Ein persönlicher Rückblick der KiZ-Redakteure
Das hat uns 2020 bewegt
Das Jahr 2020 liegt hinter uns. Wieder haben die Redakteure Ihrer KirchenZeitung für Sie aus dem Bistum und darüber hinaus berichtet. Sie haben eine Menge gehört und gesehen – und dann darüber in der KiZ geschrieben. Was sie ganz besonders beeindruckt hat, haben sie hier notiert – in einem persönlichen Rückblick auf das vergangene Jahr.
Mit dem Auto in den Gottesdienst
Es war ein schwieriges Jahr 2020, doch die Pandemie hat auch viel Kreativität freigesetzt und gezeigt, dass Kirche auch ganz anders sein kann. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir in diesem Zusammenhang der Ostergottesdienst auf dem Hildesheimer Volksfestplatz. 400 Menschen verfolgten aus ihren Autos heraus die heilige Messe. Viele von ihnen hatten einen langen Weg auf sich genommen, um an dem Gottesdienst teilzunehmen.
Ein Hildesheimer Lokalsender stellte seine Freqeunz zur Verfügung, damit die Teilnehmer das Geschehen per Autoradio verfolgen konnten. Glockenklang kam vom Band, zur Wandlung gab es statt Schellenklingeln ein lautes Hupen und zum Friedensgruß winkte man seinem Nebenmann im Nachbarauto zu. Pfarrer Hans-Güter Sorge hatte die Idee zu dem Drive-In-Gottesdienst und erhielt schnell vom Kolpingwerk Unterstützung. Auch die KirchenZeitung beteiligte sich als Sponsor an der Veranstaltung.
Für viele Teilnehmer war dies der erste Live-Gottesdienst nach Wochen der Pandemie – und mancher war davon so überwältigt, dass Tränen flossen. Der Drive-In-Gottesdienst fand bundesweite Aufmerksamkeit und fand später viele Nachahmer. Ein Highlight in einer dunklen Zeit.
Matthias Bode ist Chefredakteur der KirchenZeitung
Jede Tat ist wichtiger als eine Sonntagsrede
Ich habe mich noch mal vergewissert, weil ich sicher gehen wollte, dass mich meine Erinnerung nicht getrogen hat; aber tatsächlich – vor 75 Jahre endete der Zweite Weltkrieg, das Datum ist mehr oder weniger spurlos an uns vorbei gegangen. Die Befreiung der Welt vom Hitler-Faschismus hat in den Medien kaum eine Rolle gespielt. Der Grund? Klar, die erste Corona-Welle im Frühjahr hat alles überlagert. Verständlich, dass uns der panische Blick auf die Entwicklung der Pandemie den Blick zurück mehr oder weniger verstellt hat.
Zugegeben, ich war erst einmal irritiert, dass der runde Jahrestag eines der wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts sang- und klanglos untergegangen ist. Ich habe dann darüber nachgedacht, ob ich wirklich etwas vermisst habe. Denn auf die immer gleichen Beschwörungsrituale im Sinne von „nie wieder“ kann ich eigentlich gut verzichten. Weil sie so selbstverständlich sind und – wenn ehrlich betrachtet – allzu oft folgenlos bleiben.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich wäre der letzte, der dafür plädiert, einen Schlussstrich unter dieses folgenreiche Kapitel der Weltgeschichte zu ziehen, 70 Millionen ermordete, verreckte, vergaste Menschen als Folge des deutschen Größenwahns sind immer ein Anlass sich mit Scham, Trauer und Demut zu erinnern.
Im vergangenen Jahr bin ich Menschen begegnet, die als Konsequenz dieses Verbrechens, unter dem sie selbst leiden mussten, den Blick nach vorn gerichtet und auf unterschiedliche Weise die Hand zur Versöhnung ausgestreckt haben. Das hat mich schwer beeindruckt und nachdenklich gemacht. Ich bin überzeugt: Solche Geschichten – nicht nur zu runden Jahrestagen – bringen uns wirklich voran. Jede Tat ist wichtiger als eine Rede, die vor allem deshalb gehalten wird, weil man es erwartet.
