Helfen statt zu richten
20 Jahre Donum Vitae
Alles begann mit einem Eklat: Als die katholische Kirche 1999 aus der Schwangerenkonfliktberatung ausstieg, gründeten Mitglieder des Zentralkomitees deutscher Katholiken (ZdK) den eigenständigen Verein Donum Vitae. Heute gibt es bundesweit 212 Beratungsstellen, deren Arbeit mehr ist als reine Konfliktberatung. Und die offizielle Kirche meldet sich zum 20. Geburtstag mit Wertschätzung. Von Elisabeth Friedgen.
Wiesbaden, ein Spätsommertag im Stadtteil Schierstein unweit des Rheins. Der Blick aus dem Fenster des Beratungszimmers fällt auf eine ruhige Straße mit viel Grün. Drinnen ist es hell und freundlich eingerichtet. Nur die Taschentuchpackung auf dem Tisch verrät, dass in diesem Raum Gespräche geführt werden, die von persönlichen Krisen handeln, von schwierigen Entscheidungen. 158 Frauen haben im vergangenen Jahr Donum Vitae in Wiesbaden aufgesucht, um eine sogenannte Schwangerenkonfliktberatung zu erhalten. Das Gesetz verpflichtet Frauen, die ihr Kind abtreiben lassen wollen, zu einem solchen Beratungsgespräch. Als Beleg hierfür erhalten sie den schriftlichen Nachweis, auf dessen Grundlage die Abtreibung straffrei erfolgen kann.
Viele Jahre gab es die Möglichkeit dieser Beratung auch bei kirchlichen Stellen, bis die katholische Kirche 1999 aus der Beratung ausstieg. Der Grund war der Beratungsschein, den die Frauen am Ende des Gesprächs erhalten. Dadurch mache sich die Kirche an der Tötung ungeborenen Lebens mit schuldig, so das Argument des damaligen Papstes Johannes Paul II. Die Entscheidung löste ein mittleres innerkirchliches und mediales Erdbeben aus. Es gab diejenigen, die die Entscheidung begrüßten und diejenigen, die daran verzweifelten. Und viele derer, die bislang selbst unter kirchlicher Flagge in der Schwangerenkonfliktberatung gearbeitet hatten, waren sich sicher, dass dieses Angebot nicht wegfallen dürfe. Aus dieser Not heraus gründeten Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) um Rita Waschbüsch im September 1999 den Verein „Donum Vitae“ – Geschenk des Lebens.
20 Jahre später hat sich Donum Vitae fest in der Gruppe der Beratungseinrichtungen etabliert. Doch wie haben die Mitarbeiterinnen vor Ort die Entwicklung wahrgenommen und wie sieht das Verhältnis zwischen Verein und Kirche heute aus?
Ursula Meller ist Leiterin der Beratungsstelle Wiesbaden und hat diese 2002 auch mit aufgebaut. Sie erinnert sich noch gut an die Anfänge in provisorischen Räumlichkeiten, wo ausrangierte Schreibtische der Nassauischen Sparkasse für die vorläufige Büroausstattung herhalten mussten. Bevor sie bei Donum Vitae einstieg, war Meller in der Schwangerenberatung der Caritas tätig. Inzwischen arbeitet sie mit ihrer Kollegin Sabine Strunge, der derzeitigen Praktikantin und einer Verwaltungskraft in modernen, hellen Räumen im ersten Stock eines sozialpädagogischen Zentrums unweit des Rheins.
Donum Vitae – mehr als Konfliktberatung
„In den vergangenen Jahren hatten wir rund 130 Konfliktberatungen pro Jahr und zusätzlich etwa 240 allgemeine Beratungen zu den Themen Schwangerschaft und Geburt“, erklärt Meller und deutet damit an, zu was Donum Vitae sich in 20 Jahren entwickelt hat: Immer neue Bereiche decken die Mitarbeiterinnen ab, es geht längst nicht mehr nur um die Konfliktberatung, das große Reizthema von damals. Zu Meller und Strunge kommen auch Paare, die Informationen über finanzielle Hilfe im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt suchen oder familiäre Probleme haben.
