Sternsinger
Der lange Weg der Könige von Nordfriesland
Foto: Marco Heinen
Der Wind bläst scharf und kalt, etwas Schneegriesel fällt vom Himmel an diesem 6. Januar. Was das Thermometer genau anzeigt, tut nichts zur Sache. Denn die „gefühlte Temperatur“ liegt so oder so deutlich im Minusbereich. Erst recht auf dem Deich von Dagebüll, einem Ort an der Westküste Schleswig-Holsteins. Von dort aus fahren Fähren nach Föhr und Amrum. Sophie (3) und Justus (11) mit ihrer Mutter Anne Knoke sowie Noah (9) mit Vater Claas Benner haben schon eine Dreiviertelstunde Autofahrt hinter sich, als sie um 14 Uhr an der Mole eintreffen. Sie sind die 30 Kilometer von ihrem Wohnort Ladelund herübergefahren, um für ein Gemeindemitglied den Segen „Christus Mansionem Benedicat – Christus segne dieses Haus“ auch in diesen entlegenen Winkel ihrer Kirchengemeinde zu bringen.
In Nordfriesland muss alles ein bisschen größer gedacht werden
Auf den Deich gehen die Kinder nur auf Wunsch des Fotografen, weil der unbedingt die Nordsee mit auf dem Bild haben will. Die Idee ist nur mittelgut, denn Nordsee und Himmel sind eine graue Suppe. Drei Könige mit einem Stern fallen da als Farbtupfen auf und viele Passanten schauen sich um. Aber selbst warme Kleidung unter den Gewändern ist zu wenig, um längere Zeit auf der Deichkrone zu verweilen. Also schnell wieder ins Auto und raus zum Ortsausgang, wo Beate Garstka wohnt. Tiedeweg, Halligweg, Uthlanderweg, so heißen die Straßen auf dem Weg dorhin. Die Könige samt Karavane werden schon erwartet. Die Begrüßung ist herzlich, schließlich kennt man sich aus der Kirche St. Gertrud, die in Niebüll steht.
Die Kinder sagen ihre Botschaft auf und beginnen zu singen, unterstützt von den Eltern. Die Stimmen sind etwas zittrig beim ersten Auftritt. Beate Gerstka ficht das nicht an. „Vielen Dank, das war wunderschön, ihr habt super gesungen“, lobt sie, als alles gesungen und gesagt ist. Das erste Geld landet in der Sammeldose und Süßigkeiten gibt es auch. „Ich kenne das schon seit vielen, vielen Jahren und ich bin so glücklich, dass in unserer Gemeinde das so gelebt und geliebt wird“, sagt sie noch. Dass sich immer wieder Gemeindemitglieder fänden, die sich mit den Kindern auf den Weg von Haus zu Haus machten. „Da bin ich sehr glücklich drüber.“
Zeit für einen heißen Kakao ist noch nicht, es stehen noch ein paar Adressen auf der Anmeldeliste, auf die sich die Menschen eintragen konnten. Also ab ins Auto und weiter nach Maasbüll, das zehn Kilometer entfernt liegt und wo zwei Seniorinnen warten.
In Nordfriesland muss alles ein bisschen größer gedacht werden. Die Pfarrei St. Knud reicht von der Eider und der Kulturlandschaft Stapelholm im Süden bis rauf nach Sylt und zur dänischen Grenze. Fünf Kirchengemeinden mit zehn Kirchstandorten gibt es – darunter die Halbinsel Nordstrand und die Inseln Pellworm, Amrum, Föhr und Sylt. Zum hauptamtlichen Pastoralteam gehören lediglich zwei Priester. Ohne Gastpriester und ohne ehrenamtliches Engagement wären die Aufgaben der Großpfarrei kaum zu schaffen. Und was das Sternsingen angeht, so schafft es nur ein Teil der Gemeinden, das alljährlich zu organisieren.
Es fehlt an Eltern, die die Kinder fahren
„Es wird immer schwieriger“, sagt Marion Krebs, die seit über 20 Jahren das Sternsingen in der Gemeinde St. Gertrud organisiert und als Mädchen selbst von Tür zu Tür zog. Für den Jahresanfang 2025 hat die 61-Jährige gebürtige Düsseldorferin zwar rund zwei Dutzend Kinder auf ihrer Liste, aber zu wenig Fahrer, erläutert sie kurz vor Weihnachten am Telefon. Wer sehr weit ab vom Schuss wohnt, bekommt den Segen daher schon mal per Post zugesandt. Zumal neben den Hausbesuchen ja noch die Fahrt nach Kiel ansteht, wo Sternsinger aus ganz Schleswig-Holstein jedes Jahr das Landeshaus, einige Ministerien und die Staatskanzlei von Ministerpräsident Daniel Günther besuchen, der immer eine Gruppe in seinem Büro empfängt.
