Zwei Priesterweihen bei den Leipziger Dominikanern
Hoffnung und innere Einkehr
Foto: Ruth Weinhold-Heße
Simon Hacker trägt auffällige bunte Lederschuhe unter seinem weißen Dominikaner-Habit. Darauf angesprochen, erklärt er, lieber wertige, handgefertigte Gebrauchsgegenstände zu kaufen und diese möglichst lange zu nutzen, anstatt billige, die schnell auf dem Müll landen. Eine Einstellung, die in der Generation des 33-Jährigen öfter zu finden ist. Klimaaktivisten könne er gut verstehen. Er fasst die aktuelle Lage in einem Satz zusammen: „In meiner Generation glaubt keiner mehr, dass es die eigenen Kinder einmal besser haben werden.“ Kriege, Klimakrise, ein bald kippendes Rentensystem und ins Wanken geratene Politik – darüber mache auch er sich Gedanken. Im Moment herrsche die Annahme, alles werde immmer schlechter. Dagegen will Simon Hacker die Hoffnung Gottes setzen. „Über die Hoffnung unseres Glaubens denke ich schon eine Weile nach. Sie ist für mich vielleicht die stärkste Triebfeder und das größte Geschenk. Und das gebe ich gern weiter. Ich denke, sie ist eines der größten Themen der Zukunft.“ Warum er sich damit bei den Dominikanern so gut aufgehoben fühlt, formuliert Frater Simon so: „Unsere Ordenslogik besteht darin, Gott nachzuspüren, in Gebet, Wissenschaft, im Engagement, und das, was wir so von Gott und mit Gott erfahren haben, weiterzugeben.“ Im letzten Herbst legte Frater Simon seine feierliche Profess ab und wurde zum Diakon geweiht.
„Es macht mir Hoffnung, wenn sich Jugendliche auf Glauben einlassen“
Eine Bestätigung in seinem Tun fand der Dominikaner bei Veranstaltungen in seinem Seelsorgepraktikum in der Propsteigemeinde Leipzig. „Weihnachten war der Hammer!“, erzählt er. „Der Kinderchor und das Krippensiel der Jugendlichen waren qualitativ spitze, ich war der liturgische Leiter und konnte rund 700 Menschen trotz Krieg und Energiekrise zusprechen: „Fürchtet euch nicht!“ Danach sind sie freudig nach Hause gegangen. Das war unglaublich schön!“
Auch die Firmfahrt mit 40 Jugendlichen von Leipzig nach Wittenberg bewegte ihn. Inhaltlich ging es um das Glaubensbekenntnis: „Das war sehr intensiv. Wie sich einzelne Jugendliche immer noch ernsthaft auf Glaubensfragen einlassen, macht mir Hoffnung und auch großen Spaß.“
Dass er vielleicht Priester werden wolle, hat er sich bereits mit 14 Jahren überlegt. Trotzdem war es die Mutter, die das Offensichtliche erst einmal aussprechen musste. Bei einem Küchengespräch und der Frage, was er denn studieren könne, antwortete sie: „Natürlich Theologie, was anderes interessiert dich doch nicht“, so erinnert er sich heute.
Hacker ist kurz vor der Wende in Schwedt an der Oder geboren, in der Diaspora-Kirche groß geworden und musste schon im Grundschulalter seinen Glauben rechtfertigen. Geprägt haben ihn seine Pfarrgemeinde in Schwedt, die jährlichen Sommerfahrten nach Zinnowitz, seine Dienste als Ministrant oder als Betreuer für Kinder- und Jugendfahrten. Diese überregionalen katholischen Treffen seien für ihn das „echte Leben“ gewesen, den Rest des Jahres lebte er in Erwartung auf sie. „Dort sind bis heute haltende, enge Freundschaften entstanden. Und wir durften schon als Kinder Kirche intensiv erleben und viel ausprobieren.“ Dass er mit Gottesdienst-Arten spielen konnte, dass auf eine freudige Osternacht eine ausgelassene Kellerparty folgen durfte, machte ihm „Glauben sehr lebendig“.
