Theaterstück „Asking the Pope for Help“

Statement gegen das Vergessen

Szene aus dem Theaterstück „Asking the Pope for Help“

Fotos: Johanna Marin

Jüdische Schüler sitzen im Unterricht. Der Kasten für Briefe ist in jeder Szene präsent.

Die Erfurter Edith-Stein-Schüler haben das Theaterstück „Asking the Pope for Help“ (Den Papst um Hilfe bitten) aufgeführt. Dadurch wollen sie verfolgten Juden, die sich in der Nazizeit mit Bittbriefen an Papst Pius XII. wandten, wieder eine Stimme geben.

„Wir wollen nicht so tun, als wären wir die verfolgten Juden – wir wollen von ihnen sprechen.“ Ein Mädchen in Schwarz steht auf der Bühne, hinter ihr andere Jugendliche. Das Publikum lauscht, während die Oberstufenkurse der Edith-Stein-Schule und die Theater-AG das Stück „Asking the Pope for Help“ (Den Papst um Hilfe bitten) aufführen. Sie verlesen Briefe, die verfolgte jüdische Menschen im Zweiten Weltkrieg an Papst Pius XII. und den Vatikan schickten, zeigen die Reaktionen derer, die die Briefe entgegennahmen, und berühren dabei tief.

Der erste Akt beginnt ruhig, während ein Ensemble aus Darstellern auf der Bühne auf und ab geht. Sie murmeln Passagen aus den Briefen vor sich hin. Einer nimmt sich eine Requisite – einen Hut – setzt sich und beginnt zu lesen: „Heiliger Vater, obwohl ich ein gläubiger Jude bin, wage ich es, mich an Sie zu wenden. In dem festen Glauben, dass uns alle ein Gott regiert.“ Die Schüler lesen weitere Briefe. „Wo ist mein Sohn?“, rufen sie aus. Die Menschen schreiben von ihrem Leid und den Lieben, um die sie sich sorgen. Sie erbitten Hilfe, viele erwähnen ihren Bezug zum Christentum trotz jüdischer Abstammung und appellieren an die Nächstenliebe. Das Lesen der Briefe wird von kurzen Szenen unterbrochen: Eine Schulklasse sitzt auf der Bühne, als zwei Beamte der Gestapo hereinstürmen und jüdische Kinder vor ihren Mitschülern abführen. Menschen in zeitgenössischer Kleidung laufen umher, Reisegepäck in der Hand. Männer der Gestapo, gespielt von jungen Mädchen, pferchen sie zusammen, schlagen auf sie ein und schleifen einen Mann von der Bühne. Ein Kontrast zu den Briefen, die die Jugendlichen ruhig vorlesen.

Von der Stimmung Einzelner abhängig

Szenenwechsel, zweiter Akt: Tische für die Mitarbeiter der Verwaltung des Vatikans stehen auf der Bühne. Die Schüler lesen weitere Ausschnitte der Briefe, diesmal mit ganz konkreten Anliegen: Sie brauchen Geld, ein Visum, ein Ticket für die Schiffspassage nach Amerika. Eine Mitarbeiterin betet für den Absender eines Briefes, will unbedingt helfen. Die nächste stöhnt auf. „Schon wieder die“, sagt sie. „Das ist viel zu aufwendig!“ „Diese Hebräer spinnen doch“, schimpft ein Mann. „Ist der wenigstens katholisch?“, fragt ein anderer. Eine Frau wirft ein: „Wir müssen was tun. Außerdem bittet der Bischof uns, zu helfen.“ Die Szene zeigt, wie sehr das Schicksal der Menschen von der Stimmung Einzelner abhing.

Theaterszene
Die Jugendlichen leihen den Menschen, die Briefe geschrieben haben, ihre Stimme.

Die jüdischen Menschen werden als Schattenriss hinter einem Vorhang erkennbar und erzählen von ihrem Schicksal: Manche konnten sich ohne Unterstützung retten, andere mithilfe des Vatikans fliehen. Nicht allen wurde geholfen. Nicht alle haben überlebt.

Im letzten Akt treten die Schüler gemeinsam auf, stellen sich schweigend auf die Bühne. Doch diesmal sind sie nicht allein: mit Stift und Klemmbrett in der Hand streift der Papst durch die Menge, inspiziert sie. Da gerät Bewegung in die Gruppe, die Jugendlichen positionieren sich im Halbkreis um den Papst, die Zeigefinger anklagend auf ihn gerichtet. Er hält sich nacheinander Augen, Ohren und Mund zu. Nichts sehen, hören, sagen. Ein Schüler tritt heran, einen Korb mit all den Briefen im Arm, und schüttet ihn über dem Kopf des Papstes aus. Der regt sich nicht.

Das Stück endet mit dem lautstarken Ausruf „Nie wieder ist jetzt!“. Applaus brandet auf. Die Schulseelsorgerin, Christiane Hennig-Schönemann, tritt auf die Bühne und lobt: „Ich bin froh, dass so viele junge Menschen bereit sind, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen“. Die Schüler selbst betonen, dass sie nun wissen, dass diese Menschen mehr seien als nur ein Name auf Papier – und dass sie eine Stimme verdienen.

Rolle des Papstes bleibt umstritten

Im Projekt „Asking the Pope for Help“ der Uni Münster sollte die Rolle von Papst Pius XII. zur Nazizeit erforscht werden. Als in den vatikanischen Archiven Tausende von Bittbriefen zutage kamen, disponierten die Forscher um: Stattdessen werden nun die Briefe untersucht und veröffentlicht. Im Zuge des Katholikentags stellten die Mitarbeiter aus Münster der Edith-Stein-Schule eine Auswahl an Briefen zur Verfügung. Die elften Klassen und die Theater-AG setzten sich mit ihnen auseinander, konzipierten die Aufführung und verfassten Zwischentexte.

Die Szene, in der die Schüler den stummen Papst mit Briefen überschütten, liest sich wie eine Anklage. Jana Haack, Mitarbeiterin im Projekt, versucht, das einzuordnen: Papst Pius XII. sei einer der umstrittensten Päpste der Kirchengeschichte. An seiner diplomatischen Vorgehensweise gebe es viel Kritik, aber bisher nur Forschung und kein Ergebnis, sagt sie. „Das soll in diesem Theaterstück auch nicht bewertet werden, da geht es um die Einzelschicksale derer, die die Briefe geschrieben haben.“ Sie erläutert, dass nicht der Papst persönlich, sondern die katholische Kirche unzählige Briefe in vielen Sprachen erhielt und mit einer Informationsflut kämpfen musste. „Dieses Theaterstück soll zeigen, dass es eben nicht schwarz oder weiß, sondern grau ist“, sagt Jana Haack.

Johanna Marin