Ukrainerin und Russin gemeinsam an Kreuzstation

Debatte um Kreuzweg am Kolosseum

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Hilfreiche Geste oder Beleidigung für die Ukrainer? Bei der Prozession am Karfreitag sollen eine Russin und eine Ukrainerin gemeinsam das Kreuz tragen.

Foto: kna/Romano Siciliani/Cristian Gennari
Zum ersten Mal nach zwei Jahren Pandemie findet an diesem Jahr die traditionelle Prozession zum Karfreitag wieder am Kolosseum in Rom statt. Foto: kna/Romano Siciliani/Cristian Gennari


Die ukrainische Kritik am Kreuzweg mit Papst Franziskus vor dem Kolosseum am Karfreitag sorgt für anhaltende Debatten. Bedenken, dass dort eine Ukrainerin und eine Russin gemeinsam das Kreuz tragen sollen, habe er bereits vor einiger Zeit nach Rom weitergeleitet, wird der päpstliche Botschafter in Kiew, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, vom Portal Religious Information Service of Ukraine zitiert. Er selbst hätte das Gebet nicht so formuliert und gestaltet, gehe aber davon aus, dass Text und Geste noch geändert werden könnten.

Dagegen verteidigte Antonio Spadaro, Chefredakteur der Jesuiten-Zeitschrift "Civilta cattolica" und Vertrauter des Papstes, die geplante Geste: Franziskus sei Seelsorger, kein Politiker. "Er handelt im Geist des Evangeliums und der Versöhnung, auch gegen jede sichtbare Hoffnung", schrieb Spadaro in einem Beitrag für die Zeitung "Il Manifesto". Die beiden Frauen selbst sagten beim Kreuzweg kein Wort; sie gingen nur unter dem Kreuz - "skandalöserweise gemeinsam". Wie solle sich ein Christ denn verhalten angesichts des christlichen Gebotes: "Liebet eure Feinde!"?, fragt der Theologe.

Laut dem am Montag veröffentlichten Heft mit dem liturgischen Ablauf sollen zur 13. Kreuzwegstation ("Jesus stirbt am Kreuz") eine ukrainische und eine russische Krankenpflegerin, die beide in Rom leben, das schlichte, schwarze Holzkreuz tragen. Gleichzeitig wird ein Text vorgelesen. Darin heißt es unter anderem: "Warum hast du uns im Stich gelassen? Warum hast du unsere Völker im Stich gelassen?" In dem geplanten Text wird Gott gebeten: "Gib, dass die von Tränen und Blut verwüsteten Familien an die Kraft der Vergebung glauben können, und mache uns alle zu Erbauern von Frieden und Harmonie."

In einem Radio-Vatikan-Interview berichteten die beiden Frauen, wie sie sich wenige Wochen vor Kriegsausbruch auf der Palliativstation eines römischen Krankenhaus kennenlernten und Freundinnen wurden. Wenige Tage nach Kriegsbeginn hätten beide gemeinsam Dienst gehabt, berichtet die Ukrainerin Irina. Mit Tränen in den Augen habe Albina, die russische Kollegin, sie um Vergebung gebeten. "Ich konnte sie nicht trösten", so Irina, "obwohl sie mit all dem doch nichts zu tun hatte."


Nuntius: Unter dem Kreuz dürfen alle stehen

Am Dienstag hatten sich der ukrainische Botschafter beim Vatikan, Andrij Jurash, sowie Kiews Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk kritisch zum Kreuzweg geäußert. "Ich halte diese Idee für nicht ratsam und zweideutig, da sie den Kontext der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine nicht berücksichtigt", so Schewtschuk. Er habe Rom um eine "Überprüfung dieses Projekts" gebeten. Einige Textpassagen könnten für Ukrainer gar beleidigend klingen.

Kiews Botschafter "versteht und teilt die allgemeinen Bedenken in der Ukraine und in vielen anderen Gemeinden", twitterte Jurash am Dienstag. Er versuche, "die Schwierigkeiten bei der Umsetzung und die möglichen Folgen zu erklären". Nuntius Kulbokas warnte allerdings davor, das geplante Gebet politisch zu deuten. Unter dem Kreuz Christi dürften alle stehen; Gute und Böse, Aggressor wie Opfer.

Papst Franziskus ging bei seiner Generalaudienz am Mittwoch auf die Kritik nicht direkt ein. Er betonte aber den wesentlichen Unterschied zwischen politisch-weltlichen Friedenskonzepten und dem von Jesus Christus. Gottes Friede sei unbewaffnet, folge "dem Weg der Sanftmut und des Kreuzes", so Franziskus. Damit hätten Menschen durchaus Schwierigkeiten.

Auch Italiens Ex-Verteidigungsminister Mario Mauro hält die geplante Geste beim Kreuzweg für hilfreich. "Solche Gesten deuten an, wie der Krieg beendet werden kann, wenn man in der Lage ist, den anderen als für sich wichtig zu erkennen", sagte er der Zeitung "Avvenire".

Die Texte zum traditionellen Kreuzweg am Karfreitag vor dem Kolosseum haben in diesem Jahr mehrere Familien verfasst. Darunter sind auch die in Rom lebende Russin und Ukrainerin. Der Kreuzweg zur Erinnerung an das Leiden und den Tod Christi ist eine Andachtsform westlicher Tradition und wird in den östlichen Kirchen nicht gepflegt.

Bereits die Tatsache, dass der Papst am 25. März in einer Bußandacht beide Völker, Ukrainer und Russen, der besonderen Sorge der Gottesmutter empfahl, sorgte für Kritik. Bei der Andacht waren sowohl Kiews Botschafter Jurash wie auch Moskaus Botschafter Alexander Awdejew anwesend; allerdings begegneten sich die beiden nicht. Man darf gespannt sein, ob einer von ihnen, oder gar beide, auch beim Kreuzweg vor dem Kolosseum zu sehen sind.

kna