Seinen Zivildienst leistete Simon Hacker deshalb bewusst im Jugendhaus des Erzbistums Berlin in Alt-Buchhorst ab. Und auch, wenn er nur der Gehilfe des Hausmeisters war, bekam er Einblicke in die christliche Jugendarbeit. Das Theologiestudium absolvierte er anschließend an der Universität Freiburg und in New Haven (Connecticut/USA). Dann legte er ein Praktikum in der Hochschulseelsorge in Bern in der Schweiz ab.
Im Studium lernte Simon Hacker auch das Ordensleben erstmals richtig kennen. Drei Dominikaner gestalteten die Treffen der Hochschulgemeinde in Freiburg mit. Schon zu Beginn des Studiums fragte ihn einer der Brüder, ob diese Gemeinschaft etwas für ihn wäre. Nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte und eine Beziehung zu Ende ging, schrieb er den Provenzial der Dominikaner an. In den anschließenden zehn Tagen Exerzitien habe er gespürt: „Das ist richtig für mich.“
Seine Berufung sei zwar einerseits rational durchdacht, aber den Kern könne er schlecht in Worte fassen. Es sei auch ein Gefühl: „Der Orden gibt mir Geborgenheit und Sicherheit.“ Dabei erklärt er begeistert, dass die Dominikaner sich nicht aus der Welt zurückziehen, sondern er immer mit „einem Fuß im Kloster und einem Fuß draußen stehe.“ Das passe gut zu ihm.
Und da der Gehorsam auf den Dialog aufbaue, man aufeinander höre, er auch Wünsche äußern könne, falle ihm das durchaus nicht schwer. Bisher haben ihn diese Entscheidungen bereits nach Hamburg, Worms, Wien und schließlich nach Leipzig geführt. Für sein zweites Praktikum nach der Priesterweihe werde er aber zurück in sein Heimatbistum gehen. Er soll im Juli in die Tourismus-Seelsorge nach Rügen und Stralsund wechseln.
Orden ist Vorbild für Engagement im Synodalen Weg
Als Delegierter für den Synodalen Weg in Deutschland betont Simon Hacker dass auch die Dominikaner synodal verfasst sind und seit 800 Jahren gut damit fahren. An die Beschlüsse der Gemeinschaft müssen sich die Oberen halten. Er lerne im Orden das Aushandeln darüber, welche Projekte angenommen werden, wie man miteinander umgehe: „wie in einer großen WG, oder einem Mehrgeneartionenhaus, aber gemeinsam einer Sache verpflichtet“. Natürlich gebe es auch Probleme im täglichen Miteinander, aber er lerne auch die Gelassenheit der Älteren zu schätzen.
Ein Leben als Priester außerhalb eines Ordens könne er sich inzwischen gar nicht mehr vorstellen, er brauche die Gemeinschaft. „Und nichts finde ich für mich furchtbarer als eine durchschnittliche bürgerliche Existenz“, so Simon Hacker. Schon als Kind beim Western-Gucken hätten ihn die Charaktere am meisten fasziniert, die „sich voll und ganz einer Sache verschrieben haben. Diese Art von Radikalität fand ich spannend und sie ist auch herausfordernd“, so Frater Simon. Und so sucht er sich auch im Seelsorgepraktikum durchaus radikale Herausforderungen, nimmt an den Vorbereitungen der Großdemo „Leipzig leuchtet!“ teil, die 90 Jahre nach dem Machtantritt der Nazis ein Zeichen für Demokratie setzen will. Am Ende ist er bei der Demo auf dem Leipziger Innenstadtring dabei. In seinem weißen Habit fällt der junge Mann sofort auf. Er motiviert Demonstranten und lebt das, was ihm wichtig ist – mitten in der Welt.