Beratungen gibt es inzwischen auch zu den Themen vertrauliche Geburt, pränatale Diagnostik und Totgeburten. Seit 2008 bietet Donum Vitae zudem eine anonyme Onlineberatung an. Externe Mitarbeiterinnen leiten Präventionsprojekte an Schulen. Sie bilden etwa 9.-Klässlerinnen als Multiplikatoren zum Thema Sexualität und Aufklärung aus, sodass Wissen von Gleichaltrigen vermittelt werden kann. In manchen Beratungsstellen finden sogar Schwangerschafts-Yogakurse und Workshops über Babynahrung statt. Das alles ist Donum Vitae heute. Kaum eines der Themen, wie man sie auf den Webseiten von Pro Familia, der Diakonie oder der Caritas findet, wird ausgespart. Finanziert werden die eher knapp bemessenen Stellen aus Bundesmitteln und Mitgliederbeiträgen.
Trotz allem ist und bleibt die Konfliktberatung das Herzstück von Donum Vitae. „Das ist das Hauptanliegen unseres Vereins“, sagt Meller, „eine Konfliktberatung würden wir nie absagen und kümmern uns auch darum, sie kurzfristig möglich zu machen.“ Um doch noch ein Leben zu retten? Von den 158 Konfliktberatungen in 2018 ging immerhin eine Handvoll Frauen heim, ohne den Beratungsnachweis mitzunehmen. Was mit großer Wahrscheinlichkeit heißt, dass sie ihn nicht mehr wollten und sich für das Kind entschieden haben. Doch das sind nicht die Gedanken der Beraterinnen: „Es geht uns zuallererst darum, die Nöte der Frauen ernst zu nehmen“, betont Ursula Meller und ihre Kollegin Sabine Strunge sagt: „Ich könnte hier nicht als Beraterin sitzen, wenn ein Abbruch für mich nicht grundsätzlich okay wäre.“ Ergebnisoffen soll das Gespräch sein, ohne Druck. Das überrasche manche Frauen positiv: „Wir hatten auch schon welche hier“, sagt Strunge, „die nach dem Gespräch verwundert sagten ‚Ich dachte, Sie wollen mich hier nur überreden, das Kind zu behalten.‘“
Ein Großteil der Frauen habe die Entscheidung über die Zukunft der Schwangerschaft ohnehin bereits vor dem Gesprächstermin getroffen. Für Meller und Strunge, das wird schnell deutlich, ist die Debatte, wie sie von kirchlicher Seite lange geführt wurde, emotional zu aufgeladen und basiert zu wenig auf Faktenwissen. Das haben die beiden Sozialpädagoginnen aus ihrer täglichen Praxis. Zu ihnen kommen Frauen, die schon mehrere Kinder haben und vom Partner sitzengelassen wurden. Solche, bei denen Verhütungsmittel nicht gewirkt haben und die sich einfach nicht vorstellen können, Mutter zu werden. Andere, die mittellos, zu jung und ohne Ausbildung sind. Sabine Strunge und Ursula Meller glauben nicht, dass sie über diese Frauen richten sollten. Aber dass sie ihnen helfen müssen.
Von kirchlicher Seite hat die Beratungsstelle Wiesbaden, die auf dem Gebiet des Bistums Limburg liegt, nur wenig Ablehnung erfahren. „In der Konfliktzeit, als es Probleme mit Bischof Tebartz-van Elst gab, war es schwieriger. Aktuell ist die Lage sehr entspannt“, so Meller. Es sei ihnen wichtig, „dass wir christliche Wurzeln haben, denn in unserem Vorstand waren und sind viele, die der Kirche nahestehen. Wir sind kirchennah, aber nicht kirchlich, sondern eigenständig.“
Ein Anruf in der Beratungsstelle Fulda. Dort haben Vorstand und Beratungsteam einen schweren Weg hinter sich. Schon 1992, als es den kirchlichen Beratungsstellen noch nicht untersagt war, den Nachweis auszustellen, verbot der damalige Bischof Johannes Dyba dies in seiner Diözese. Später unterstellte er den Mitarbeiterinnen von Donum Vitae, „Tötungslizenzen“ auszustellen.
