Psychologische Beratungsstellen im Bistum Osnabrück

Beratung fördert Einsicht

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Wie ein Mobile sind Familien anfällig für Störungen. Wird ein Teil beschädigt oder entfernt, gerät das System ins Wanken. Unterstützung erhalten Kinder und Eltern in der Osnabrücker Beratungsstelle am Straßburger Platz.


Das Team des Therapeutischen Beratungszentrums am Straßburger Platz in Osnabrück berät Jugendliche, Kinder und ihre Eltern. Foto: privat

Die meisten Ratsuchenden kommen freiwillig. Sie erhoffen sich Hilfe und Unterstützung: die 14-Jährige mit Suizidgedanken, der Grundschüler, der gemobbt wird, die Eltern, denen der jugendliche Sohn zu entgleiten droht. Sie alle können in Gesprächen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Therapeutischen Beratungszentrums am Straßburger Platz ihre Sorgen auf den Tisch legen, die Gedanken klären und Zukunftsperspektiven entwickeln. Patentlösungen gibt es nicht, aber Hilfe bei den kleinen Schritten nach vorne.

Die Einrichtung ist vor 60 Jahren als Erziehungsberatungstelle gestartet. Sie wurde 1958 auf Anregung von Walter Wittler gegründet, einem Bruder des damaligen Bischofs Helmut Hermann Wittler. Zunächst befand sie sich in der Johannisstraße, später in der Lohstraße. Seit 1994 ist sie am Straßburger Platz zu finden. Anfangs waren es 100 ratsuchende Familien pro Jahr, heute sind es 600 Fälle. Dass Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt der Beratungen stehen, ist geblieben. Auch bei den Mediationsgesprächen, die zerstrittenen Paaren vom Familienrichter verordnet werden und die in der Beratungsstelle stattfinden, soll das Wohl des Kindes im Fokus stehen.

Wie Birgit Westermann, Psychologin und Leiterin der Beratungsstelle seit 1997, berichtet, erforderten die Gespräche mit Personen, die „verordnet“ kommen, viel Motivationsarbeit und seien nicht so erfolgreich wie Beratungen von trennungswilligen Paaren, die sich rechtzeitig anmelden im Wissen, dass sie Eltern bleiben und zum Wohle des Kindes Eigeninteressen zurückstellen müssen.

Vielen Eltern falle es schwer, in den Trennungsphasen Kompromisse zu finden, bestätigt Anne Robben, die seit 1988 in der Beratungsstelle tätig ist. Robben hat sich auf systemische Familienberatung spezialisiert und besitzt die Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Sie vergleicht Familien mit einem Mobile. Wird ein Element herausgenommen oder beschädigt, gerate das ganze System ins Wanken. „Die Eltern sollten sich klarmachen, wie sehr die Kinder leiden und sich zerreißen, nur um es beiden recht zu machen“, sagt Robben. „Oder sie glauben, sie müssen sich für ein Elternteil entscheiden.“

Es gebe aber auch gelingende Trennungen und Patchworkfamilien. Das zu erleben, könne eine Chance für Kinder sein, meint Westermann: Sie machten die Erfahrung, dass Beziehungen scheitern können, sie aber diese schicksalhafte Situation in ihrer Familie meistern.

Alleinerziehende sind keine Exoten mehr

Im Vergleich zu 1958 haben sich die Zeiten geändert. Bindungen sind brüchiger geworden, die Welt vielfältiger geworden, wer   früher aus der Norm fiel, fällt heute nicht mehr auf. Alleinerziehende Mütter müssen sich nicht mehr wie Außenseiter vorkommen, und wer psychologische Beratung in Anspruch nimmt, muss sich nicht schämen. Beratung als Lebenshilfe sei selbstverständlicher geworden, sagt Birgit Westermann, dies sei positiv.

Gleichzeitig ist der Wunsch nach schnellen Lösungen gewachsen. „Wo wir früher zehn bis zwanzig Sitzungen hatten und mit den Menschen alle Hintergründe ihres Problems erarbeiten konnten, müssen heute oft zehn bis 15 Sitzungen reichen“, erzählt Anne Robben. Gruppenstunden für Jugendliche seien selten geworden, weil der Schulalltag mit Nachmittagsunterricht nicht dazu passt.

Zum Team des Therapiezentrums am Straßburger Platz gehören fünf Frauen und zwei Männer, außerdem Honorarkräfte und die zwei Mitarbeiterinnen im Sekretariat. Die Teammitglieder verstehen sich als Berater, die dem christlichen Bild entsprechend den Menschen zugewandt sind. Beratung in Anspruch nehmen können alle, ganz gleich, welcher Konfession oder Nationalität sie angehören.

Die Wege in die Beratung sind unterschiedlich. Teenager, denen Gespräche gut taten, empfehlen die Berater ihren Freundinnen, andere Jugendliche suchen sich die Nummer heraus oder kommen auf Empfehlung eines Lehrers. Hauptanmelder sind Eltern, die dann später ihr Kind mitbringen. Jugendliche werden auch alleine beraten, denn jedem Kind steht nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz zu, sich Beistand zu holen.

Essstörungen schon bei Elfjährigen

Manche Phänomene haben sich verstärkt, zum Beispiel Essstörungen – schon bei Elfjährigen – und Selbstverletzungen. Jugendliche, die sich „ritzen“, tun dies, um sich aus heftigen, negativen Gefühlen oder einer großen Gefühlsleere zu befreien.

Kinder müssen Grenzen spüren, um sich geborgen zu fühlen. Das wird vermisst, wenn Eltern einen nachgiebigen oder verwöhnenden Erziehungsstil pflegen, sagt Westermann. Berufstätige Eltern stehen unter Druck. Das tägliche Leben von Familien hat sich beschleunigt, ist stressiger und komplexer geworden. Dann ist es abends einfacher, dem Kind etwas zu erlauben als eine Auseinandersetzung zu riskieren, so Anne Robben.

Andrea Kolhoff

Therapeutisches Beratungszentrum Osnabrück, Straßburger Platz 7, Telefon 05 41/4 20 61.