Stefan Branahl ist Redaktionsleiter der KirchenZeitung
Wie schön sind doch persönliche Begegnungen
Wenn ich an das Jahr 2020 denke, denke ich daran, wie gut es meiner Familie und mir trotz der Einschränkungen eigentlich geht. Ich denke aber auch daran, wie wichtig mir Begegnungen sind – beruflich wie privat. Nach einer langen Strecke von Telefoninterviews habe ich seit dem Sommer bis zum kürzlich verfügten Lockdown wieder Menschen – unter Hygienebedingungen – für meine Beiträge getroffen. So ist es sicher kein Wunder, dass mir diese Begegnungen besonders intensiv in Erinnerung geblieben sind.
Herausheben möchte ich vor allem die Treffs mit zwei Autoren und ihren ersten Romanen: mit dem Theologen Burkhard Budde aus Bad Harzburg und dem Bildenden Künstler, Kunsthistoriker und Stadtplaner Markus Mittmann aus Braunschweig. Budde hat den gesellschaftspolitischen Krimi „Haifisch im Aquarium“ über ein fiktives kirchliches Unternehmen geschrieben. Mittmann will mit „Wodka mit Grasgeschmack“ seine Familiengeschichte aufarbeiten.
Faszinierend, wie beide Autoren ihre Bücher mit sehr viel Herzblut geschrieben und ihre Lebenserfahrung mit einfließen ließen. Auch der Glaube, der prägt und trägt, kommt in beiden Büchern nicht zu kurz. Den ganz unterschiedlichen Werken ist gemein, dass sie zwar nicht autobiografisch, jedoch mit dem eigenen Leben der Autoren verknüpft sind und beide eine Botschaft haben. Während Mittmann mit seinem Roman erklärt, wie das Trauma von Flucht und Vertreibung seiner Elterngeneration heimlich die kommenden Generationen prägt, will Budde zeigen, dass Entscheidungen in Kirche und Gesellschaft ganzheitlich mit Herz und Verstand getroffen werden sollten.
Beide Autoren haben es geschafft, mich für ihre Bücher zu begeistern, das hätten sie sicher bei einem Telefongespräch nicht so einfach geschafft. Auch wenn ich versuche, das Beste aus der jetzigen kontaktarmen Situation zu machen, persönliche Begegnungen sind einfach unersetzbar.
Sabine Moser ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Dekanat Braunschweig
Ein Jahr in der Schwebe
Kaum war der Einführungsgottesdienst für Propst Thomas Berkefeld gefeiert, erhielt ich schon die erste E-Mail: „Gut, dass Duderstadt wieder einen Propst hat!“. Ein knappes Jahr war die Pfarrstelle nur vertretungsweise besetzt, für Duderstadt und das Untereichsfeld eine Art Schwebezustand, der auch durch seinen plötzlichen Beginn noch vor Weihnachten 2019 für alle Beteiligten viele Ungewissheiten mit sich brachte.
Manche Entscheidung verzögerte sich. Die gefühlte Lücke war groß, auch in der Öffentlichkeit.
Hinzu kamen veränderte Strukturen in den Pfarrgemeinden des Untereichsfeld. Erst kurz zuvor im Herbst war der überpfarrliche Personaleinsatz mit zwei Teams für jeweils drei Pfarreien eingeführt worden. Vielerorts wurden Gottesdienstformen und -zeiten an die Nachbarpfarreien und die weniger werdende Zahl an Priestern angepasst. Aktive Gemeindemitglieder waren und sind umso mehr in ihrem Engagement gefordert.
Welche Kreativität in der Kirche steckt, haben viele dann auf beeindruckende Weise gezeigt, nochmals befördert durch die Umstände der Pandemie. Neue Gottesdienstformen, digital, unter freiem Himmel, als Schnitzeljagd für Kinder oder geschmückte Wallfahrtsorte zum individuellen Besuch hat es, soweit ich mich erinnern kann, in der Vielzahl bisher nur 2020 gegeben.
Mich stimmt diese neue Lebendigkeit sehr hoffnungsfroh. Sie ist ein gutes Zeichen für die weitere lokale Kirchenentwicklung. Und es ist gut, dass Duderstadt wieder einen Propst hat.
Johannes Broermann ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in den Dekanaten Göttingen und Untereichsfeld
Das kirchliche Leben im Dornröschenschlaf
Ein Bild hat sich bei mir im vergangenen Jahr regelrecht eingebrannt. Ein älteres Ehepaar sitzt zu Beginn des Lockdown im März mittags um 12 Uhr allein im sonst menschenleeren Dom. Sie sitzen eng beieinander, vertieft im Gebet, haben dabei die Hand des anderen ergriffen. Eigentlich sind um diese Zeit zum Mittagsgebet immer etliche Leute hier, beten gemeinsam, lauschen der Orgel und hören das Wort Gottes. Doch ab März – nichts mehr, kein Mittagsimpuls. Anfangs konnten wir gar keine Gottesdienste mehr feiern, dann zumindest mit strikten Auflagen und in kleiner Zahl.
