Freiwillige aus Russland zurückgeholt

"Dann gehen da die Lichter aus"

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Das Bistum Osnabrück hat fünf junge Leute aus dem Freiwilligendienst in Russland zurückgeholt – aus Sorge um ihre Sicherheit. Bistum und Caritas fürchten zudem um die Existenz vieler Gemeinden und sozialer Projekte dort.


Zurück in Osnabrück, aber mit dem Herzen noch bei ihrem Freiwilligendienst in Russland: v.l. Nils Warneke, Johann Weglage, Cathrin Hammerschmidt, Johanna Schwarte und Dean Stammkötter. Foto: Caritas Osnabrück

Erst ein paar Tage sind sie wieder in Deutschland – unter schwierigen Umständen zurück aus Sibirien, dem Ural und St. Petersburg. Auf ein Jahr Freiwilligendienst in Russland hatten sich Cathrin Hammerschmidt, Johanna Schwarte, Johann Weglage, Nils Warneke und Dean Stammkötter gefreut. Und mussten ihr Engagement nun nach sechs Monaten beenden. Angesichts des Ukrainekrieges und der damit verbundenen Konsequenzen sah sich das Bistum Osnabrück zu diesem Schritt gezwungen. 

„Sehr schweren Herzens“, wie Ottmar Steffan erklärt. Sofort nach Beginn des Krieges hatte der Fachreferent für Mittel- und Osteuropa im Osnabrücker Caritasverband immer wieder mit den jungen Leuten gesprochen und mit seinen Mit-Teamern vom Programm Freiwillige Dienste im Ausland (FDA) des Bistums überlegt. Aber mit jedem Tag wurde der Handlungsspielraum enger. „Wir hatten Angst, dass die Grenzen irgendwann zu sind und wir sie hätten nicht mehr nach Hause holen können.“ Dass sie wohlbehalten in ihren Heimatgemeinden Osnabrück, Bersenbrück, Lorup und Warendorf angekommen sind, stimmt Steffan trotz aller Trauer über den Abbruch froh.

Und die Trauer – die sitzt vor allem bei den 19- bis 29-Jährigen tief. „Es fühlt sich nicht gut an“, sagt Johann Weglage stellvertretend für die Gruppe. Keiner von ihnen hatte um den Rückflug gebeten, alle hätten gerne weitergearbeitet in ihren Projekten. Und man spürt, dass die jungen Leute mit ihren Gedanken und Herzen noch in Russland sind.  

Sorge, was aus den Projekten in Russland wird

Nach der ersten Hälfte ihres Freiwilligendienstes hatten sie die Sprache besser gelernt, Freundschaften geschlossen, ihren Platz gefunden. „Jetzt konnten wir uns nicht mal mehr richtig verabschieden“, berichtet Johann Weglage. „Unser Alltag ist auf einmal futsch“, sagt Dean Stammkötter und hat das Gefühl, nur noch von außen zuschauen und nichts mehr tun zu können.

Den Menschen in Russland zu helfen, bleibt der Antrieb für die jungen Leute. Lieber als über ihre Gefühlslage sprechen sie über die sozialen Projekte, in denen sie tätig waren. Für Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien, für Obdachlose, für Menschen mit Behinderungen. In Mutter-Kind-Heimen, in Altenpflegeheimen, in Suppenküchen, bei Hausbesuchen. „Da habt ihr Großartiges geleistet“, unterstreicht die stellvertretende Caritasdirektorin Johanna Sievering.

Kurz lächeln die fünf über das Lob. Mehr aber treibt sie die Sorge um, was aus den Projekten der Caritas in Russland wird. „Das ist wichtiger als wir selbst“, sagt Nils Warneke. Daher mag keine und keiner der Freiwilligen von Erleichterung sprechen, sicher in Osnabrück zu sitzen. Erleichtert werden sie erst sein, wenn es den bedürftigen Menschen in Russland, der vom Krieg betroffenen Bevölkerung in der Ukraine, den Geflüchteten wieder gutgeht.

Auch die Solidarität von Ottmar Stefan gilt uneingeschränkt den Menschen in der Ukraine, „die um Demokratie und Freiheit kämpfen. Auch bei unseren Partnern in Russland herrscht blankes Entsetzen und tiefe Trauer über den Krieg“. Zugleich bestätigt der Fachreferent, dass die Sorge um die Projekte begründet ist – dass der berechtigte Fokus auf Hilfe für die Ukraine dazu führen könnte, die Not vieler armer Menschen in Russland nicht mehr zu sehen. „Die Caritas dort kümmert sich um Leute, denen es nicht gutgeht“, sagt er. Und dabei ist der Verband nach seinen Worten zwingend auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen, weil es so gut wie keine staatliche Finanzierung sozialer Hilfen gebe.

