Aufklärung durch „mutige Menschen“

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Mann bei Vortrag
Nachweis

Foto: Chriss Gossmann

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„Seelenmord“ in kirchlichen Einrichtungen. Rudolf Kastelik, der heute in Lübeck lebt, schilderte seine Erlebnisse. 

Rund 60 Menschen haben in Hildesheim an einer Gedenkveranstaltung für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Kirche teilgenommen. Die Erfahrungsberichte der Opfer waren für manchen Zuhörer schwer zu ertragen.

Zusammengekommen waren Mitglieder des Betroffenenrates Nord, Betroffene und Bischof Heiner Wilmer. Einer der Betroffenen, Rudolf Kastelik, gab Einblicke in seine persönliche Spurensuche. Er war während der 1950er- und 1960er-Jahre in mehr als einem Dutzend katholischer und evangelischer Kinderheime untergebracht, in Hildesheim im Bernwardshof und im Johannishof, und hatte dort massive physische und psychische Gewalt erlitten. Dies sei „Seelenmord“ gewesen, die Zerstörung des persönlichen Lebensglücks mit Folgen wie Panikattacken und Depressionen. Bei seinen Erzählungen über Misshandlungen und „Prügelorgien“ stockte Kastelik immer wieder und erklärte: „Ich habe mich bis heute nicht von den an mir begangenen Verbrechen erholt.“ Er zeigte sich davon überzeugt, dass es damals pädophile Netzwerke gegeben habe: „Das ist alles nicht zufällig passiert.“ Noch immer werde zu viel über Betroffene statt mit ihnen geredet, kritisierte Kastelik.

Wilmer: „Wir nehmen den Fuß nicht vom Gas“

Während einer Podiumsdiskussion wurde deutlich, an welchen Stellen das Bistum Hildesheim aus der Sicht des Betroffenenrats Nachholbedarf hat. Schwierig sei, dass die Diözese gut die Hälfte aller Empfehlungen aus den bisher erschienenen Aufarbeitungsstudien noch nicht umgesetzt habe, erklärte Nicole Sacha, Mitglied im Betroffenenrat Nord: „Ich habe gedacht, dass wir 13 Jahre nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals weiter sind.“ Positiv sei, dass das Bistum es Betroffenen ermögliche, sich im Bistumsarchiv selbst auf Spurensuche zu begeben. „Da macht das Bistum Hildesheim wirklich gute Arbeit“, sagte Sacha. Archivdirektor Thomas Scharf-Wrede betonte gleichwohl: „Das Allermeiste wissen wir durch mutige Menschen, nicht aus den Akten.“ 

Bischof Wilmer sagte, er sei dankbar für die Zusammenarbeit mit den Betroffenen. Nach seiner Auffassung werde es beim Thema Aufarbeitung „wohl nie einen Abschluss geben“, man sei aber unterwegs und nehme im Hinblick auf weitere Schritte „auch nicht den Fuß vom Gas“, wie dies der Betroffenenrat im Vorfeld bemängelt hatte.

Anlass für die Veranstaltung gab eine Anregung von Papst Franziskus, einen Gedenktag für die Opfer sexuellen Missbrauchs zu begehen. Für Deutschland haben die katholischen Bischöfe festgelegt, dass er rund um den 18. November abgehalten werden soll.

 Auf dem YouTube-Kanal des Bistums Hildesheim ist die Gedenkveranstaltung im Stream zu sehen.

Matthias Bode