Etwa 110 Haushalte, katholische wie evangelische, erhalten jedes Jahr den Sternsingersegen von Kindern aus St. Gertrud. Hinzu kommen sieben Alten- und Pflegeheime und die Geriatrie im Krankenhaus von Niebüll. Marion Krebs arbeitet dort vorwiegend nachts als Krankenschwester und weiß, wie sichtbar positiv sich der Besuch der Kinder vor allem auf Hochbetagte auswirkt.
Sternsingen stärkt den Zusammenhalt
Warum sie die ganze Arbeit auf sich nimmt? „Erstens, weil es sonst keiner machen würde und zweitens, weil ich es für die Kinder so schön finde“, sagt sie. Aber eigentlich ist es anders herum: Sie macht es erstens für die Kinder. Punkt. Das hört man heraus, wenn sie von der Auftaktveranstaltung mit der Musikerin und Komponistin Daniela Dicker im Hamburger St. Marien-Dom erzählt oder wenn sie vom Besuch mit den Kindern in der Elbphilharmonie schwärmt und von der Gemeinschaft derjenigen, die sich Jahr für Jahr für die gute Sache engagieren. In Nordfriesland seien das übrigens vor allem Zugezogene, sagt Krebs. „Wir sind eine zusammengewürfelte Gemeinde.“ Das Sternsingen, das stärkt den Zusammenhalt, ist sie sich sicher.
Zurück zu unserer kleinen Reisegruppe, die in Maasbüll zwei alten Damen den Segen bringen. Beiden ist die Freude anzusehen und auch, wie wichtig ihnen der Segen über dem Türsturz ist. Die Besuche dauern nur wenige Minuten, mehr Zeit nimmt die Fahrt zur nächsten Adresse in Anspruch. In Risum-Lindholm, etwa sieben Kilometer weiter, klingeln die Kinder bei Britta Petersen. „Der helle Stern hat in der Nacht die Könige zum Stall gebracht. Gloria, Gloria, Halleluja“, singen sie, wobei die kleine Sophie inzwischen erstaunlich text- und stimmsicher ist und die Älteren mitzieht. „Der Segen bleibt hier für Euch unsichtbar, wir kommen gern wieder im nächsten Jahr“, sagt einer der Jungs. „Das wär' schön“, antwortet Britta Petersen spontan. „Mir ist es einfach wichtig, Kinder in der Welt auf diese Art und Weise unterstützen zu können. Ich finde diesen Brauch so schön, so herzerwärmend“, sagt die evangelische Christin, als die Kinder bereits wieder herausstapfen.
Bis zur nächsten Adresse ist es nicht so weit. „Ich freue mich jedes Jahr. Das Haus ist gesegnet, das Haus wird beschützt und die Kinder haben Freude dabei“, sagt Patricia Chevalier. Sie führt die Gäste zu den drei Pferden auf dem Hof – eine Attraktion für die Kinder. Danach gibt es Muffins, Süßigkeiten und Getränke. Es ist ein sehr netter Besuch. Derlei gestärkt, geht es weiter zu einem Altenheim, wo auch die Senioren mitsingen, was sehr bewegend ist. Die Schatzkiste von Sophie füllt sich weiter. An der letzten Adresse, es ist inzwischen dunkel geworden, öffnet die 15-jährige Tochter die Tür. Sie heißt Jette. Das mit dem Segen findet sie super: „Es gefällt mir immer sehr. Ich finde das Gefühl sehr toll, dass einem das gegeben wird.“ Nach viereinhalb Stunden sind Kinder und Eltern einigermaßen geschafft, aber auch stolz, dass sie etwas für den Amazonas tun konnten, „weil man dann ja auch selbst wieder etwas abbekommt von der Freude“, wie Noah sagt.
Bei der Sternsingeraktion Anfang 2024 – aufmerksame Leser wissen längst, dass Sophie, Noah und Justus nicht am 6. Januar 2025 unterwegs sein konnten – haben Kinder der Gemeinde St. Gertrud insgesamt 3 400 Euro für Gleichaltrige im Amazonasgebiet gesammelt. Hinzu kamen Spenden, die überwiesen wurden. „Helft armen Kindern in der Welt mit viel Liebe und mit Geld“ haben die Sternsinger den Menschen gesagt. Ein Satz, der in Nordfriesland auf fruchtbaren Boden fiel.
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Hintergrund
„Erhebt Eure Stimme! Für Kinderrechte“ lautet das Motto der Sternsingeraktion 2025 unter Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention von 1989. Die Kinder, die dieser Tage Familien, Altenheime und Krankenhäuser besuchen, sammeln Geld etwa für eine Partnerorganisation in Kenia, die sich für Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildungsarbeit engagiert. In Kolumbien wird ein Projekt unterstützt, das sich um Jugendliche kümmert, die Gewalt und Vernachlässigung erfahren haben. (hix)