Steigende Preis für Lebensmittel, drohende Arbeitslosigkeit

Deshalb treffen die Sanktionen auch die gesamte Caritasarbeit in Russland. Abgeschnitten vom SWIFT-Zahlungsverkehr „können wir überhaupt kein Geld überweisen“, sagt Ottmar Steffan im Namen der Osnabrücker Russlandhilfe (siehe auch „Zur Sache“). „Wenn wir das nicht binnen weniger Wochen ändern können, werden bei der Caritas in Russland die Lichter ausgehen.“ Schon jetzt hört er aus verschiedenen russischen Regionen, dass Projekte gefährdet sind und Entlassungen drohen. Konsequenzen könnte der Krieg zudem für die katholischen Kirchengemeinden haben, in denen überwiegend Priester und Ordensleute aus anderen Ländern arbeiten. „Wenn diese, wie viele andere ausländische Staatsbürger jetzt gerade, das Land verlassen sollen, wird vielleicht nur jede fünfte Gemeinde auf Dauer überleben.“ 

Die prekäre Situation bestätigt die Direktorin der Caritas in St. Petersburg, Natalja Pewzowa. Sie berichtet in einem Schreiben von steigenden Preisen für Lebensmitteln, von existenziellen Nöten, von drohender Arbeitslosigkeit. „Wir halten noch einen Monat durch, was passiert aber dann? Und dann wird es völlige Armut und Isolation derjenigen geben, die dank der Hilfe der Caritas, Ihrer Hilfe, durchhielten.“ Geradezu flehend wendet sie sich an die Osnabrücker Caritas, die Spenderinnen und Spender: „Bitte verlassen Sie uns nicht!“

Ottmar Steffan und sein Team wollen darum kämpfen, dass für humanitäre Hilfe besondere Finanzkorridore eingerichtet werden. „Aktuell versuchen wir, in enger Abstimmung mit Caritas international, Wege auszuloten, um die Projekte vor Ort in Russland irgendwie weiterhin finanziell unterstützen zu können.“ Wirklich geklärt ist das aber bei Redaktionsschluss noch nicht. 
Ausloten will die Caritas auch, wie die fünf Freiwilligen sich weiter einsetzen können. „Wir begleiten euch und werden etwas finden“, verspricht Steffan. Er geht davon aus, dass es Möglichkeiten geben wird, „den Freiwilligendienst hier fortzusetzen.“

Petra Diek-Münchow

Der Osnabrücker Caritasverband startet jetzt bis zum 18. März eine Gebetsnovene für den Frieden. Damit setzt der Verband die Initiative von Bischof Clemens Pickel in seinem russischen Wolgabistum fort, wo die Menschen Anfang März neun Tage lang ohne Unterlass gebetet haben. Wer bei der hiesigen Novene mitmachen möchte, kann sich  bei Ottmar Steffan in eine Liste für ein Zeitfenster eintragen. E-Mail: osteffan@caritas-os.de


Zur Sache

Mit jährlich bis zu 900 000 Euro unterstützt die Caritas im Bistum Osnabrück bedürftige Menschen in Russland in mehr als 50 Projekten. Schwerpunkte der Arbeit sind Mutter-und-Kind-Häuser, Kinderzentren, Obdachlosenhilfe, häusliche Krankenpflege sowie Priester- und Schwesternhilfe. Das Geld kommt überwiegend von Privatspendern und zum Teil von Stiftungen.

Die Geschichte dieser Russlandhilfe geht zurück bis in die 1990er Jahre. 1991/1992 hatten Aussiedler der Osnabrücker Caritas von den Problemen ihrer Familien in Russland erzählt. Daraufhin starteten zunächst Hilfstransporte später die Zusammenarbeit mit Bischof Clemens Pickel im südrussischen Saratow. Er hatte um Hilfe für den Kauf einer Kuh gebeten, die den Lebensunterhalt einer armen Familie im Ort Marx sichern sollte. Seitdem trägt die Russlandhilfe der Caritas den Namen „Eine Kuh für Marx“. Aus dieser ersten Kuh wurden viele Hundert Kühe, die an bedürftige Familien in Russland vermittelt werden konnten. Weitere Infos: www.eine-kuh-fuer-marx.de