Lucas Leonhard Wieshuber, getauft auf den Namen Horst, hat mit Anfang 30 einen sicheren Job im Bundespräsidialamt, war unter vier Bundespräsidenten (von Horst Köhler bis Frank-Walter Steinmeier) verantwortlich für den Bereich Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Da fragt er sich, ob es so bis zum Lebensende weitergehen soll. Er habe sich die Frage gestellt: „Worauf will ich einmal zurückschauen?“ Ein Dasein in vermeintlicher Sicherheit und die Perspektive einer sogenannten Karriere, „erlaufen“ im Hamsterrad eines Angestelltendaseins im öffentlichen Dienst sei das nicht – wurde ihm immer klarer. Vielmehr entdeckte er die Kontemplation für sich.
Der heute 46-Jährige ist 1976 im bayerischen Mühldorf am Inn geboren und wuchs auf dem Land zwischen München und Salzburg auf. Der katholische Glaube gehörte da ganz selbstverständlich dazu. Nach dem Abitur 1996 trat er einen Freiwilligen Internationalen Dienst in Bolivien als Missionar auf Zeit an, einem Projekt der Steyler Missionare. Der dortige Pfarrer, ein junger Priester aus Deutschland, der sich in der ärmsten Provinz Boliviens Chuquisaca nicht nur geistlich, sondern auch gesellschaftspolitisch engagierte, etwa für Wiederaufforstungsprojekte und schulische Bildung, habe ihn sehr beeindruckt.
Nach seiner Rückkehr machte Wieshuber zunächste eine Krankenpflege-Ausbildung und studierte dann in Regensburg und München Katholische Theologie mit den Schwerpunkten Christliche Gesellschaftslehre / Sozialethik und politische Ethik. Stipendienangebote des Cusanuswerkes und der Studienstiftung des Deutschen Volkes sowie Praktika führten ihn nach Großbritannien, Granada, Straßburg, Kamerun und zur Europäischen Bischofskonferenz nach Brüssel. In der belgischen Hauptstadt lebte er im Konvent der Dominikaner und lernte den Orden der Predigerbrüder zum ersten Mal näher kennen. „Das war alles sehr international dort und hat mir gefallen“, sagt Frater Lucas rückblickend.
Nach dem Studienabschluss hatte Wieshuber ein Aufbaustudium in den USA geplant, aber es kam anders: Sein Vater starb 2006 überraschend und er blieb in Deutschland. Es verschlug ihn nach Berlin. Wieshuber wurde Fraktionsreferent für Kirchen und Religionsgemeinschaften am Deutschen Bundestag und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Marie-Dominique Chenu, einem Forschungsinstitut der Dominikaner in Berlin. 2010 trat er eine Stelle im Bundespräsidialamt an. „Mein Leben war sehr bunt und vielfältig mit unterschiedlichsten Höhen und Tiefen“, sagt der Priesteramtskandidat heute. Stets seien ihm aber Menschen begegnet, die es gut mit ihm meinten. In einer Lebenskrise lernte er dann mit Anfang 30 bei dem Jesuiten Franz Jalics das komplentative Gebet im Meditationszentrum „Haus Gries“ nahe Kronach kennen: „Ich machte tiefe Gotteserfahrungen. In Worten kann ich das nur schwer ausdrücken.“ Die innere Einkehr und der Rückzug in die Stille wurden für Wieshuber der „entscheidende Schlüssel“ in seinem Leben und Glauben.
Die Stille ließ Gottes Wirklichkeit in mir lebendig werden
„Es war die tiefste und lebendigste Erfahrung, die ich bisher in meinem Leben gemacht hatte. Durch die Stille beim kontemplativen Gebet wurde Gottes Wirklichkeit in mir lebendig. Äußerlich hatte sich in meinem Alltag erstmal nichts geändert, aber ich wusste, dieser Spur will ich nachgehen.“ Das sei ihm so wichtig geworden, sagt Frater Lucas, dass er das Herzensgebet und die Kontemplation auch an andere weitergeben möchte. Inzwischen ist er zertifizierter Anleiter für Christliche Kontemplation. Gerade in der heutigen hektischen Zeit mit ständiger Reizüberflutung sei das Innehalten für alle Menschen wichtig – für Gläubige und auch Nichtgläubige.
