Importierter Konflikt

„Das Herz nicht vergiften lassen“

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Freundlich schauende Frau auf einer propalästinensischen Demo
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Foto: imago/Emmanuele Contini

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Nicht alle Demonstrationen in Berlin-Neukölln in den vergangenen Tagen verliefen unfriedlich.

In Berlin, wo viele Menschen mit palästinensischen und arabischen Wurzeln leben, wird der Nahostkonflikt täglich auf der Straße sichtbar. Die Neuköllnerin Lissy Eichert ist besorgt, will sich dem Hass aber nicht beugen.

„Es war der schlimmste Gewaltausbruch, den ich hier je erlebt habe“, sagt Lissy Eichert. Die Neuköllnerin und Pastoralreferentin aus der dort beheimateten Gemeinde St. Christophorus hat gesehen, was sich am Mittwoch vor zwei Wochen auf der Pro-Palästina-Demonstration in der Sonnenallee abspielte. „Da kochte das Blut, da war kein Raum für Verhandlungen, das war einfach nur die blanke Wut.“ Sie sei froh und dankbar dafür, dass die Polizei zur Stelle war.
Ihre Gemeinde befindet sich keine 300 Meter von dem Ort auf der Sonnenallee entfernt, wo der Terror bejubelt wurde und die der Hamas nahestehende Organisation „Samidoun“ Süßigkeiten an Passanten verteilte – eine arabische Tradition, die bei freudvollen Ereignissen gelebt wird. 
Die Vollblut-Neuköllnerin macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Stadtteils.  „Eigentlich ist das hier der Lieblingsort vom lieben Gott – so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kulturen, die zusammenleben.“ Seit der Nahostkonflikt auch auf Berliner Straßen tobt, sieht sie dieses Zusammenleben in Gefahr.

„Alle Juden müssen tot!“, sagt ein Siebenjähriger

Sie erzählt, was sich auf einem Spielplatz unweit von St. Christophorus zugetragen haben soll. „Ein siebenjähriges Kind aus einer palästinensischen Familie, das mit seiner Mutter dort war, ging auf die Mitarbeiterin unserer Gemeinde zu, die ebenfalls mit ihrem Kind dort war. Man kennt sich untereinander. Der Siebenjährige fragte, was sie von Israel hält.“ Die Frau habe sich um eine neutrale Antwort bemüht. „Da entgegnete das Kind: ‚Alle Juden müssen tot!‘“ Was das Kind nicht gewusst habe: Die Gemeindemitarbeiterin hat selbst jüdische Familienangehörige: Die Mutter ihres Ehemannes ist Jüdin. „Sie bekam es mit der Angst zu tun und trat schnell den Heimweg an“, sagt Eichert. Die Begebenheit verdeutliche, unter welchem Klima Kinder in manchen Haushalten aufwachsen.
Angst habe sie auch vor den Reaktionen auf die angekündigte israelische Bodenoffensive. „Die Bilder des Leids landen unmittelbar auf den Handybildschirmen, auf die die jungen Leute die ganze Zeit starren.“ Dann könne sich die Situation auch in Neukölln weiter zuspitzen. Dabei, erzählt Lissy Eichert, gibt es nicht nur die radikalen Stimmen, die schäumenden Hassprediger. Von einer Streetworkerin wisse sie, dass auch arabischstämmige Berliner die Gewalt und die Morde an Unschuldigen verurteilen. „Aber diese Stimmen sind noch zu leise. Diesen Menschen müssen wir beispringen.“ Dazu müsse man auch bereit sein, das Leid auf beiden Seiten anzuerkennen. „Das ist es auch, was wir Christen tun können: klarstellen, dass die Hamas eine Terrororganisation ist, aber auch das Leid, die Not, die Verzweiflung sehen.“