„Wir sind nicht zufällig die jüngste Beratungsstelle im Bistum Fulda“; berichtet die erste Vorsitzende Inge Hohmann, „in der Anfangszeit hat man es uns schwergemacht. Auch damals gab es schon Priester und Angestellte der katholischen Kirche, die uns unterstützt haben – aber die sind dann heimlich in einer anderen Stadt Mitglied bei Donum Vitae geworden. Es war doch paradox: Wir wollten damals den Frauen das entgegenbringen, was der Kirche so wichtig ist: die Nächstenliebe. Und dafür mussten wir uns von der Kirche trennen.“ Das Verhältnis habe sich inzwischen deutlich entspannt. Auch die Vernetzung zu anderen sozialen Stellen sei gut: „Wir haben intensive Kontakte zum SkF und zu Pro Familia“, sagt Katrin Weil aus der Fuldaer Beratungsstelle. „Dass wir gleichberechtigt anerkannt sind, sieht man auch daran, dass wir mit den anderen gemeinsam auf einem Flyer genannt werden, den die Frauenärzte ausgeben.“
So ergeht es auch Ellen Bachmann, Leiterin der Donum Vitae Beratungsstelle Darmstadt: „Wir nehmen gemeinsam mit Pro Familia, Diakonie und Caritas regelmäßig an Fachtreffen teil und arbeiten gelegentlich bei Fällen zusammen.“ Bachmann hat wie Ursula Meller in Wiesbaden die Einrichtung in Darmstadt mit aufgebaut. „Natürlich gab es damals Gegenwind, den habe ich schon gespürt. Aber ich habe mir auch gedacht: ‚Egal, was die Kirche sagt, wir können die Frauen in Notsituationen nur erreichen, wenn wir ein entsprechendes Angebot machen.‘“ Ellen Bachmann sagt, „inoffizielles Wohlwollen“ habe es im Bistum Mainz vonseiten der Kirche ohnehin immer gegeben.
Nicht nur in einem Bistum wie Mainz, in dem jahrelang Kardinal Karl Lehmann für den Verbleib der Kirche in der Konfliktberatung gekämpft hatte, scheinen heute alte Wunden verheilt und Blicke in die Zukunft gerichtet. Im vergangenen Jahr schrieb Kardinal Reinhard Marx als Vorsitzender der Bischofskonferenz an ZdK-Präsident Thomas Sternberg, es bestehe „kein Zweifel, dass das Ziel von Donum Vitae ebenso wie das der bischöflich verantworteten Schwangerenberatung der Schutz des ungeborenen Menschen ist.“ Marx fügte noch an, dass ehemalige Mitarbeiter von Donum Vitae nachfolgend auch in einer kirchlichen Beratungsstelle arbeiten können. 2006 hatte die Bischofskonferenz kirchlichen Angestellten noch eine Mitarbeit bei Donum Vitae untersagt.
Was kann zu dieser Entwicklung geführt haben? „Ich könnte mir vorstellen, dass es mit unserem aktuellen Papst zusammenhängt“, sagt Ellen Bachmann. „Er betont immer wieder, was das Ziel der katholischen Kirche sein soll: Nämlich die Hinwendung zu den Menschen, die man nicht an Bedingungen knüpfen darf.“
Zur Sache: Leben ist ein Geschenk
„Für donum vitae ist Leben ein Geschenk. Diese Überzeugung prägt unser Selbstverständnis sowie die Grundsätze und die Praxis unserer Beratungstätigkeit.
- donum vitae ist ein eigenständiger bürgerlich-rechtlicher Verein, gegründet und getragen von katholischen Christen, gemeinsam getragen mit Christen anderer Konfessionen und Menschen, die unseren Grundsätzen und Zielen zustimmen.
- Auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes setzen wir uns ein für den Schutz des ungeborenen Lebens und für die Würde von Frau, Mann und Kind.
- In unserer Verantwortung als Christen und als Staatsbürger leisten wir durch die Trägerschaft von Beratungsstellen unseren Beitrag zur Erfüllung eines gesetzlichen und zugleich diakonischen Auftrags.
- In Politik und Gesellschaft treten wir als Anwälte für das Leben ein und wirken mit, ein kindgerechtes und familienfreundliches Umfeld zu gestalten.“
Aus dem Leitbild auf www.donumvitae.org