Orden feiert Jubiläum

Gemeinsam auf der Suche

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Festgottesdienst
Nachweis

Foto: Augustiner

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Während eines Gottesdienstes am Augustinusfest 2023 in der Erfurter Brunnenkirche: Die Gemeinde sitzt sich gegenüber. Links steht Augustiner-Bruder Jeremias am Altar, hinten vor dem Türbereich befindet sich der Ambo.

Seit zehn Jahren wirken Augustinermönche in Erfurt. Um sie herum ist eine ökumenisch offene Gemeinde gewachsen, die sich um Christus versammelt. Die Gemeindemitglieder tragen vieles ehrenamtlich, sagt Bruder Jeremias.

„Als wir vor zehn Jahren 2013 in Erfurt ankamen, hatten wir keinen vorgefertigen Plan, wie unser Dienst als Augustiner hier aussehen sollte. Wir sind durch die Stadt gegangen, haben uns umgeschaut und in den Gemeinden bei Gottesdiensten ausgeholfen“, sagt Augustiner-Bruder und Priester Jeremias Kiesl (54). „Und wir haben am Anfang überlegt, wo wir hier unter den konkreten Bedingungen was Augustinisches prägen könnten.“
Heute bieten die Augustiner in Erfurt einen festen Anlaufpunkt rund um die Brunnenkirche (Fischersand). Sonn- und feiertags ist 13 Uhr Eucharistiefeier, es kommen um die 50 Personen, katholische und auch evangelische, die sich um Christus versammeln wollen, wie es Bruder Jeremias sagt. Montags, donnerstags, freitags und samstags lädt die Gemeinde 19 Uhr zur Abendmesse ein. Samstags nehmen zirka 20 Christen teil. Montags besteht die Möglichkeit zur Meditation im Evangelischen Augustinerkloster, dienstags ist Bibelteilen angesagt. Es gibt einen Augustinus-Lesekreis, der sich mit den „Confessiones“ (Bekenntnissen) des Augustinus auseinandersetzt. Bei den sogenannten Tischgesprächen jeweils am Fünften jeden Monates werden abwechselnd aktuelle Themen, liturgische Fragen oder ökumenisch-theologische Aspekte erörtert. In Kooperation mit verschiedenen Partnern auch aus anderen Religionen finden Angebote zu unterschiedichen Themen statt. Ein wichtiges Element im Leben der Brunnengemeinde, wie sie inzwischen von manchem genannt wird, ist die monatliche Gemeindeversammlung, ein anderes die persönliche Begleitung von Menschen.
„Wir merken: Uns gelingt es in unserem klösterlichen Kirchesein besser, Menschen zu begleiten, als das in den tradierten Gemeindestrukturen möglich ist“, sagt Bruder Jeremias. Eine Pfarrei habe ein festes Programm und feste Strukturen. Da bleibe oft wenig Raum, den Blick auf Aktuelles zu richten und außerhalb gewohnter Pfade seelsorglich tätig zu werden.
„Hier in der Gemeinde kann man leicht andocken“, sagt Gemeindemitglied Marion Herzberg (58), die mit ihrem Mann vor drei Jahren dazukam. Die Gottesdienste in der Brunnenkirche seien allein schon deshalb lebendig, weil man sich durch gegenüberstehende Stuhlreihen anschaut und als Gemeinschaft erlebt. „Wir nehmen uns für den Gottesdienst Zeit, halten auch mal Stille“, so Herzberg weiter. „Es ist viel Freiheit da.“ Auch experimentelle Elemente kämen zum Einsatz. So sollte mal jeder ein Symbol für etwas mitbringen, wofür er dankbar sein kann. Sie selbst habe eine Plastikspritze als Zeichen für ihre Gesundheit dabei gehabt.
„Menschen erfahren sich bei uns als wahrgenommen“, fährt die Erfurterin fort. Außerdem schätzt sie das Miteinander nach den Gottesdiensten: „Wir stehen oft noch lange zusammen, um uns auszutauschen, und sind dabei offen für Neue.“ Einmal im Monat finde nach dem Sonntagsgottesdienst  ein Kirchencafé statt. Im Sommer sitze man nach der Abendmesse oft noch zusammen, auch bei einem Glas Wein.

Unterschiedliche Erfahrungen gesammelt

In den zurückliegenden zehn Jahren haben die Augustiner in Erfurt verschiedene Erfahrungen gesammelt: Nach dem Jahr des Erkundens begannen die Ordensleute, Angebote rund um die Crucis-Kirche zu machen. Doch das Miteinander mit der ansässigen Ortsgemeinde gestaltete sich schwierig. Auch weil die Ordensleute von Anfang an im Pfarrhaus der evangelischen Reglergemeinde wohnen und den Augustinern eine lebendige Ökumene wichtig ist, wurden sie von den evangelischen Christen in die Reglerkirche eingeladen. Aber auch hier wurde die gemeinsame Nutzung der Kirche mit der Zeit zum Pro-blem. Inzwischen hat die „Wahlgemeinde“ um die Augustiner nun ihren Ort in der Brunnenkirche gefunden, die dem Bistum gehört. Start des Gemeindelebens hier war am 1. September 2021.
Augustinisch zu leben heiße, „Gemeinschaft zu bilden und auf sprirituelle Suche nach Gott zu gehen“, sagt Bruder Jeremias. Vom heiligen Augustinus stammt das Wort: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir.“ Wie Augustinus gelte es, Suchende auf dem Weg zu sein und zu bleiben, sagt der Augustiner. Bei dieser Suche dürfe man auch Fehler machen.
 

