Gegen den Trend: Peter Enders fand als Erwachsener seinen Weg in die Kirche

Von Platon zu Gott

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Portrait von Peter Enders
Nachweis

Fotos: Ruth Weinhold-Heße

Peter Enders stammt aus einem atheistischen Elternhaus und war DDR-Soldat. Über die Philosophie fand er schließlich zur katholischen Kirche und ließ sich taufen. „Gott hat mich so geschaffen, dass ich katholisch werde“, ist er überzeugt.

Im Jahr 2022 traten laut Deutscher Bischofskonferenz mehr als 500 000 Katholiken in Deutschland aus der Kirche aus. Peter Enders ließ sich im Dezember 2022 taufen und trat ein. Ein Jahr danach sagt er: „Ich bereue die Entscheidung nicht.“

Jemand, der ohne Gott aufwuchs und Jahrzehnte auf der Suche nach ihm war, weckt Interesse. Er habe mit seiner Taufe sein Leben ordnen wollen, sagt er. Die Kritik an und die Veränderung in dieser Kirche scheinen ihn wenig zu tangieren. „Mein Weg zum Glauben ist viel zu spannend“, erklärt Enders. Er sei kein Ignorant, aber die Austrittsdiskussionen stünden für ihn nicht im Vordergrund. „Gott hat mich so geschaffen, dass ich katholisch werde“, ist er überzeugt.
Enders, 61, stammt aus einem kommunistischen Elternhaus in der Nähe von Eisenach in Thüringen. Nahe der innerdeutschen Grenze wuchs er mit einer Mutter auf, die Lehrerin für Staatsbürgerkunde und Geschichte war, für zwei Fächer also, die an DDR-Schulen ideologischer nicht sein konnten. Sein Vater, ein studierter Agrarwissenschaftler, war Chef der örtlichen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). Die ersten Jahre prägten Enders allerdings seine Großeltern, die keine Mitläufer im System waren.

„Ich stellte zu viele Fragen“

Seine „schöne Kindheit“, wie er sagt, mit zwei Brüdern in einer dörflichen Gegend, wich dem Gefühl der Bevormundung, als er circa 15 Jahre alt war. „Da war meine Freiheit vorbei, und doch habe ich mich für das System entschieden, Teile des Marxismus übernommen und mich von 1981 bis 1984 drei Jahre für die Armee verpflichtet“, erzählt er.

Portrait Peter Enders
Peter Enders ist seit Jahren in Leipzig zu Hause und lebt für die Philosophie.

Als Soldat des sogenannten Wachregiments musste er in einem Waldstück südlich von Berlin einen in Wirklichkeit nicht genutzten Sendeturm bewachen. Zunehmend interessierte er sich für Philosophie. „Dort kam ich auf andere Gedanken. Ich gründete meinen ersten kleinen philosophischen Debattierzirkel, der aber schnell wieder einging.“

Nach dem Wehrdienst studierte Enders zunächst in Leipzig Tropische Landwirtschaft. Viele sahen solche Studienfächer als Möglichkeit, zu Forschungsreisen aus der DDR rauszukommen. „Aber ich stellte zu viele Fragen“, vermutet er heute. Peter Enders wurde 1989 Ingenieur-Ökonom für Landwirtschaft in den Tropen und Subtropen, aber die Philosophie ließ ihn nicht los. Allerdings „brauchte ich noch einen langen Anlauf, um von meinen Fragen her auch auf Gott zu kommen“, sagt er.

Im Sommer 1989 war Enders geschieden, hatte sich seiner Familie entfremdet, trat aus der SED aus und zog nach Berlin-Prenzlauer Berg in ein Abrisshaus. „Das war kurz vor der Wende und eigentlich war es furchtbar. Ich lebte billigst, quasi auf einer Müllhalde, Ratten im Erdgeschoss, Axt in der Tür darüber. Ich hatte viele schräge Erlebnisse und viele Freunde. Damals kochte es in Berlin“, erinnert sich Enders. Schließlich lebte er illegal im Sperrgebiet in der Nähe des Checkpoint Charlie, bis man ihn aufgriff und Berlin-Verbot erteilte. „Mein Leben in der DDR war sehr intensiv,“ urteilt er heute.

Sein Lichterlebnis trägt ihn viele Jahre

In dieser Situation hatte Enders ein „Lichterlebnis“, wie er es nennt. Er beschreibt das so: „Obwohl ich völlig atheistisch aufgewachsen war und nicht an überirdisches Leben geglaubt habe, war ich wie vom Blitz getroffen.“ Enders hatte den Eindruck zu schweben. „Da hat sich plötzlich etwas in mir verändert: Ich habe mich frei gefühlt, ich hatte die Zuversicht, alles wird gut, und ich bekam Kraft. Das hat mich jahrelang getragen“, erinnert er sich. Enders glaubte, niemandem davon erzählen zu können. Von Christen hatte er damals „ein seltsames Bild“, erklärt er.

