„Was ist uns (sonntags) heilig?“

Gottesdienst als Mittelpunkt

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Gesprächsrunde beim Pastoraltag in Arnstadt
Nachweis

Fotos: Eckhard Pohl

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Pfarrbeauftragte Claudia Wanierke bespricht mit den Teilnehmern Arbeitsschwerpunkte des Pastoraltages.

Bei einem Pastoraltag haben Christen der Pfarrei Arnstadt über aktuelle Herausforderungen für das Leben als Gemeinde nachgedacht. Der Feier des Sonntags kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, finden sie.

„Sonntagspflicht? Ja, bitte?“ stand über einem Tag des Austauschs und Nachdenkens am 14. Oktober in der Pfarrei Arnstadt. Dabei sollte gefragt werden, „was uns (sonntags) heilig ist und wie kirchliche Angebote aussehen müssten, damit Menschen mit Gott in Berührung kommen können“. Mit dabei war der Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann von der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt.
„Wir hatten im Frühjahr eine Umfrage in der Pfarrei gestartet. Dabei ging es besonders um den Sonntagsgottesdienst“, sagte Pfarreiratsvorsitzender Jürgen Müller (Ilmenau). „Gefragt wurde etwa, wie Gottesdienste gestaltet sein sollten, welche Zeit günstig erscheint, aber auch, wie jemand zum Gottesdienst kommt ...“ Immerhin hätten sich 60 Gemeindemitglieder beteiligt. Auf diesem Hintergrund sei die Idee für den Pastoraltag in der Pfarrei entstanden. Angesichts der Abbrüche nicht zuletzt in der Coronazeit gebe es in der Gemeinde „ein sehr starkes Interesse daran, dass wieder mehr Menschen eine Sonntagskultur im Sinne des Evangeliums pflegen“, so Müller. 
Vom Bistum habe es den Auftrag gegeben, unter den Hauptamtlichen in den Pfarreien Pastoraltage zu organisieren, sagt Gemeindereferentin Claudia Wanierke. „Da war für mich klar: Wir machen einen Pastoraltag mit der Gemeinde.“ Wanierke ist Pastorale Pfarrbeauftragte und leitet mit dem Theologen Markus Schnauß als Verwaltungspfarrbeauftragtem und dem moderierenden Priester Jean Francois Uwimana seit einem Jahr die Pfarrei Arnstadt. Dazu gehören Arnstadt, Ilmenau, Ichtershausen, Stadtilm und ein großes ländliches Gebiet im Thüringer Wald.
Zu dem Pastoraltag waren nun 28 Gemeindemitglieder, darunter etliche Gremienvertreter und drei Kinder, gekommen. Bei der Begrüßung erinnerte Wanierke an den Anspruch als Gemeinde, wie er 2015 in einem Leitbildtext für St. Josef in Ilmenau formuliert worden war: Danach sollen die Gemeindemitglieder ihre Gemeinde als „Quelle und Herberge“ erleben können. Die Gemeinde soll „allen offenstehen, die zu uns kommen“ ... „Die Kinder-, Jugend-, Familien- und Seniorenseelsorge und auch der Sonntag finden besondere Beachtung.“
Zunächst waren die Teilnehmer des Tages eingeladen, für sich schriftlich zu formulieren: „Was bedeutet für mich der Sonntag? Was gehört für mich zum Sonntag dazu? Und worüber möchte ich heute sprechen?“ Die Antworten waren vielfältig: „Gemeinschaft mit Gott und Familie“, „Tag der Ruhe ohne Arbeit“, „Zeit zum Kraft schöpfen“. Der Gottesdienst gehört für viele dazu, aber auch Zeit für Spiritualität, Bewegung, Spielen, Haus und Garten. Nachdenken wollten die Teilnehmer über die Gestaltung des Gottesdienstes, die Frage der Sonntagspflicht, aber auch darüber, warum es keine Jugendgruppe gibt und Familien im Gottesdienst nicht selten fehlen.

Wie können Kinder und Jugendliche Fuß fassen?

