Die Apostel in der Bibel

Auf und davon

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„Sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm“, heißt es im Evangelium über Simon und Andreas. In der Bibel und bei Heiligen bejubeln wir diese Konsequenz. In der eigenen Familie würde sie uns vermutlich weniger freuen.

Eine Frau steht neben gepackten Umzugskartons. Sie sieht nachdenklich aus.
Sachen packen, abhauen. Manchmal muss das sein. Trotzdem ist so eine Entscheidung meistens heikel.

Von Susanne Haverkamp

Stellen Sie sich einen warmen Frühlingstag am See Gennesaret vor. Die Fischerboote sind vom nächtlichen Fang zurückgekehrt, Welse und Barben sind verkauft oder schon auf dem Feuer. Gerade säubern die Fischer ihre Netze und machen sie bereit für die nächste Ausfahrt. Simon und Andreas sind zufrieden; sie können ihre Familien gut ernähren mit ihrem Boot. Jakobus und Johannes führen mit ihrem Vater Zebedäus sogar ein kleines Familienunternehmen; Tagelöhner unterstützen sie bei der groben Arbeit. Die wirtschaftliche Zukunft ist gesichert, wahrscheinlich steckt die nächste Generation schon in den Windeln.
Da kommt dieser Mann vorbei, Jesus, Wanderprediger. Aus Nazaret soll er stammen, er hält sich aber schon länger am See auf und verkündet seine Botschaft vom Kommen des Reiches Gottes. Und von der Umkehr, auf dass man gerettet werde. Was dieser Jesus Besonderes an sich hat, wird sich nicht mehr klären lassen. Aber sicher ist: Er schafft es, dass Menschen ihm folgen. Dass sie alles stehen- und liegenlassen und mit ihm ziehen. 

Gefreut haben sich darüber vermutlich weder ihre Eltern noch ihre Frauen und Kinder. Einfach die Netze fallenlassen und aussteigen – ehrlich gesagt ist das komplett verantwortungslos. Wenn heute Männer ihre Familie verlassen, müssen sie Unterhalt zahlen oder der Staat springt finanziell ein. Wer hat die Kinder von Simon, Andreas, Jakobus und Johannes ernährt? Wer hat ihre alten Eltern unterstützt? Wenn heute Männer ihre Familie verlassen, werden sie sich dafür von ihrem Umfeld reichlich Vorwürfe anhören müssen. Ob das damals wirklich anders war? Vermutlich eher nicht.

Ich muss – auch wenn es anderen wehtut

Und doch: „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“, sagt Gary Cooper im Westernklassiker „12 Uhr mittags“. Eine Frau natürlich auch. Soll heißen: Es gibt Momente im Leben, in denen spürt man, was hier und jetzt richtig ist. Auch, wenn es unbequem ist, andere vor den Kopf stößt oder traurig macht. Das können kleine Momente sein, aber auch große, lebensverändernde.

Da ist die 18-Jährige, die von zu Hause ausziehen will, obwohl doch Platz genug im Haus und das Geld knapp ist. Aber sie spürt: Ich muss erwachsen werden. Da ist der 30-Jährige, der den elterlichen Betrieb verlässt und anderswo neu anfängt, weil er spürt: Hier gibt es nur endlosen Streit. Da ist der 42-Jährige, der eine ganz neue Ausbildung anfängt, weil er spürt: Mein jetziger Job macht mich unglücklich. Da ist die 73-Jährige, die ihrer Tochter den Babysitterdienst aufkündigt, weil sie spürt: Das wird mir alles zu viel. 

Egoismus!, schreien da viele. Blöder Selbstverwirklichungstrip! Verrat, Untreue, Lieblosigkeit, Undankbarkeit, ein Stehlen aus der Verantwortung. Und manchmal mag das auch stimmen. Aber sehen Sie es mal mit den Augen der Bibel. Ziehen Sie mal in Betracht, dass es heute noch Menschen wie Andreas und Simon, Jakobus und Johannes gibt, die sich gezogen fühlen von etwas anderem, etwas Größerem, die sich getrieben fühlen von etwas, das gläubige Menschen Gottes Geist nennen.

Und bequem ist der nicht. Die Fischer vom See hatten in Kafarnaum ein gutes Leben, ein Zuhause, Arbeit, Nahrung, Familie.  Mit Jesus dagegen mussten sie oft genug draußen schlafen und waren darauf angewiesen, von Fremden durchgefüttert zu werden. Aus heutiger Sicht haben sie alles richtig gemacht; aus damaliger Sicht war es ein Schritt ins Ungewisse, und statt mit Ruhm und Ehre endete alles am Kreuz.

Glück und Erfolg sind nicht garantiert

Oder nehmen Sie den Propheten Jona. In der Lesung klingt das so leicht: Gott ruft, Jona macht sich auf, die Leute in Ninive glauben seiner Unheilspredigt und alles wird gut. Tatsächlich aber hat Jona bei Gottes erstem Ruf, wie man weiß, die Flucht ergriffen und musste durch den wunderbaren Wal zu einer zweiten Chance gezwungen werden (Jona 1–2). Und nach seinem Predigterfolg ist er keineswegs stolz und glücklich, sondern hochdeprimiert und lebensmüde. „Es ist besser für mich zu sterben, als zu leben.“ (Jona 4,8) 

Nein, von Gott gerufen zu werden, verspricht weder endloses Glück noch maximalen Erfolg. Und was den christlichen Familienfrieden betrifft – Jesus sagt es ja selbst: „Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.“ (Matthäus 10,35) Vergisst man gern, solche Sätze.

Naja, sagen Sie jetzt vielleicht, aber das gilt doch nur für religiöse Berufungen: die Fischer vom See, der Prophet Jona – da ruft eindeutig Gott in die Nachfolge, klar muss man da gehorchen. Wenn also der Sohn Priester werden oder die Tochter ins Kloster will – na gut. Aber was hat das mit dem Mann zu tun, der im Betrieb die Brocken hinschmeißt oder gar mit der Frau, die sich scheiden lassen will?

Vielleicht nichts. Vielleicht viel. Denn ganz sicher ist nicht jede persönliche Entscheidung vom Heiligen Geist geleitet. Aber es ist auch nicht jede Entscheidung, die ich für falsch halte oder unter der ich leide, gottlos gefallen – und oft erkennt man es erst im Nachhinein. Denn dass Jesus mehr ist als ein charismatischer Wanderprediger – das war zu diesem Zeitpunkt noch ganz und gar nicht offensichtlich.

Wenn Sie also in einer Situation stecken wie die ersten Jünger Jesu oder wie deren Familien, dann haben Sie Vertrauen. Darauf, dass Sie Gott in Ihrem Herzen hören. Und darauf, dass er noch heute ruft, wen, wohin und wie auch immer. Gehen Sie diesen Weg, aber glauben Sie nicht, dass er einfach wird.