Außergewöhnliches Fastenexperiment
Arm auf Zeit

KNA/Julia Steinbrecht
Wenn jeder Cent zählt...
Wer arm ist, bleibt außen vor - ein Bürgergeld-Experiment verdeutlicht die soziale Spaltung. Die außergewöhnliche Fasten-Aktion im saarländischen Neunkirchen geht noch bis Ostern (20. April) der Frage nach, wie gut oder schlecht es sich vom Bürgergeld in Deutschland leben lässt. "Ich kann jetzt die Panik von Betroffenen verstehen, etwa wenn ein Strafzettel der Polizei ungeplante Zusatzkosten bedeutet", sagt Lydia Fried. Die Rentnerin ist Initiatorin der Aktion und trotz ihres Ruhestands weiterhin als Sozialarbeiterin beim saarländischen Caritasverband Schaumberg-Blies tätig.
Ganze sechs Cent hat sie nach der Hälfte des auf einen Monat angelegten Bürgergeld-Versuchs nur noch zur Verfügung. Gemeinsam mit ihrem berufstätigen Mann beteiligt sie sich an diesem Test und ist nach ihrem Empfinden "arm auf Zeit". Deshalb verzichtet sie nun aus - fiktiver - Finanznot auf ein Auto. Dadurch werden wieder 70 Euro für Nahrungsmittel verfügbar.
Kosten fürs Bezahlfernsehen eingespart
Insgesamt nehmen 20 erwachsene Saarländerinnen und Saarländer an dem Experiment teil. Einer von ihnen ist Hans Funk; auch er ist Rentner. Normalerweise stehen ihm nach eigener Darstellung rund 2.000 Euro im Monat zur Verfügung, von denen er aber mehr als die Hälfte für seine Wohnung in Neunkirchen verwenden muss. Bei Funk ist nach der Hälfte der Zeit - ebenfalls fiktiv - gleichfalls kein Geld mehr vorhanden und Verzicht notwendig.
"Ich habe mein Bezahlfernsehen gekündigt", sagt der 79-Jährige. Auch die Tageszeitung gibt es nicht mehr. Und das, was bleibt, wird als Luxus wahrgenommen. "120 Euro kostet mich der Malkurs im Monat, den möchte ich nicht missen", betont er zur Halbzeitbilanz. 563 Euro beträgt der monatliche Bürgergeldsatz in seinem Fall; er gilt für Alleinstehende und -erziehende.
Auch Fried hat nun solche Luxusprobleme. "Bei schönem Wetter war ich im Gartenmarkt und habe dort nichts gekauft. Stattdessen habe ich mir bei einer Nachbarin überzählige Pflanzen für meinen Garten geholt", schildert sie. Ihren Yoga-Kurs oder die Mitgliedschaft in einer Naturschutz-Organisation hätte sie früher nicht als Luxus betrachtet. Kaum zu bezahlen sei das mit den lediglich 506 Euro, die sie nun im Monat zur Verfügung hatte - ihr Mann hatte noch einmal die gleiche Summe.
Diesem falle der Verzicht schwerer, berichtet sie: "Er isst mehr Fleisch als ich." Das aber sei teuer. Auch Treffen mit Freunden vermeide er in diesen Tagen, weil er sich auswärtiges Essen nicht leisten könnte - das bringe einen Verzicht auf soziale Kontakte mit sich. Das Ehepaar überlegt, wie sie trotz des laufenden Spar-Experiments wenigstens daheim noch Gäste bewirten können.
Teilnehmer sucht günstigere Wohnung
Bildungsreferent Klaus Becker von der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Trier, der die Aktion begleitet, unterstreicht die Auswirkungen dieser Armut. "Wenn Menschen deswegen auf ihre Lokalzeitung verzichten müssen, dann steigen sie aus, sich ordentlich zu informieren." In der Folge könnten sie leichter auf gefälschte Nachrichten hereinfallen.
Es seien gesellschaftliche Folgen zu beobachten, wenn sich ganze Bevölkerungsgruppen Teilhabe einfach nicht leisten können - etwa Kinder, die wegen fehlender 15 Euro für ein Geschenk nicht zu einem Geburtstag gehen. Auch gehe der Rückzug mitunter damit einher, dass andere nicht mehr zu sich nach Hause eingeladen werden. Und Mobilität gehe verloren, etwa, wenn Betroffene aus Kostengründen kein Auto mehr unterhalten würden.
Teilnehmer Hans Funk bestätigt: "Mein großes Auto ist für den Rollstuhl wichtig. Aber natürlich kostet mich das heute mehr als früher ein kleinerer Wagen." Um Geld zu sparen, sucht er nun nach einer günstigeren Wohnung.