Anna Richter (43) aus Arnstadt – sie hat zwei Kinder im Alter von neun und 14 Jahren – war zu dem Tag im Arnstädter Gemeindehaus mit der Frage gekommen, unter welchen Voraussetzungen ihre Kinder in der Gemeinde Fuß fassen und aus eigener Überzeugung an kirchlichen Angeboten teilnehmen könnten. „Sie haben keine Gleichaltrigen, mit denen sie zusammen hingehen könnten“, sagte Richter. Auch sei der normale Gottesdienst oft wenig attraktiv für Kinder, von Angeboten wie St. Martin, dem Krippenspiel oder der Sternsingeraktion abgesehen. Christel Wolff-Leu aus Ilmenau war dabei, um „neue Formen der Gottesdienstgestaltung am Sonntag“ zu diskutieren und darüber nachzudenken, wie man „Familien und junge Leute erreichen“ kann. Der Tag biete ihr zugleich die Möglichkeit, „Gemeindemitglieder verschiedener Generationen kennenzulernen“, sagte die 65-Jährige. Kirchenvorstandsmitglied Johannes Mock (42) hat die in Ilmenau beheimatete Katholische Studentengemeinde, aber auch die Jugend der Pfarrei im Blick. Ihn bewege die Frage: „Wie können wir Studenten gewinnen, sich bei uns einzubringen, und wie wieder eine Jugendgruppe in der Pfarrei aufbauen?“
In Absprache unter den Teilnehmern des Pastoraltages ergaben sich dann für die weitere Arbeit in Gruppen und im Plenum Schwerpunkte, die nicht nur die Gestaltung des Sonntags im Blick hatten: Eltern von Jugendlichen diskutierten Möglichkeiten, eine Jugendgruppe aufzubauen. Dafür seien gute Angebote wie Jugendfahrten, aber auch möglichst junge Gruppenleiter nötig. Die Eltern selbst wollen einen Kreis bilden, der die Jugendarbeit fördert. In der Arbeitsgruppe „Familie“ wurde festgehalten: Kinder sind nur für die Gemeinde zu erreichen, wenn Eltern oder Großeltern mit ins Boot geholt werden können und den Kindern den Glauben weitergeben. In diesem Sinne wurde angeregt, den Erwachsenen jeweils in Schriftform mitzugeben, worum es im Kindergottesdienst inhaltlich ging. In der Arbeitsgruppe Kirche und Musik war von den Schwierigkeiten die Rede, neue Chormitglieder zu gewinnen. Für eine lebendige Jugendarbeit wäre eine Band Anziehungspunkt, wurde mit Kirchenmusiker Konrad Schäfer festgestellt.
 

Arbeitsgruppe
Teilnehmer diskutieren mit Professor Benedikt Kranemann (rechts hinten) Fragen der liturgischen Praxis.

In der Arbeitsgruppe Liturgie regte Professor Kranemann an, Erfahrungen etwa mit einer zeitgemäßen Sprache, wie sie in anderen Gottesdienstformen mit auch nichtchristlichen Teilnehmern gemacht werden, in die sonntägliche Eucharistiefeier aufzunehmen. Gut wäre auch, im Gottesdienst nach und nach einzelne Teile der Liturgie in ihrer Bedeutung zu erklären. Frei gehaltene Fürbitten würden die Aktualität und Intensität der Feier erhöhen. Nach dem Gottesdienst mit anderen ins Gespräch zu kommen, böte die Chance, zu hören, wie es Mitchristen ergeht.
Kranemann hatte am Vormittag in einem Vortrag an die vielfältige Gottesdienstpraxis im Laufe der Jahrhunderte erinnert. In der frühen Kirche habe es keinen arbeitsfreien Sonntag gegeben. Im Laufe der Geschichte seien nicht immer nur Hochformen des Gottesdienstes gefeiert worden. Auch hätten nicht immer alle daran teilgenommen. Aus Trier etwa sei in der Barockzeit überliefert, dass während der Weinernte Familien einen Vertreter zur Messe geschickt haben, während die anderen arbeiteten.

Bewusste Entscheidung, statt Sonntagspflicht

Für den Liturgiewissenschaftler muss die Teilnahme an der Sonntagsliturgie, zu der die persönliche Mitfeier des gemeinsamen Glaubens gehört, heute auf einer bewussten Entscheidung basieren. Nötig seien qualitätvolle Liturgien. Im Sonntagsgottesdienst müsse zur Sprache kommen, was das Miteinander der Menschen untereinander und mit Gott in der zurückliegenden Woche ausgemacht hat. Dafür sollten sich viele aus der Gemeinde engagieren und einbringen können. Die Gemeinde müsse an der Liturgie am Sonntag festhalten. Neben der zentralen Eucharistiefeier könne es viele andere Möglichkeiten geben, Gottesdienst zu feiern.
Entsprechende Formen dafür sollten unter Beteiligung vieler Getaufter vor Ort entwickelt und praktiziert werden, so der Liturgiewissenschaftler. Dabei gelte auch: „Wenn wir über Gottesdienst reden, müssen wir über die reden, die keine Christen sind“, so der Theologe. „Was verstehen Menschen ohne christlichen Hintergrund, wenn sie in unsere Gottesdienste kommen?“ Besonders Fremde sollten ausdrücklich willkommen geheißen werden. 
Die Pfarrbeauftragte Wanierke erinnerte am Ende des Tages daran, welchen „großen Schatz“ Christen mit der bewussten Feier des Sonntags in die Gesellschaft einbringen können und sollen. Rebekka Schnauß (43) zeigte sich davon angetan, dass bei dem Tag eine Reihe von Gemeindemitgliedern in „sehr regen Austausch“ getreten waren. Nun komme es darauf an, manche Ideen auch in die Praxis umzusetzen. Anna Richter fand gut, dass anstehende Fragen in der Gemeinde diskutiert werden, auch wenn es „keine fertigen Rezepte“ gebe.

Eckhard Pohl