Aber es scheinen immer die selben zu sein, die kommen. Viele bleiben zu Hause. Was vorher vielleicht „Sonntagsroutine“ war, hat sich gewandelt. Ein wichtiger Akzent des Ausruhens für die Seele droht auch bei vormals eifrigen Kirchgängern, die nicht gebrechlich sind und nicht zur Hochrisikogruppe gehören, zu verschwinden. Ob sie nach Corona wiederkommen?
Viele befürchten Abbrüche im kirchlichen Leben – ich auch. Von Seniorengruppen über Kirchenchöre bis zu den Ministranten, von Kinder- und Jugendgruppen bis hin zu den großen Verbänden – die Pfarrheime waren geschlossen und nur zwischenzeitlich unter Hygieneauflagen eingeschränkt nutzbar – herrscht Stillstand. Einige Gruppen oder auch Gremien treffen sich online.
Insgesamt gesehen ist es 2020 ruhig geworden in der Kirche. Vielerorts hat sich das kirchliche Leben scheinbar zurückgezogen in einen Dornröschenschlaf. Doch in vielen Gemeinden kämpfen Haupt-und Ehrenamtliche dagegen an, versuchen auf vielfältige und kreative Weise den Kontakt zu den Gemeindemitgliedern zu halten – online, mit Telefonanrufen, mit Grußkarten, über den Pfarrbrief. Sie versuchen Kirche in der Öffentlichkeit präsent zu halten – auch durch das Corona-Läuten als Zeichen des Dankes und der Anerkennung für die zahllosen Coronaheldinnen und Coronahelden. In ein paar Gemeinden ist es allerdings ruhig. Es sieht so aus, als warte man hier darauf, dass ein Prinz kommt und die Kirche aus ihrem Dornröschenschlaf wach küsst.
Edmund Deppe ist Redakteur der KirchenZeitung
Wo bleiben, wenn man kein Zuhause hat?
„Bleiben Sie zu Hause!“. Diesen Satz haben wir in mannigfacher Weise gehört oder gelesen. Es war und ist ja auch ein probater Rat angesichts eines Virus, der sich gern auf der Straße in Menschenmengen ausbreitet. Aber wo kann man bleiben, wenn man kein Zuhause hat? Die Pandemie hat den Blick auf viele soziale Problemlagen geschärft – die Lebenssituation von Obdachlosen gehört dazu. Normalerweise sind sie in einer Großstadt wie Hannover kaum sichtbar. Sie verstecken sich hinter Büschen im Park oder unter Brücken. Wenn sie vor Ladeneingängen übernachten, kommen sie im Schutz der Dunkelheit und gehen dann auch wieder. Immer noch besser, als in Massenunterkünften zu übernachten.
Diese Not hat zu einer großen Kraftanstrengung in Hannover beigetragen. Caritas, Diakonie, die Kirchen, Unterstützungs- und Selbsthilfegruppen von Obdachlosen haben sich dafür stark gemacht, Menschen ohne Wohnsitz in Einzelzimmern unterzubringen. Zum Schutz vor dem Virus, aber auch durch Begleitung als Chance wieder auf die Beine zu kommen. Erst wurden durch Stadt, Region und Land Zimmer in der Jugendherberge angemietet, dann in anderen Immobilien. Auch die Begleitung durch Caritas und Diakonie wurde finanziert.
Das Ergebnis hat selbst Fachleute überrascht: Der Großteil der Obdachlosen hat eine neue Perspektive gefunden: einen Platz im ambulant betreuten Wohnen, ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft, einige sogar Arbeit. Was eine Tür, die abgeschlossen werden kann, alles möglich macht. Keine ständige Angst um die letzten Habseligkeiten, keine Angst vor Überfällen. Da wächst erst Vertrauen, dann Zuversicht. Aber kein Projekt ohne Wermutstropfen. Finanzierungen und Mietverträge wurden erst im letzten Moment durch Stadt und Region sichergestellt – oder es gibt Verzögerungen in der Unterbringung. Das verspielt Erfolge. Und Vertrauen.
Rüdiger Wala ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Regionaldekanat Hannover