Frater Lucas fasst es so zusammen: „Vielfach haben wir verlernt, bei uns selbst zu sein, und zu fragen, wer wir im tiefsten Grund unseres Wesens sind.“ Zeiten und Räume der Stille, etwa bei Schweige-Exerzitien oder Einkehrtagen, konfrontierten Menschen mit sich selbst. Das sei am Anfang nicht immer leicht. Das Gedankenkarussell rase, manche fühlten sich hilflos, Ängste und Verdrängtes könnten aus der Tiefe nach oben steigen.
Doch jenseits all dessen gebe es eine tiefere Dimension: „Da wird es erst richtig spannend. Von dieser Dimension erzählen auch Jesus und die Evangelien. Dort erfahre ich von dem Geheimnis, das ich vor, für und in Gott im Grunde meines Wesens bin.“
Bei Wieshuber löste die Erfahrung einen „ganz intensiven inneren Prozess“ aus. Es sei eine Krisenzeit gewesen mit der Frage, wie es konkret weitergehen solle. „Am Ende waren es Menschen und Erlebnisse, die mich auf meinen jetzigen Weg gebracht haben“, sagt Frater Lucas heute.
Wieshuber lebte dann zunächst einige Jahre als Dominikanischer Laie. „Diese Art der Spiritualität kommt mir sehr entgegen“, sagt er. Für ihn sei das von Thomas von Aquin herkommende Ordensmotto der Predigerbrüder „contemplari et contemplata aliis tradere“ (zu Deutsch: „Beschauen und das Geschaute an andere weitergeben“) zentral. „Ich schätze, dass wir im Gebet nach innen schauen, auf uns und auf Gott, aber in unseren Tätigkeiten auf das Leben und den Alltag der Menschen blicken. Dann versuchen wir, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, um die Menschen auch dort zu erreichen“, so Frater Lucas. Bildung und lebenslanges Lernen spiele bei den Dominikanern seit den Anfängen eine wichtige Rolle. „Diese Spannbreite gefällt mir: Herz, Hirn und Hände werden angesprochen und herausgefordert, aktiv zu werden.“
Als Horst Wieshuber 2018 in den Orden der Dominikaner eintritt und seinen Namen in Lucas Leonhard tauscht, nach zwölf Jahren das turbulente Berlin verlässt, hätten sich manche Weggefährten gewundert, dass er Sicherheit, Karriere und Selbstentfaltung aufgebe. Er selbst nahm es eher als das Gegenteil wahr.
Sein Weg im Orden führte über Vechta, Braunschweig, Worms, Wien und Mainz nach Leipzig. Hier arbeitet Frater Lucas nach seiner feierlichen Profess im letzten September und seiner Diakonenweihe im Oktober im Pfarrverbund Leipzig-Nord mit. Für den gebürtigen Bayern ist das eine ganz neue und „spannende“ Erfahrung. „Ich lerne hier Katholische Kirche in der Diaspora kennen, die davon geprägt ist, dass Katholiken in der Minderheit sind, dass Fluchtgeschichten nach dem Zweiten Weltkrieg charakteristisch sind und man kirchlicherseits mit weniger Geld auskommen muss.“ Er habe in Gesprächen erfahren, welche Freiräume und Angebote des sozialen Zusammenhalts Pfarreien und Pfarrhäuser in der DDR geboten hätten. „Das ist eine neue Seite des Katholizismus, die ich so genau noch nicht kannte.“
Am 20. Mai wird Frater Lucas Leonhard zusammen mit Frater Simon und einem weiteren Dominikaner von Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn in Wien in der ordenseigenen Kirche St. Maria Rotunda zum Priester geweiht. Die Predigerbrüder feiern die Priesterweihe innnerhalb ihrer Gemeinschaft und sind nicht den Bistümern unterstellt.
Nach seiner Priesterweihe wird Frater Lucas für ein halbes Jahr nach Indien gehen, um die Arbeit der dortigen Dominikaner kennenzulernen, Erfahrungen in den Bereichen Meditation und Kontemplation sowie im interreligiösen Austausch zu sammeln.