Anke Laumeyer ist Enkelin des Lübecker Märtyrers Karl Friedrich Stellbrink

Dem Großvater verpflichtet

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Frau steht vor einer Gedenktafel
Nachweis

Foto: Matthias Schatz

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Anke Laumayer neben einer Tafel in der Kirche ihrer Gemeinde Heilig Kreuz in Hamburg Volksdorf, die an Johannes Prassek erinnert, nach dem die Pfarrei benannt ist. Auch die drei weiteren Lübecker Märtyrer werden darauf genannt, darunter Laumayers Großvater Karl Friedrich Stellbrink.

Anke Laumayer ist die Enkelin des evangelischen Pfarrers Karl Friedrich Stellbrink, einem der Lübecker Märtyrer, die am 10. November 1943 in Hamburg hingerichtet wurden. Sie konvertierte zum Katholizismus und engagiert sich seit vielen Jahren, um das Gedächtnis an die vier NS-Gegner zu bewahren.

„Alles, was Ihr tut’ passt natürlich zu den Märtyrern“, sagt Anke Laumayer. Die ausgebildete Sängerin und Kirchenmusikerin wird selbst diese Kantate von Dietrich Buxtehude dirigieren und mit ihrer Alt-Stimme im Konzert am Samstag, 9. November ab 16 Uhr in der Kirche Heilig Kreuz in Hamburg-Volksdorf singen. Mehr noch: Laumayer hat das Stück und das Gloria von Antonio Vivaldi für das festliche Konzert ausgesucht. Einerseits wird so der Lübecker Märtyrer gedacht, andererseits das zehnjährige Bestehen der aus fünf Gemeinden geformten Pfarrei im Nordosten der Elbmetropole gewürdigt, die nach einem der Märtyrer benannt ist: Johannes Prassek. Laumayer hat aber auch einen persönlichen Bezug zu den vier Geistlichen, die am 10. November 1943 aufgrund ihres Widerstands gegen das NS-Regime im Gefängnis am Holstenglacis in Hamburg hingerichtet wurden. Denn ihr Großvater Karl Friedrich Stellbrink war einer von ihnen.

Das musikalische Talent mag sie von ihm geerbt haben. Karl Friedrich Stellbrink musizierte viel mit seinen Kindern. Anke Laumayers Erinnerungen an Familiengespräche über den Großvater sind allerdings rar. Das liegt auch daran, dass sie erst 15 Jahre jung war, als ihr Vater während eines Aufenthalts in Syrien, bei dem der Handchirurg seine Operationsmethoden dortigen Ärzten vermittelte, bei einem Autounfall ums Leben kam. Und daran, dass sie sich zunächst nach eigenem Bekunden damals nicht besonders für das Leben der Märtyrer interessiert hat, obwohl ihre Mutter Anne Stellbrink das Gedenken an die vier sehr pflegte. „Sie hat mich stets zum Gedenkgottesdienst in die Kirche St. Joseph in Wandsbek und zum ökumenischen Arbeitskreis Lübecker Märtyrer mitgenommen“, erinnert sich Laumayer.

Über ihre Mutter lernten sie und ihre Geschwister auch Franz von de Berg kennen, der von 1959 bis zu seinem Tod 2002 Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Joseph in Hamburg-Wandsbek war. Er kam in Kontakt mit den Lübecker Märtyrern, weil sich Karl Friedrich Stellbrinks Tochter Waltraut mit Magdalena von de Berg, der Tochter eines in der Lübecker Herz-Jesu-Pfarrei aktiven katholischen Ladenbesitzers, angefreundet hatte. 1941 besuchte Stellbrink, damals Pastor an der evangelischen Lutherkirche in Lübeck, sogar die Heilige Messe an Fronleichnam in der Herz-Jesu-Kirche und war begeistert von der Innerlichkeit und der Farbenpracht. „Franz von de Berg hat nach eigener Aussage Messwein zu den Märtyrern ins Gefängnis geschmuggelt. Angeblich sollen mein Großvater und Hermann Lange auch zusammen Eucharistie gefeiert haben. Wenn das stimmt, wäre es ein unglaubliches Zeichen für die Ökumene gewesen“, sagt Laumayer.

