Erstmals wird Großteil der Veitsdom-Reliquien außerhalb Tschechiens gezeigt

Ein Prager Schatz als Zeugnis

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Tafelreliquiar (Staurothek) (Trier, 1266)
Nachweis

Fotos: Martin Polák/SKD

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Tafelreliquiar (Staurothek) aus der ehemaligen Abtei St. Martin in Trier (Trier, 1266).

In Dresden sind unter anderem die ältesten und am prächtigsten gefassten Exemplare zu sehen. Michael Kunze hat die Ausstellung besucht und fragt sich: Was können die Reliquien uns heute noch sagen?

Wir sehen von Gold oder Silber gehaltene Knochen und Knöchlein, besetzt mit leuchtenden Halb­edel- und Edelsteinen, Monstranzen, die sogenannte Mitra des heiligen Adalbert, Kettenhemd und Kragen des heiligen Wenzel. Reliquien von Petrus, Paulus und Ludmilla, einer Landesheiligen Tschechiens, stehen in ihren Gefäßen vorzüglich ausgeleuchtet in gläsernen Vitrinen. Mit Edelmetall durchwirkte Gewänder hängen neben Ikonen. 

Kanne
Kristallkrug mit einem Teil der Reliquie des Tischtuchs vom Letzten Abendmahl Jesu (Paris/Prag, um 1350).

125 der anmutigsten und ältesten Stücke, der Großteil des Veitsdomschatzes, werden bis 8. September in der Kunsthalle im Dresdner Lipsiusbau gezeigt. Das gab es noch nie außerhalb Tschechiens, zumal die Arbeiten in Prag seit Jahren für die Öffentlichkeit unzugänglich sind. Ins Ausland verliehen waren bislang nur Einzelobjekte, sagt Kurator Jiří Fajt beim Rundgang. 

Den eigenen Blickwinkel verändern

Er hat die Werke unter dem Motto „Fragmente der Erinnerung“ mit jenen der zeitgenössischen Künstler Edmund de Waal, Josef Koudelka sowie Julian Rosefeldt in Beziehung gesetzt: einer raumgreifenden Installation, aus Dresdner Kriegsschutt geborgenem und restauriertem Meißner Porzellan der jüdischen Familie von Klemperer, Fotografien der israelischen Sperranlagen zum Westjordanland, einem Film über Geschichtsdeutungen, der Bibliothek eines verstorbenen Gelehrten. Es ist nicht einfach, die inhaltliche Klammer um die Exponate angesichts zahlreicher Zugänge nachzuvollziehen. Im Fokus steht die Fähigkeit des Menschen, im Kontext von Kultur, Geografie oder Religion seine Geschichte zu deuten – und diese Sicht zu verändern, auch jene auf Reliquien.

Tafelreliquiar (Staurothek)
Tafelreliquiar (Staurothek) aus der ehemaligen Abtei St. Martin in Trier (Trier, 1266).

„Wir sehen nur, was wir wissen“, sagte Goethe. Aber auch, was wir glauben, ergänzen Psychologen wie Theologen. Es kommt darauf an, wie der Betrachter sich den Heiltümern –  so ein lange Zeit üblicher Begriff für Reliquien – nähert. Im Geiste des Dichters hängt es ab von Kenntnissen der anspruchsvollen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Material-, Farb- und Formensprache, dazu vom Wissen über die Motive der Sammler. Die meisten Arbeiten aus Prag stammen aus dem 13. bis 16. Jahrhundert. Die Reliquienkreuze oder Gewänder zeugen von der Kunstfertigkeit der Meister. Dies Offensichtliche bietet kaum Anlass für Kontroversen. Sie künden zudem, ebenso wenig umstritten, von der Potenz der Auftraggeber. Für Prag war das allen anderen voran Kaiser Karl IV., der auch König von Böhmen war. 

Künstlerische Arbeit als Glaubensbekenntnis

Hinter diesen Gedanken zurück bleiben heute, anders als einst, oft weitere: dass solche Fertigkeit ohne gläubige Beziehung zum Objekt wohl kaum derart umgesetzt worden wäre. Der Künstler hat mit seiner Arbeit ein Glaubensbekenntnis abgelegt. Dies wird man, trotz allen Machtgehabes, auch annehmen dürfen für den, der ihn bezahlte. Das taugt schon eher als Gesprächsstoff. Schließlich sind die Reliquien Ausdruck dafür, dass der christliche Glaube damals und – wir verdrängen es oft – auch heute vielerorts weiterhin existenzielle Konsequenzen haben kann. Sie zeigen uns, dass jene, die sich diesen Konsequenzen um der Liebe Christi willen gestellt haben und stellen, als verehrungswürdig angesehen werden. Die Verbindung, die dieses Zeugnis mit der Kunst in den Reliquiaren eingeht, ist Zeichen dafür, dass man sich gern in der Nähe der „Überbleibsel“ – nichts anderes meint „Reliquie“ – aufhielt und -hält, selbst wenn sie nicht über jeden Zweifel an der Authentizität erhaben sind. Verwerflich bleiben Fälschung und Geschäftemacherei. Ob aus diesen oder anderen Gründen die bloße Existenz eines solchen Schatzes infrage gestellt wird, liegt im Auge des Betrachters.

Reliquienbüste des heiligen Adalbert
 Reliquienbüste des heiligen Adalbert (Prag, um 1497).

Mehr als kunstfertige Kuriositäten

Die Einen werden durch die überlieferten Worte eines Christuszeugen gestärkt, andere durch Berichte über ein Heiligenleben in Nächstenliebe. Wieder andere finden Andacht vor einer Reliquie. Entscheidend sollte sein, welcher Geist dabei waltet. Für derlei Überlegungen leistet diese Schau wichtige Anstöße.
Die Gefahr, die aus einer bloß nach künstlerischen Kriterien abgeleiteten Beurteilung erwächst, liegt auf der Hand. Denn gelebt haben und gestorben sind die Glaubenszeugen nicht für materiellen Prunk. Es ist gut, dass die Kuratoren in den Begleittexten einer verengten Sicht auf die Stücke als bloß kunstfertige Kuriositäten kundig begegnen.  

Die Ausstellung ist bis 8. September in der Kunsthalle im Lipsiusbau (Georg-Treu-Platz 1, Dresden) zu sehen. Öffnungszeiten: täglich (außer montags) von 10 bis 18 Uhr; Eintritt: 8, ermäßigt 6 Euro (bis 16 Jahre frei)

 

Michael Kunze