In Philosophen wie Descartes fand Enders Gleichgesinnte, über die Epochen hinweg. Vor allem die Suche des Franzosen Descartes nach Klarheit und Deutlichkeit begeisterten ihn. Es begann ein jahrelanges ernsthaftes Selbststudium.

Die politische Wende veränderte auch in anderer Hinsicht sein Leben nachhaltig. „Der ganze Quatsch hörte endlich auf“, kommentiert Enders den Systemwechsel heute. Um manche klugen Gedanken sei es allerdings schade gewesen, findet er. Endlich konnte er alles lesen, denn alle Bücher waren jetzt erhältlich.

In der Zeit lernte er auch seine Frau kennen und verdiente seinen Lebensunterhalt mit Zeitungaustragen. „Dieser Moment, wenn die Stadt erwacht, das war sehr meditativ, da konnte ich gut nachdenken“, erzählt er. In seiner philosophischen Lebensreise verließ er Marx, setzte sich neben Descartes mit Hegel auseinander und kam zu Platon, von dort zu Augustinus und Cusanus. „Der ist ein christlicher Platoniker, der mich fasziniert hat“, so Enders. Die Verbindung von Christentum und griechischer Philosophie, wie sie zum Beispiel Thomas von Aquin auszeichnet, schätze er sehr.

Enders begann 1999 ein Philosophiestudium in Halle an der Saale, das er allerdings nicht abschloss. „Ich war bereits zu alt für unreifes Rätselraten oder literarhistorische Ergüsse“, sagt er rückblickend. Als er sich in einem Seminar „als Platoniker outete“, sei er von den jüngeren Kommilitonen gemobbt worden. Er empfand, dass er in dem relativ kleinen Philosophiebereich an der Uni Halle nicht mehr ins Bild passte. Man wolle heute nicht wahrhaben, „dass philosophisch die wesentlichen Antworten zu den wesentlichen Problemen bereits in der Antike gefunden wurden“, sagt er. Dem Wissenschaftsbetrieb entwuchs Enders. „Ich musste schließlich auf Gott kommen“, so sein Resümee.

2004 zog Enders wieder nach Leipzig, gründet zehn Jahre später den „Verein für Philosophische Bildung Leipzig“ und tauscht sich bis heute in einem kleinen Kreis über philosophische Fragen aus. Der intensive Austausch fordert ihn heraus: „Das ist manchmal nicht ohne und dabei relativ intim“, erklärt er. Demnächst geht das vierte Vereinsheft in Druck.

Irgendwann kam er auch mit der Kontaktstelle „Orientierung“ in Berührung, einem niedrigschwelligen ökumenischen Angebot mitten in der Leipziger Innenstadt. Weil er einen philosophischen Abend dort „so furchtbar“ fand, bot er selbst Vorträge an, die er zwischen 2007 und 2012 regelmäßig hielt. Der Jesuitenpater Hermann Kügler, der zu der Zeit die „Orientierung“ leitete, und Enders wurden Freunde.

Vor der Taufe nicht vollständig gefühlt

Als Pater Kügler in der Volkshochschule eine Veranstaltung organisierte, in der sich Kleingruppen austauschen konnten, nahm Enders teil. Dort lernte er Gregor Giele kennen und schätzen, ohne zunächst zu wissen, dass dieser katholischer Pfarrer ist. Als er nach einer überraschenden und tiefgreifenden familiären Krise sein Leben ordnen wollte, griff er diesen eher losen Kontakt wieder auf. Propst Giele taufte ihn.

„Vor meiner Taufe habe ich mich nicht ganz vollständig gefühlt“, sagt Enders über seine Entscheidung. „Ich fand mich nicht ausreichend begründet.“ Die Taufe sei ein Abschluss für einen Prozess, ein „praktisches Zeichen“ für seine gewachsene Überzeugung. Seine Auseinandersetzung mit Lehre und Ritus sei nach wie vor eine philosophisch gegründete und insofern vielleicht anders verlaufen als bei jemandem, der in der Kirche aufgewachsen ist. „Aber der Gott der mir wichtigen Philosophen ist nicht wesensverschieden von dem Gott der Bibel“, so Enders. Und er betont: „Ich finde den katholischen Ritus sehr gut durchdacht, wenn ich so sagen darf. Das Gebet in Gemeinschaft gibt mir Halt.“ Die Zwiesprache mit Gott ist eine Antriebsfeder im Leben von Peter Enders geworden.

Ruth Weinhold-Heße