Ausstellung "Polizeigewalt und Zwangsarbeit"

"Das war richtig schlimm für mich"

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Eine Ausstellung beleuchtet die Rolle der Gestapo und der Erziehungslager für die Zwangsarbeit im Dritten Reich. Eine 76 Jahre alte Frau hat erst von Historikern erfahren, was ihr Vater getan hat.


Kultusminister Grant Hendrik Tonne eröffnete die neue Dauerausstellung „Polizeigewalt und Zwangsarbeit“ der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht. Vor dem Augustaschachtgebäude begrüßten die Förderer und Gedenkstättenmitarbeiter die künftigen Gäste in den drei Ausstellungsprachen. Foto: Uwe Lewandowski

Erstmals in Deutschland thematisiert eine Ausstellung die Rolle der Gestapo und der von ihr betriebenen Erziehungslager für die Zwangsarbeit im Dritten Reich. Für die Schau „Polizeigewalt und Zwangsarbeit“ in der Gedenkstätte Gestapokeller in Osnabrück haben Wissenschaftler Kontakt zu Angehörigen von Tätern des NS-Regimes gesucht. 

Sigrun L. aus Gera war eine der wenigen, die sich zur Zusammenarbeit bereiterklärt haben. Sie hat erst von den Forschern erfahren, dass ihr Vater Fritz Rascher von 1943 bis 1945 Gestapo-Chef in Osnabrück war. „Seine Geschichte soll nicht im Dunkeln bleiben“, sagte die 76-Jährige. Ihre Erinnerungen an den Vater sind zum Teil auch in der Ausstellung dokumentiert.

 

Wie war es für Sie und Ihre Familie, als Sie erfuhren, dass ihr Vater Gestapo-Chef in Osnabrück war?

Von Kindheit an wusste ich, dass mein Vater in der Hitlerjugend und in der NSDAP war. Auf Fotos war er fast immer in Uniform zu sehen. Meine Mutter hatte nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR darunter zu leiden. Sie durfte wegen der Nazivergangenheit ihres Mannes viele Jahre nicht in ihrem Beruf als Apothekerin arbeiten. Die Erinnerung an meinen Vater hat mich immer belastet, obwohl ich an sich ein fröhlicher Mensch bin. Aber als ich erfahren habe, dass mein Vater in Osnabrück die Gestapo geleitet hat, war das richtig schlimm für mich. Auch mein Sohn und mein Enkel waren entsetzt. Ich kann mir das gar nicht vorstellen, dass mein Vater an so etwas beteiligt war. Ich habe zwar nicht im Detail erfahren, was er getan hat. Aber man weiß ja, was die Gestapo gemacht hat.

Wie haben Sie Ihren Vater erlebt?

Ich habe keine reale Erinnerung an ihn. Das meiste weiß ich von Erzählungen meiner Großmutter, seiner Mutter. Er ist in Gera geboren und aufgewachsen. Wegen seiner NS-Gesinnung hat es oft Streit mit den Eltern gegeben. Er hat in Jena studiert – ich glaube Germanistik – und war danach in Berlin. Dort hat er meine Mutter kennengelernt. Mit ihr ist er nach Gera zurückgekehrt. Er hatte wohl einen Posten bei der NSDAP. 1943 ist er nach Osnabrück versetzt worden. Meine Mutter hat ihn dort oft besucht. Im Frühjahr 1945, mein Bruder war sechs, ich zwei Jahre alt, stand mein Vater plötzlich vor unserer Haustür in Gera. Er forderte meine Mutter auf, alle seine Sachen zu packen und sagte, er müsse verschwinden. Danach habe ich ihn nie wieder gesehen.

Was wissen Sie über das Leben ihres Vaters nach dem Krieg?

Mein Onkel, also sein Bruder, hat oft und viel von einem Freund und dessen Familie in Lateinamerika erzählt. Ich habe da nicht so genau zugehört, weil es mich nicht interessiert hat. 2004 hat er berichtet, der Freund sei gestorben. Später habe ich dann gedacht, dass es sich vermutlich um meinen Vater gehandelt hat. Viele Indizien sprechen mittlerweile dafür. Seine Verbrechen hätten viel früher erforscht werden müssen. Dann hätte man alles klären und ihn noch zur Rechenschaft ziehen können.

Interview: Martina Schwager/epd


Für die Gedenkstätte Gestapokeller im Westflügel des Osnabrücker Schlosses und die Gedenkstätte Augustaschacht in Hasbergen-Ohrbeck (Zur Hüggelschlucht 4) gelten ab sofort neue Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag von 14 bis 17 Uhr, Sonn- und Feiertage von 11 bis 17 Uhr. Wegen der Corona-Pandemie gelten für die neue Dauerausstellung „Polizei und Zwangsarbeit“ besondere Besuchsbedingungen. Nähere Infos: www.gedenkstaetten-augustaschacht-osnabrueck.de