„Der Kurs ist ein Geschenk“

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Die gemeinnützige Gesellschaft „Ipso“ bietet Hilfe zur Selbsthilfe. Die Malteser Werke unterstützen sie dabei. Seit Februar 2019 bilden sie zusammen Flüchtlinge zu „psychosozialen Beratern“ weiter.

Zu psychosozialen Beratern ausgebildete Flüchtlinge
Elf Frauen und neun Männer, hier mit Organisatoren, lassen sich in Rostock zu „psychosozialen Beratern“ weiterbilden. Acht Personen werden direkt im Anschluss von den Malteser Werken übernommen.  Foto: Malteser Werke

Das Thema „Flucht“ war im September 2015 allgegenwärtig. Für die Malteser Werke, den größten Betreiber von Flüchtlingsunterkünften in Mecklenburg-Vorpommern, ist es das noch immer: „Auch wenn die Geflüchtetenzahlen erst mal sinken, haben wir sehr viele Menschen hier, die nicht von heute auf morgen ihr Leben weiterleben können. Vieles konnte noch nicht verarbeitet werden“, sagt Charleen Brügmann, Mitarbeiterin der Malteser Werke in Rostock.

Unter anderem deswegen hat die katholische Hilfsorganisation mit der gemeinnützigen Gesellschaft „Ipso“ im Februar 2019 ein Pilotprojekt gestartet. Ipso, das für den englischen Namen „International Psychosocial Organisation“ steht, hat das Ziel, belasteten Geflüchteten ein offenes Ohr zu bieten, um sie zu befähigen, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Um das zu erreichen, werden andere Geflüchtete innerhalb eines Jahres zu „psychosozialen Beratern“ – von Ipso auch Counselor genannt – weitergebildet, sodass diese fähig sind, mit den belasteten Menschen in ihrer Muttersprache zu sprechen und sie aufgrund des gemeinsamen kulturellen Hintergrunds zu öffnen. Denn, so Charleen Brügmann: „Man kann noch die bestausgebildetsten Ärzte vor einen Geflüchteten setzen, aber wenn der Mensch sich nicht öffnet, dann kommt der Arzt auch nicht weiter.“ 

Da ist einer von mir – der versteht mich.

Der Kurs setzt sich zusammen aus einer dreimonatigen Theoriephase, in der die Teilnehmer unter anderem Grundlagen der Psychoanalyse lernen, um einen Menschen verstehen zu können. Es folgen eine neunmonatige Praxisphase sowie eine schriftliche und eine mündliche Prüfung. In der Praxisphase treffen sich die Berater bereits mit ihren geflüchteten „Klienten“. Die Qualität der Beratungen werde dabei stets gewährleistet. „Wir passen sehr engmaschig auf, dass wir auch der Verantwortung, die wir übernehmen, gerecht werden. So ist zum Beispiel Suizidalität (Selbstmordgefährdung) ein eigenes Thema in der Weiterbildung. In diesen Fällen wissen die Counselor, dass sie sofort den Kontakt zu uns Supervisoren aufnehmen müssen“, sagt Kursleiter Lothar Dunkel, ehemaliger Leiter der Schulpsychologie in Münster in Westfalen. Die Berater müssen für die zukünftige Arbeit selbst emotional stabil sein, denn sie werden teils mit Dingen konfrontiert, die ihren eigenen Erfahrungen ähneln. Daher setzt der Kursplan viel auf Selbstreflektion. „Wenn ich Ihnen die Lebensgeschichte einer Person aus dem Kurs schildern würde, dann würden Sie denken: Wie kann das sein, dass so ein Mensch überhaupt gerade auf einem Stuhl sitzen und auch noch lächeln kann? Die haben Dinge erlebt, da sind unsere Träume nicht kreativ genug“, so Lothar Dunkel. 

Auch aus diesem Grund haben die Teilnehmer vor Kursbeginn ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren durchlaufen. Neben einem sprachlich und intellektuell guten Niveau sind auch Motivation, Belastbarkeit und Empathiefähigkeit notwendige Voraussetzungen. Die Gruppe in Rostock bringt für Lothar Dunkel noch mehr mit: „Die Menschen, die wir hier ausgewählt haben, sind unheimlich stark. Sie haben eine persönliche Stärke, eine Lebenskraft und einen Überlebenswillen, der unglaublich ist.“

Einer der 20 Teilnehmer ist Dr. Farooq Ibad. „Falls ich die Möglichkeit habe, Menschen – egal ob in Deutschland oder in Afghanistan – helfen zu können, wird es mir eine Ehre sein. Aber natürlich bereitet mir der Gedanke Freude, zurück in mein Heimatland zu gehen. Ich wünsche mir, dass es irgendwann dazu kommt“, so der Afghane auf Englisch.

Egal ob in der Heimat oder in Deutschland: „Es bräuchte noch mehr „psychosoziale Berater“. Ich weiß gar nicht, welche Zahl man nennen müsste, um den Bedarf zu decken, den wir haben“, sagt Charleen Brügmann.

Text: Joanna Figgen