Schlüsselerlebnis bei Andacht im Holstenglacis

Franz von de Berg war es auch, der bei Anke Laumayer für ein Schlüsselerlebnis sorgte. Er forderte sie auf, bei der Andacht anlässlich des 50. Jahrestages der Hinrichtung der Märtyrer im Holstenglacis eine Lesung zu halten. „Da ist mir klar geworden, wie das ist, eingesperrt zu sein, ohne etwas verbrochen zu haben.“ Nach der Andacht habe sie sich die Guillotine im Hof angesehen, mit der die Märtyrer hingerichtet worden seien. „Da sind mir die Tränen gekommen und ich habe mir gesagt: Es darf nie wieder ein Christ auf diese Weise sterben. Und wenn ich auch nur einen Teil dazu beitragen kann, indem ich das Gedächtnis an meinen Großvater pflege, dann werde ich das machen.“

Karl Friedrich Stellbrink mit seiner Familie. In der Mitte steht Laumayers Vater Gerhard, links ihre Tante Gisela und rechts ihre Großmutter Hildegard mit ihrer Tochter Waltraut auf dem Arm. Foto: privat

Anke Laumayer leidet nach ihren Worten allerdings noch immer darunter, dass ihr Großvater im Gegensatz zu den drei anderen katholischen Märtyrern nicht seliggesprochen worden ist. „Sag niemals drei, sag immer vier“, sagte der katholische Mithäftling der Märtyrer, der spätere Lübecker CDU-Politiker Adolf Ehrtmann, der seinerzeit von den Nazis zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war. Laumayer: „Das will sagen: Die vier gehören zusammen. Das ist nun wirklich ein einzigartiges ökumenisches Glaubenszeugnis.“ Erzbischof Thissen habe ihr gesagt, dass die meisten Vorbehalte von der evangelischen Kirche gekommen seien.

Für Diskussionen sorgte Stellbrinks anfängliche Begeisterung für den Nationalsozialismus. Zunächst trat er nach dem Ersten Weltkrieg einigen völkisch-nationalen Vereinen bei. Er radikalisierte sich weiter, nachdem er 1921 begonnen hatte, als Geistlicher im Süden Brasiliens zu wirken. „Stereotype Vorurteile gegen Juden und Katholiken finden sich in zahlreichen Briefen und Schriften“, heißt es über ihn zu dieser Zeit auf der Website der Stiftung Lübecker Märtyrer (www.luebeckermaertyrer.de). Gut vier Jahre nach der Rückkehr nach Deutschland trat er am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein. Doch schon bald darauf kam es mit den neuen Machthabern zu ersten Konflikten, 1934 legte Stellbrink alle Parteiämter nieder, im Dezember 1937 wurde er aus der Partei ausgeschlossen, deren Christenfeindlichkeit er zunehmend erkannte. Der 1894 geborene Stellbrink wurde vom Saulus zum Paulus. „Man muss alles aus der Zeit heraus sehen. Ich vermute, dass für meinen Großvater traditionelle Werte wichtig waren und er sich schon in Brasilien eine falsche Vorstellung vom Nationalsozialismus gemacht hatte – dachte, dieser sei gerecht und nicht kriegerisch, zudem sozial und respektiere die Menschenrechte“, sagt Anke Laumayer.

Die Mutter von vier Kindern und gelernte Krankengymnastin konvertierte zum Katholizismus. „Nicht, weil mein katholischer Mann das etwa gefordert hätte“, betont sie. „Aber nach den ersten katholischen Gottesdiensten, in die ich mit ihm gegangen war, hatte ich das Gefühl, Gott wird dort wirklich gefeiert und gelobt mit allen Sinnen. Schön ist für mich auch die Geste des Kniens.“ Ganz im Sinne ihres Großvaters, der vom Katholikenfeind zum Katholikenfreund geworden war, ist Anke Laumayer sehr in der Ökumene engagiert. „Wir haben ein sehr schönes geschwisterliches Verhältnis mit der evangelischen Nachbargemeinde in Volksdorf“, berichtet sie. Als Gottesdienstbeauftragte bereitet sie die ökumenischen Gottesdienste meist mit der evangelischen Prädikantin vor. Und erst kürzlich hielt sie zusammen mit der evangelischen Pastorin beim Stadtteilfest die Eröffnungsandacht.

Zur Person

Anke Laumayer, 65, ist eine Enkelin von Karl Friedrich Stellbrink, einem der Lübecker Märtyrer. Die gelernte Krankengymnastin konvertierte zum Katholizismus und ist in ihrer Gemeinde Heilig Kreuz in Hamburg Volksdorf als Gottesdienstbeauftragte, Begräbnisbegleiterin und Musikerin engagiert.

 

 

Matthias Schatz