Pilgern im Alter
Der tiefe Bezug zu Gott
Fotos: Privat
Vor seiner ersten großen Tour war Horst Birkefeld aus Niederorschel bereits 63 Jahre alt. Bis dahin war der Eichsfelder schon einige Male zu Fuß nach Walldürn zur Wallfahrt „Zum Heiligen Blut“ gepilgert. Was Birkefeld jedoch im Jahr 2015 im wahrsten Sinn des Wortes auf die Beine stellte, war etwas Besonderes, wie er heute noch sagt. Sein Plan war, in zwölf Wochen zu Fuß 1800 Kilometer weit in die „ewige Stadt“ Rom zu laufen. Sein Bekannter Bruno Preis aus Gernrode ging mit. Mitte August machten sich die beiden auf den Weg, der sie zuerst durch den Thüringer Wald, vorbei an Coburg und Bamberg nach Augsburg führte. „Schon früh merkten wir, dass Pilgern auch Verzicht bedeutet. Wir hatten nur das Nötigste dabei: Hygieneartikel und Wechselwäsche“, meint der rüstige Senior.
Nach knapp drei Wochen erreichten die beiden Garmisch-Partenkirchen, bevor es an Innsbruck vorbei zum Brennerpass hinauf ging. Das sei die erste Etappe gewesen, die so richtig in die Beine ging, erinnert sich Birkefeld. „Übernachtet haben wir in Jugendherbergen, auf Zeltplätzen und in Klöstern, wo wir immer auf offene Ohren stießen. Sollte es mit einem Schlafplatz einmal ganz eng werden, waren wir uns einig, dass wir uns sogar in Kirchen einschließen lassen würden, um auf dem Boden in der Nacht etwas zu schlafen“, erzählt der nun 73-Jährige. Als Pilger gehe man zuweilen stundenlang vor sich hin, ohne ein Wort zu sagen. Dann baue man eine wunderbare Beziehung zu Gott auf, strahlt der Eichsfelder noch heute.
„Eines der schönsten Erlebnisse in meinem Leben“
Entlang der alten Brenner-Staatsstraße ging es bergab an Brixen vorbei, durch Wein- und Apfelplantagen bis zum Kalterer See bei Bozen. „Schon da freuten wir uns auf die anstehende Woche, in der wir Padua erreichen sollten“, sagt Birkefeld. So war der Besuch in Venetien am Grab des heiligen Antonius eine bedeutende Zwischenstation auf der Wanderroute. „Irgendwo bei Bassano del Grappa begegneten wir zwei italienischen Pilgern, die uns ein Stück begleiteten und uns darauf aufmerksam machten, dass sich echte Pilger nicht rasierten und nicht die Haare schnitten. Ich habe das von da an beherzigt und durchgezogen“, lacht der Senior.
Die schwerste Teilstrecke stand in den Apenninen an. „Bei Starkregen haben wir südöstlich von Bologna den Hauptkamm des Mittelgebirges überquert“, spricht Birkefeld über die beschwerliche Strecke. Der Besuch des Grabes des heiligen Franziskus in Assisi war dann eine der letzten Stationen, bevor die beiden das Latium erreichten und wenig später vor den Toren Roms standen. Nach ihrer Ankunft gab es für die beiden Eichsfelder und andere Pilger eine Generalaudienz mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz. „Das war eines der schönsten Erlebnisse in meinem Leben“, blickt Horst Birkefeld auf diesen für ihn erhabenen Moment zurück.
Drei Jahre später, 2018, machte sich der ehemalige selbstständige Bauunternehmer allein zum Pilgern auf. Das Ziel hieß Santiago de Compostela im spanischen Galizien, der Weg dahin ist besser bekannt als der „Jakobsweg“. Birkefeld hatte sich für die kräftezehrende Südroute „Camino Via de la Plata“ von Sevilla aus entschieden. „Da werden es in Andalusien im Sommer schon mal über 40 Grad und die Sonne scheint dir zwölf Stunden unerbittlich aufs Haupt. Deswegen ging ich im April los. Mir wurde bewusst, dass ich dieses Mal unabhängig, aber auch ganz mit mir allein bin. Dann schaust du zu Gott auf und bist dankbar für vieles im Leben, dankbar für die Gesundheit und dass die Firma auch in schweren Zeiten immer lief“, sagt Birkefeld mit ruhiger Stimme. Viele Menschen gingen den Jakobsweg nicht aus religiösen Gründen, sondern, um schwere Schicksalsschläge wie Suizid-Erlebnisse, Trennungen, Unglücksfälle oder Tod aufzuarbeiten. Das jedenfalls habe er unterwegs erfahren, sagt der Mann aus Niederorschel.
An der portugiesischen Grenze entlang wanderte er nordwärts an Salamanca und Zamora vorbei. Was sich dann vor einer kleinen Kirche in einem spanischen Dorf abspielte, lasse sich kaum überbieten, schwärmt Birkefeld noch heute. Die Begegnung dort mit einer scheinbar englischen Touristin entpuppte sich als Überraschung seiner Frau. Die hatte sich mit Perücke und Sonnenbrille geschickt verkleidet und war über spanisch sprechende Verwandte, die auch mit Birkefeld Telefonkontakt hatten, exakt über den Pilgerstandort ihres Mannes im Bilde. „Das war etwas Wunderbares“, strahlt der Eichsfelder. Bei 54 Etappen lief er jeden Tag so um die 20 bis 30 Kilometer. Nach genau 1006 Kilometern und acht Wochen Wanderung erreichte Horst Birkefeld schließlich Santiago de Compostela in Galizien.
Die letzte große Pilgertour
Nachdem der Thüringer im Jahr 2022 auch noch den kürzeren „Camino Primitivo“ von Oviedo nach Santiago de Compostela absolviert hatte, sollte ein Jahr später in Norwegen der „St. Olavsweg“ mit seinen 700 Kilometer von Oslo nach Trondheim die vorläufig letzte große Pilgertour werden. Dieses Mal ging Birkefelds Schwager Gerhard Konradi aus Heiligenstadt mit. „Das war die härteste Tour. Oft konnten wir nur barfuß laufen, weil das Wasser von oben und von unten kam. Schroffe Felsen, spitze Steine und unwegsames Gelände waren an der Tagesordnung“, denkt er zurück. Wieder hatten die zwei nur das Nötigste am Mann.
Beim Pilgern werde einem bewusst, dass die meisten Menschen im Überfluss lebten, ist sich Birkefeld sicher und sagt: „Wir in Europa haben zu viel materiellen Wohlstand, der nicht nötig ist. Selbst, wenn wir auf viel Luxus verzichten würden, hätten wir immer noch viel zu viel von dem, was wir nicht brauchen.“ Mit großen Pilgertouren soll nun eigentlich Schluss sein. Aber vielleicht geht es doch nochmal auf die iberische Halbinsel: „Der ‚Caminho Português‘ von Porto nach Santiago de Compostela reizt mich noch“, gibt Horst Birkefeld zu erkennen und verrät sein Pilgerleitbild: „Der Weg gibt dir nicht das, was du willst, sondern das, was du brauchst“.