraft zu verleihen und auch mit denen, die sich von der Kirche getrennt haben, erneut in Kontakt zu kommen.
Die Kirche verlassen kann man in Deutschland ohne jeden weiteren Kirchenkontakt: beim Standesamt, Einwohnermeldeamt oder Amtsgericht. Wer zurück will, muss sich an seinen Pfarrer wenden – oder an spezielle kirchliche Wiedereintrittstellen.
Die evangelische Kirche bietet bundesweit geschätzte rund 200 Wiedereintrittspunkte an. Bei den Katholiken gibt es deutlich weniger solcher Einrichtungen. Man kann auch erst einmal die Info-Hotline zum katholischen Wiedereintritt wählen: Unter der Telefonnummer 0 18 01 / 30 10 10 informieren Bistumsmitarbeiter aus Mainz und Speyer grundsätzlich über das Prozedere. Etwa muss ein Formular ausgefüllt werden, das vom zuständigen Generalvikariat unterschrieben wird.
Wenn man zum Thema Wiedereintritt unter www.katholisch-werden.de/wiedereintritt mittels Postleitzahlensuche nach Ansprechpartnern in Ostdeutschland sucht, stößt man unter anderem auf Luzia Neuberg und Daniel Rudloff in Magdeburg, auf Dompfarrer Reinhard Hauke in Erfurt, den Franziskanerpater Rolf Fleiter im Eichsfeld, Markus Kurzweil in Görlitz, den Benediktinerpater Maurus Kraß im Kloster Wechselburg und den Pallottinerpater Kalle Lenz in Berlin-Neukölln. Drei bis vier Menschen treten bei Pater Lenz jährlich wieder in die Kirche ein, oft nicht aus seiner Gemeinde.

Ansprechbar bleiben für alle, die wieder eintreten wollen 

Kalle Lenz mag die Gespräche, die er mit den wieder interessierten Ex-Katholiken führt: „Das ist oft sehr berührend. Die Leute sind ehrlich. Manche vermissen die Gemeinschaft, andere die spirituelle Kraft.“ Wieder andere kämen, weil sie als Lehrer oder Sozialarbeiter bei einem kirchlichen Träger tätig sein wollten, wofür sie die Kirchenmitgliedschaft bräuchten.
Zwei Gespräche führt er mit den Kandidaten. Am Ende steht dann das Glaubensbekenntnis, das er gemeinsam mit den Wiedereintrittswilligen spricht. Die Beichte, die bei einem Wiedereintritt eigentlich verpflichtend vorgeschrieben sei, erwähne er nur „als Angebot“.
Warum treten die Menschen aus? Das kann persönlicher Ärger sein, wenn etwa eine Beerdigung lieblos vonstatten ging, Wut über Missbrauchsfälle durch Priester oder den kirchlichen Umgang mit Homosexualität, zählt Lenz auf. Die katholischen Gemeinden in Berlin schreiben alle an, die aus der Kirche ausgetreten sind und fragen nach den Gründen – auch wenn der Rücklauf in der Regel nicht so gut sei.
Pater Lenz findet es gut, dass die evangelische Kirche die Wiedereintrittsstellen im großen Stil organisiert hat. „Das hat schon seinen Reiz“, sagt er. Vor allem, weil viele durch die immer weniger werdenden Priester und Großpfarreien nicht direkt einen zuständigen Pfarrer fänden. Es könne passieren, dass eine solche Anfrage dann unbeantwortet verloren gehe – „ein befremdendes Erlebnis“, sagt der Pater.

Zahlen für alle deutschen Bistümer sind onlinezu finden unter www.dbk.de

Dorothee Wanzek