Kibo-Serie "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland"

An den Holocaust erinnern

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Voneinander lernen und füreinander einstehen: Diesem Ziel hat sich das Forum Juden-Christen Altkreis Lingen und Nordhorn verschrieben – besonders während des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.


Gut erhalten ist der Alte Jüdische Friedhof in Lingen. Das Forum Juden-Christen kümmert sich um die Pflege und Betreuung des Areals. Foto: Petra Diek-Münchow

Gut 80 Mitglieder zählt das Forum Juden-Christen in Lingen derzeit – Männer und Frauen aus Kirche, Politik und Gesellschaft, die jüdische Gemeinde Osnabrück sowie fast alle Kirchengemeinden der Stadt. Und der lutherische Pastor Gernot Wilke-Ewert, Vorsitzender des Vereins, will dafür sorgen, dass auch die letzten Gemeinden noch beitreten. Denn er ist sicher, dass ohnehin alle hinter dem Anliegen des Forums stehen: mahnende Erinnerung an den Holocaust, Begegnung und Dialog zwischen Juden und Christen und ein klares Nein zu Antisemitismus. Wie bei dem Festjahr und der dazu entwickelten Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ geht es auch darum, das Verbindende zwischen beiden Religion zu betonen – aber ohne zu vereinnahmen. 

Gegründet worden ist der Verein formell 2001, aber das Engagement reicht schon zurück bis in die früher 1980er Jahre. Damals trafen sich Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler sowie Mitglieder einer kirchlichen Jugendgruppe, um die Schicksale der von den Nationalsozialisten ermordeten oder vertriebenen Juden der Region aufzuklären. Und es war ihnen wichtig, die historische jüdische Schule in Lingen, das Bethaus in Freren sowie die jüdischen Friedhöfe in beiden Orten wieder mehr ins Bewusstsein zu rücken. Nach wie vor kümmert sich der Verein um die Betreuung und Pflege dieser Erinnerungsorte.

Die Ziele sind seither im Wesentlichen gleichgeblieben, aber die Aufgaben und die Arbeit des Vereins haben sich nach Worten Wilke-Ewerts verändert. Ging es früher vor allem darum, die Menschen zum Nachdenken über die Geschichte zu bewegen und den interreligiösen Dialog zu fördern, so wird das Forum zudem heute öfter auch von außen angefragt. „Man bittet uns, Angebote zu machen mit Blick auf den zunehmenden Antisemitismus – zur Aufklärung und Prävention“, sagt Wilke. Weil es immer weniger Holocaust-Überlebende und Zeitzeugen gibt, muss der Verein dabei andere Wege gehen als noch in den vergangenen Jahren. Eine Arbeitsgruppe mit dem Titel „Erinnerungskultur“ beschäftigt sich intensiv mit neuen Formen. 

Wie bringt man jüdisches Leben heute näher?

Die Wege und Formate, die das Lingener Forum für seine Anliegen wählt, sind ganz unterschiedlich – auch wenn einiges davon wegen Corona nicht wie gewohnt möglich war. Wichtig ist den Mitgliedern zum Beispiel, Gedenktage wie den 27. Januar oder den 9. November würdig zu gestalten: mit teilnehmenden Jugendlichen, mit Gottesdiensten, mit Konzerten und literarischen Lesungen. Im Kalender stehen auch regelmäßige „Lehrhausgespräche“ mit Vorträgen zu Rechtsextremismus in Deutschland bis in die heutigen Tage oder zu anderen Opfergruppen des Nationalsozialismus. Lokale Geschichte ist ein wichtiges Thema für den Verein, auf der Homepage werden dazu Biografien von ehemaligen jüdischen Mitbürgern vorgestellt. Und wichtig ist dem Vorstand auch, öffentlich klar und deutlich Position zu beziehen zu aktuellen Themen – zu antisemitischen Äußerungen oder Übergriffen, zu geplanten Projekten und Entwicklungen. „Da verstecken wir unsere Meinung nicht und gehen in den Konflikt“, sagt Wilke.

Für den Forum-Vorsitzenden geht es immer auch um die Frage: „Wie bringen wir den Menschen heute jüdisches Leben und jüdische Frömmigkeit näher?“ Ein Angebot richtet sich dabei an Schülerinnen und Schüler: Sie können sich in der ehemaligen jüdischen Schule mit Vertretern der jüdischen Gemeinde aus Osnabrück treffen – diese fragen, sich informieren, mit ihnen diskutieren. „Wir hoffen, dass das im Herbst wieder möglich ist“, sagt Wilke. Genau wie die Präsentation eines neuen Buches, das zwei Mitglieder des Forums über den kürzlich verstorbenen, ehemaligen jüdischen Lingener Bürger Bernhard Grünberg geschrieben haben. Der Verein möchte mit dieser Biografie das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ bereichern. 

Neues Verhältnis von Juden und Christen, von Israel und Kirche

Genau wie der Lingener Verein unterstützt auch das Forum Juden/Christen unter dem Dach des Klosters Frenswegen bei Nordhorn das Festjahr und die Kampagne „#beziehungsweise –jüdisch und christlich: näher als du denkst“. Die entsprechenden Monatsplakate sind jeweils auf der Internetseite zu sehen. In Nordhorn hatte sich der Arbeitskreis 1988 gegründet – mit ähnlichen Zielen wie im Nachbar-Landkreis. Auch hier stand und steht laut Gerhard Naber, Sprecher des Forums und des zehnköpfigen Leitungskreises, lokale Geschichte, Begegnung und Dialog mit Jüdinnen und Juden sowie ein „neues Verhältnis von Juden und Christen, von Israel und Kirche“ im Fokus der Arbeit. 
Schicksale von Opfern weitererzählen 

Die Gruppe bietet dazu zum Beispiel Stadtrundgänge und Radtouren zu Orten jüdischen Lebens an sowie Vorträge von „Zweitzeugen“ – das sind Männer und Frauen, die die Schicksale von Holocaust-Opfern weitererzählen, damit sie niemals in Vergessenheit geraten.  Für alle, die sich eigenständig über solche Biografien und regionale Ereignisse informieren wollen, unterhält das Forum die „Jüdische Geschichtswerkstatt“. Das ist eine Bibliothek im Kloster Frenswegen, gefüllt mit zahlreichen Büchern und viel Material: für Schüler, Studierende, Doktoranden, Interessierte. Da ist laut Gerhard Naber „schon manche wissenschaftliche Arbeit entstanden.“

Petra Diek-Münchow

Info zu Lingen: 
www.forum-juden-christen.de 

Info zu Nordhorn: 
www.forum-juden-christen-nordhorn.de