Bundesweite Kampagne der Kirchen

Das Judentum in all seiner Vielfalt

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Eine bundesweite Kampagne der Kirchen lädt dazu ein, die Nähe von Christentum und Judentum neu zu entdecken. Katrin Großmann, Dialogbeauftragte im Bistum Osnabrück, erzählt vom Wert persönlicher Begegnungen, welche Fallstricke es gibt und von ihren Wünschen.


Mitglieder des Vereins "Judentum begreifen" bieten in Schulen des Bistums Osnabrück Projekttage an. Foto: Alexander Ginsburg

Mitte Januar ist die bundesweite Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ gestartet. Welche Idee steckt dahinter?

Anlass ist das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. 321 wurde erstmals urkundlich erwähnt, dass Juden im Kölner Stadtrat aktiv sein können – ein Hinweis darauf, dass es jüdisches Leben in Köln und auch in anderen Städten gab. Wir als Dialogbeauftragte haben überlegt, was der kirchliche Beitrag in diesem Festjahr sein könnte. In Niedersachsen waren wir uns schnell einig, dass die Kampagne – eine Idee der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz – ökumenisch sein sollte. In Zusammenarbeit mit jüdischen Partnern. Das hat sich bundesweit durchgesetzt.

Christen und Juden sind sich näher als gedacht. Wie gut kennen wir uns wirklich? 

Sobald wir die Bibel öffnen, stoßen wir auf das Judentum. Wir können nicht Christen sein, ohne über die Beziehung zum Judentum nachzudenken, das ist uns eingeschrieben in unsere Wurzeln. Umgekehrt ist das Judentum nicht auf gleiche Weise auf das Christentum angewiesen. Trotzdem gibt es ein großes Interesse, sich mit uns auszutauschen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Schließlich leben wir  alle in dieser Gesellschaft und gestalten sie mit. Jüdische Gemeinden sind sehr lebendig, aber es gibt natürlich nicht so viele Juden wie Christen. Ein Ungleichgewicht, das weite Wege erfordert und es nicht immer einfach macht, sich kennenzulernen.

Aber daran arbeiten beide Seiten ...

Ja es gibt inzwischen einige jüdische Initiativen, die Begegnung auch über die Gemeinden hinaus ermöglichen. Sehr aktiv ist zum Beispiel der Verein „Judentum begreifen“ in Osnabrück. Jüdische Gemeindemitglieder gehen in Schulen, gestalten Projekttage, sind offen für Begegnungen und Gespräche. Bundesweit gibt es „Meet a Jew“, ein Begegnungsprojekt des Zentralrats der Juden. Eine gute Möglichkeit, jüdisches Leben aus erster Hand kennenzulernen.

Welche Möglichkeiten bietet die Kampagne, sich intensiver mit dem Judentum auseinanderzusetzen?

Sie regt zu Begegnungen an – in Corona-Zeiten auch digital. Wer sich begegnet, legt Vorurteile ab. Wir wissen, dass der Antisemitismus im Christentum nie ganz verschwunden ist. Dennoch möchte ich betonen, dass die Kampagne den Fokus  nicht primär auf den Antisemitismus legt. Im Mittelpunkt steht die Vielfalt des gelebten Judentums. Und wo ließe sich da besser ansetzen als bei Festen. Feste sind positiv besetzt. Wenn in Schulen oder Kirchengemeinden über das Judentum gesprochen wird, geschieht das oft im Kontext von Erinnerungskultur oder Antisemitismus. Das ist gut und wichtig, birgt aber die Gefahr, dass die Wahrnehmung des Judentums als Religion untergeht. Die Vielfalt und Buntheit des gelebten jüdischen Glaubens kommt zu kurz.


Katrin Großmann ist Diözesanbeauftragte für Ökumene
und interreligiösen Dialog. Foto: Anja Sabel

Wie genau wollen Sie diese Vielfalt vermitteln?

Das Herzstück der Kampagne sind 13 Monatsplakate. Sie werden an Kirchengemeinden geschickt, können in Schulen oder am Schwarzen Brett aufgehängt werden. Die Plakate thematisieren christliche und jüdische Feste im Jahreskreis und setzen sie miteinander in Beziehung, zum Beispiel Ostern und Pessach, Weihnachten und Chanukka, Erntedank und Sukkot. Aber auch Feste im Lebenslauf: Taufe und Beschneidung, Firmung/Konfirmation und Bar/Bat Mitzwa. Das regt zu Gesprächen an, und dazu, voneinander zu lernen. Wir sind ja alle nicht davor gefeit, in Fallen zu tappen.

Was meinen Sie damit?

Natürlich ist das Judentum uns nah. Die Betonung der Nähe muss aber mit der Wahrung der Würde der Differenz einhergehen. Ich habe zum Beispiel schon erlebt, dass Christen am Gründonnerstag ein Pessach-Mahl feiern in Erinnerung an das Letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Es ist gut gemeint, sich auf die jüdischen Wurzeln zu besinnen, aber man muss sich klarmachen, dass das in dieser Form massiv übergriffig ist. Das Pessach-Fest, wie es heute gefeiert wird, hat sich historisch entwickelt. Man kann das Pessach-Mahl nicht einfach in ein christliches Setting überführen. Pessach ist und bleibt ein jüdisches Fest. Im Christentum hat sich das Osterfest in Abgrenzung zum Judentum entwickelt.

Was wünschen Sie sich für die christlich-jüdische Zusammenarbeit im Bistum Osnabrück?

Es gibt bereits viele vertrauensvolle Kontakte zu den jüdischen Gemeinden, und wir haben an vielen Orten Initiativen wie das Forum Juden-Christen in Lingen und Frenswegen oder die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Auch ökumenisch sind wir sehr gut vernetzt. Das Charmante an der Jahreskampagne ist, dass sie in die Fläche geht und dabei vor Ort leicht umzusetzen ist. Wir schicken die Plakate im Monatsversand in jede Kirchengemeinde. Es muss nicht viel mehr getan werden, als die Plakate aufzuhängen und, wo dies möglich ist, digital oder analog darüber ins Gespräch zu kommen. Ich würde mir wünschen, dass viele Christen die Nähe zum Judentum neu wahrnehmen, ohne die Unterschiede auszublenden, und erkennen dürfen, dass wir, Juden und Christen, uns nicht fremd sind. Wir sind Geschwister. 

Interview: Anja Sabel

Auf welche Weise sind sich Christen und Juden nahe? Wo findet jüdisches Leben im Bistum Osnabrück statt? Wie wichtig ist Erinnerungskultur? Der Kirchenbote begleitet die Kampagne mit einer lose über das Jahr verteilten Artikelserie.