Augustinerkonvent von Erfurt
Leben gemeinsam in Erfurt (von links): die Augustinerbrüder Jeremias Kiesl, Pius Wegscheid und Orlando Ibarra (Kolumbien).
Foto: Eckhard Pohl

„Wir versuchen als Gemeinde, den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich zu halten, haben zum Beispiel keine Mitglieder-Kartei, keinen Kirchortrat oder Kirchenvorstand, und brauchen uns nicht um den Erhalt der Kirche zu kümmern“, sagt der Seelsorger. Da sei die Wahlgemeinde privilegiert. „Wichtig für uns ist die monatliche Gemeindeversammlung, zu der alle eingeladen sind. Hier ist der Ort, wo wir unseren Weg reflektieren, die Früchte dessen genießen, was wir in der zurückliegenden Zeit miteinander erlebt haben, und danach fragen, wohin der Heilige Geist uns locken will.“ Jeder habe das Recht, Vorschläge zu machen. Wenn sie auf Resonanz stoßen und jemand dafür Verantwortung übernimmt, sei die Chance groß, dass etwas daraus wird. Er sei immer wieder erstaunt, was alles von der Gemeinde getragen wird und habe in den zurückliegenden Jahren gelernt, dem möglichst nicht im Wege zu stehen, so der Ordensmann. Zum Beispiel wurde der Gottesdienst am Heiligabend bewusst nicht als Messe und von Gemeindemitgliedern gestaltet. „Wenn die Augustiner mal weg sind und nicht die heilige Messe feiern können, versammeln wir uns trotzdem. Leute, die das können, bereiten dann einen Gottesdienst vor. Die Vielfalt, die dadurch entsteht, stößt auf sehr gute Resonanz. Und was nötig ist, wird einfach getan“, so Herzberg, die sich  im Rahmen geringfügiger Beschäftigung um Organisatorisches kümmert.
Ein nicht zu unterschätzendes Angebot seien die Werktagsmessen, die sorgfältig vorbereitet werden, sagt Bruder Jeremias. „Zu diesem Angebot kommt eine eigene Gruppe von Leuten. Für manche ist der Werktagsgottesdienst ihr Mittelpunkt.“ Hinsichtlich der Gottesdienstteilnehmer generell gebe es einen kleinen Kern, der immer da ist. Und es gebe Menschen, vielleicht sogar die Mehrheit, die immer mal zum Gottesdienst und anderen Angeboten auftauchen. „Unter den Gemeindemitgliedern sind Leute, die von ihrer bisherigen Gemeinde oder von der Kirche überhaupt frustriert sind. Aber es gibt auch viele, die sich, obwohl sie zu uns kommen, trotzdem in ihren Stammgemeinden engagieren“, so Bruder Jeremias.

Chancen angesichts einfacher Verhältnisse

Dass sie als Ordensleute vor zehn Jahren nach Erfurt gekommen seien, habe damit zu tun, dass es hier bis in die Reformationszeit ein Augustinerkloster gab – mit Martin Luther als seinem berühmtesten Mönch. Grund sei aber vor allem gewesen, dass die Kirche hierzulande klein ist und einfacher lebt als im Westen und genau das vielleicht Chancen bietet – auch für die Gründung eines neuen Konvents. Anfangs seien sie vier Augustiner gewesen. „Nach dem Weggang von zwei Mitbrüdern hatten wir gehofft, wenigstens wieder einen dritten Mitbruder zu bekommen“, sagt Bruder Jeremias. „Aber unser Orden – wir sind 32 Mitbrüder in Deutschland – kann niemanden zur Verfügung stellen, ohne anderswo ein Loch zu reißen.“ Dennoch lebt derzeit mit den Brüdern Jeremias Kiesl und Pius Wegscheid (84) der kolumbianische Augustiner Orlando Ibarra (40) in Erfurt. Er will die Situation in einer Region kennenlernen, wo nur sehr wenige Christen leben und viele Menschen ohne Konfession sind. „In unseren Vollzügen als Gemeinschaft, also zum Beispiel beim Beten der Laudes, nehmen oft Menschen von außen teil“, sagt Bruder Jeremias. Das mache auch unter den kleinen Verhältnissen Mut und sage etwas über das Miteinander in der Gemeinde.

www.augustiner-in-erfurt.de
 

Eckhard Pohl