Mut aus der frohen Botschaft schöpfen

Auf diese Schritte im Kleinen komme es nun an. „Es ist nicht die Zeit, großartige Dialogformate ins Leben zu rufen“, sagt sie. Im Moment sei da noch zu viel Hass im Spiel. Dem Hass beugen möchte sie sich jedoch nicht. „Ich werde weiterhin in den syrischen Laden in der Sonnenallee zum Einkaufen gehen. Vielleicht ergibt sich hier und da ein Gespräch, vielleicht auch nicht“, so Eichert.
Obwohl ungewiss ist, wie es weitergeht, zieht die Neuköllnerin Mut aus der christlichen Botschaft. „Wir glauben an den Gekreuzigten. Wir schauen auf den Gefolterten, konfrontieren uns damit auch mit einem unerträglichen Leid, das es in der Welt gibt“, sagt sie. „Wir glauben aber auch, dass die Folter, dass das Leid nicht das Ende ist.“
Was wie für Lissy Eichert daraus folgt? „Wir dürfen uns unser eigenes Herz nicht vergiften lassen, sondern müssen uns für Menschlichkeit starkmachen. So schwer es gerade auch fallen mag.“
 

Brandsatz auf einer Berliner Straße
Ein Wasserwerfer der Polizei löscht eine brennende Barrikade.
Foto: imago/dts Nachrichtenagentur

Meinung: Juden schützen ist Christenpflicht

Portrait Stefan Schilde
Stefan Schilde
Redakteur TAG DES HERRN

Die Schilder, die Pro-Palästina-Demonstranten auf Berliner Straßen hochhalten, sprechen es zurecht an: Die Zivilbevölkerung in Gaza leidet. Was die Schilder jedoch ignorieren: Die Hamas missbraucht, indem sie sich traditionell in Wohngebieten verschanzt, diese Menschen als Schutzschilder. Die Bilder von zerbombten Häusern und getöteten Kinder sind eiskalt einkalkuliert, sie sollen das Bild bestätigen, wonach Israel in dem Konflikt der eigentliche Übeltäter sei. Trotz dieses feigen Spiels der Hamas sage ich: Auch die Bekämpfung von Terrorismus muss Grenzen kennen, ziviles Leid vermieden werden. Dass Israel sich wirksam (!) zur Wehr setzen darf, ist für mich aber ebenso unstrittig.
Einige Bekannte von mir, die meisten in der DDR aufgewachsen, sehen das anders. In Gesprächen stelle ich ein hohes Maß an Unwissenheit über den Nahostkonflikt und seine Entstehung fest, verbunden mit dem Unwillen zur Auseinandersetzung damit. Das hat Gründe: Nachdem die sozialistischen Länder die Gründung Israels als Teil einer Zweistaatenlösung mit Verweis auf den Holocaust lange unterstützt hatten, verlor der junge Staat bald darauf ihre Gunst, als er sich zum Westen orientierte. Fortan galt er als „zionistisch-imperialistisches Besatzerregime“. Diese Darstellung, stelle ich in Gesprächen selbst mit DDR-kritischen Menschen fest, hat sich tief eingebrannt. Diskussionen zu Israel werden deshalb selten sachlich geführt. Je länger die Gespräche dauern, desto emotionaler wird es.
Mit „emotional“ lässt sich beschönigend auch das derzeitige Geschehen auf den Straßen Berlins umschreiben. Demonstranten, darunter neben Arabern auch viele „Biodeutsche“, machen keinen Hehl daraus, dass die „Palästinafrage“ nur mit der Beseitigung des Staates Israels gelöst werden könne. Die bestialischen Hamas-Morde werden als Erfolge eines „legitimen Widerstands“ gegen die „Besatzer“ bejubelt. Jüdische Einrichtungen werden attackiert, Wohnungen, in denen Juden leben sollen, mit Davidsternen markiert. Mit Kippa auf die Straße traut sich in manchen Berliner Stadtteilen schon seit Jahren keiner mehr. Die Erzählung, die Abneigung richte sich ja nicht gegen Juden an sich, sondern gegen „die Zionisten“, hat sich endgültig als Mär erwiesen. Ich habe ihr ohnehin nie Glauben geschenkt. 
Dass es „nie wieder“ passieren darf, dass Juden hierzulande in Angst leben, bezeichnen deutsche Politiker mit Verweis auf unsere Geschichte als Staatsaufgabe und Bürgerpflicht.
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Die Pflicht, uns schützend vor unsere jüdischen Glaubensgeschwister zu stellen, muss umso mehr für uns Christen gelten, denn „wir“ haben im Verhältnis zu ihnen eine unselige Vergangenheit vorzuweisen. Ausgrenzung, Verfolgung, Ermordung – all das gab es schon viele Jahrhunderte vor den Nazis. Egal, wie ein jeder von uns es persönlich mit Israel halten mag: Jüdisches Leben schützen ist Christenpflicht